Potenziale von KI

"Die Spieleszene unbedingt fördern"

Wie können Unternehmen von künstlicher Intelligenz profitieren? Die Wirtschaft sprach mit Dr. Christian Wiele, Gründer der Atlantic Tech & Candy GmbH & Co. KG in St. Peter-Ording, über aktuelle Entwicklungen im nördlichsten Bundesland.
Wie ist der Stand der Dinge in Sachen KI in Schleswig-Holstein?
Christian Wiele: Wir befinden uns noch in der ersten Phase des Hypes, wenn man sich den Gartner-Hype-Zyklus ansieht. Er zeigt, welche Phasen der öffentlichen Aufmerksamkeit eine neue Technologie bei ihrer Einführung durchläuft. Gartner spricht in Bezug auf die erste Phase sogar von „überzogenen Erwartungen“. Ich würde mir da eine etwas nüchternere Herangehensweise vonseiten der Politik wünschen. Man sollte sich fragen, was für unsere Unternehmensstruktur realistisch ist und wo echte Potenziale liegen.
Wo wird KI im Land eingesetzt und wo liegen Potenziale?
Wiele: Die Sprachverarbeitung, also Gesprochenes in Text übersetzen, ist bereits sehr weit fortgeschritten. Chatbots werden zunehmend eingesetzt. In der Agrarwirtschaft kommen funk- oder GPS-gesteuerte Mähdrescher zum Einsatz. Auch das Düngen kann durch satellitengestützte Auswertung von Wachstum verbessert werden. Großes Potenzial bergen die erneuerbaren Energien, etwa bei der Überwachung der Netzauslastung. In Lübeck wird erfolgreich am Einsatz von KI in der Medizintechnik, insbesondere der medizinischen Bildverarbeitung, geforscht. Und in ganz Schleswig-Holstein gibt es eine gut vernetzte Spieleentwicklerszene. Viele wissen nicht, dass 60 bis 70 Prozent der AR- und VR-Inhalte heute mithilfe von Spieleengines entwickelt werden. Diese Engines werden ebenfalls eingesetzt, um KI-Systeme für den Einsatz in Robotik und autonomen Fahrzeugen zu trainieren. Die Szene muss unbedingt gefördert werden.
KI hat mit Intelligenz, wie wir sie uns vorstellen, nichts zu tun.
Was steht der Weiterentwicklung von KI im Weg?
Wiele: Datenschutz ist ein Hemmnis. Die Grundlage für maschinelles Lernen sind Daten. Personenbezogene, individuelle Daten, die gesammelt werden müssen, damit ein System Muster darin erkennen kann. Datenschutz ist wichtig, keine Frage, aber um im Bereich KI wettbewerbsfähig zu sein, sollte man prüfen, an welchen Stellen die DSGVO uns eher behindert als nützt.
An welchem Punkt der Entwicklung stehen viele Unternehmen gerade?
Wiele: Viele arbeiten noch mit Excel, da wäre der nächste Digitalisierungsschritt erst mal, ein SAP-System oder eine Microsoft-Lösung einzusetzen, um klassische Prozesse zu automatisieren. Eine individuelle KI-Lösung wäre der dritte Schritt vor dem ersten. Die Automatisierung klassischer Abläufe führt fast immer zu Produktivitätsgewinnen. Diese Gewissheit haben Sie bei einer KI-Lösung nicht von vornherein.
Warum nicht?
Wiele: Die meisten Unternehmer haben durch Erfahrung gelernt, welche Faktoren ihr Geschäft beeinflussen. Muster kann eine KI nur mithilfe einer großen, individuellen Datenmenge erkennen und erlernen. Die Investition lohnt sich jedoch nur, wenn darin weitere Muster versteckt sind, die dem Unternehmer bisher verborgen waren. Um diese zu erkennen, muss man der KI die richtigen Fragen stellen. KI hat mit Intelligenz, wie wir sie uns vorstellen, nichts zu tun. Ohne unternehmerische Intelligenz ist sie wenig.
Interview: Josefine Bellmann