Konjunktur ohne Schubkraft

Auch wenn es vereinzelt Lichtblicke gibt wie den Trend zum Kurzurlaub in der Region oder eine anziehende Nachfrage nach Unternehmensdienstleistungen: In der Breite lahmt die regionale Wirtschaft. Vor allem die Baubranche kämpft mit der mangelnden Verfügbarkeit von Waren.
Das Krisenmanagement ist zum festen Bestandteil der Tagesordnung geworden. Mit dem Ukraine-Krieg, Störungen in den Lieferketten, Fachkräftemangel und stark gestiegenen Preisen konnte sich die angespannte konjunkturelle Situation nicht verbessern. Dies zeigt sich auch im Bezirk der IHK Gießen-Friedberg. Der Konjunkturklimaindex ist auf 95,2 Punkte im Vergleich zu 102 Punkten zum Jahresanfang gesunken. Der Rückgang signalisiert eine Wende unter die Zufriedenheitsschwelle in Höhe von 100 Punkten, ab der eine positive Gesamtstimmung zu verzeichnen ist. Damit hat sich die Schere zur Entwicklung in Hessen wieder verringert. Aktuell notiert der hessische Konjunkturklimaindex bei 98 Punkten. Zu Jahresanfang hatte der Abstand noch bei zehn Punkten gelegen. Grund für die Annäherung ist der relativ hohe Anteil an Dienstleistern im IHK-Bezirk.
Der zaghafte Optimismus, der sich mit dem Abebben der Corona-Pandemie zwischenzeitlich zeigte, ist weitestgehend verflogen. Wichtige Branchen wie Industrie, Baugewerbe und Handel notieren im IHK-Bezirk sogar noch unterhalb des Durchschnittswertes.
Der IHK-Konjunkturklimaindex ermittelt die Lagebeurteilung und die Erwartungen an die zukünftige Geschäftslage. Befragt wurden in der Frühsommerumfrage der IHK Gießen-Friedberg zwischen April und Mai 2022 knapp 900 Betriebe, mehr als jeder Dritte hat an der Befragung teilgenommen.
Unsere Betriebe stehen unter Druck. In den Lieferketten steigen die Preise immer weiter, und wichtige Vorprodukte kommen häufig verspätet“, schildert IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Leder die aktuelle Lage. Teilweise hätten sich die Energierechnungen um ein Vielfaches verteuert. Die Kehrtwende zu einer grundlastfähigen Form der Energieerzeugung hierzulande sei eine wichtige Konsequenz aus dem Ukraine-Krieg.
„Die jüngsten schrecklichen Ereignisse haben deutlich gemacht, dass eine Abkehr auch vom Gas dringlicher geworden ist“, betont IHK-Präsident Rainer Schwarz. Umso mehr müsse der Fokus auf die Speicherung gerichtet werden. Energie müsse somit bei Überproduktion aufgenommen und bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden. Knapp acht von zehn Betrieben sehen steigende Energie- und Rohstoffpreise als einen Risikofaktor für ihre Entwicklung an.
Mit akutem Fachkräftemangel muss sich jedes zweite Unternehmen auseinandersetzen, zeigt die Befragung. Arbeitskräfte werden dringend gesucht, die Anzahl offener Stellen steigt seit Jahresanfang kontinuierlich. Analog dazu entwickelt sich die Arbeitslosigkeit rückläufig. Im Bezirk der Arbeitsagentur Gießen, der den Landkreis Gießen, den Vogelsberg- und den Wetteraukreis umfasst, sank die Arbeitslosigkeit im Mai im Vergleich zum Vormonat um 0,1 Prozentpunkte auf 4,1 Prozentpunkte. Im Mai 2021 hatte sie noch 4,8 Prozent betragen. „Unternehmen sollten zum einen verstärkt auf die Ausbildung setzen, um gute Fachkräfte für morgen zu gewinnen. Zum anderen gilt es, dem Negativtrend eines mangelnden Interesses an einer dualen Ausbildung entgegenzuwirken. Mit dem IHK-Ausbildungsbotschafter Gießen wollen wir junge Menschen dafür begeistern“, unterstreicht IHK-Präsident Schwarz. Die Ausbildungsbotschafter besuchen allgemeinbildende Schulen und stellen den Schülerinnen und Schülern dort ihren Beruf „auf Augenhöhe“ vor.

Baubranche vor leeren Regalen

Die Erwartungen der Betriebe im IHK-Bezirk sind rundum getrübt. Mehr als jeder dritte Betrieb befürchtet eine Verschlechterung der Geschäftslage, von einer Verbesserung geht nur gut jeder zehnte Betrieb aus. Einen auffällig schlechten Konjunkturklimaindex weist das Baugewerbe mit 72,5 Punkten auf. Zu Jahresanfang 2021 hatte sich der Index noch bei knapp 117 Punkten bewegt. Der Rückgang ist größtenteils auf die mangelnde Verfügbarkeit von Waren zurückzuführen. Die Wartezeiten für Produkte wie Dachlatten, Kunststoffeimer oder Rohre sind teilweise immens.
Verbindliche Zusagen kann die Branche nicht mehr geben, oftmals halten sich daraufhin die Auftraggeber zurück. Viele Betriebe füllen ihre Lager auf, was die Knappheit auf den Baustoffmärkten verschärft. Hinzu kommen die Verzögerungen im Frachtverkehr. Der international verzweigte Baustoffmarkt wird durch den Stau von Containerschiffen, der sich nach China mittlerweile auch auf die Häfen Deutschlands, der Niederlande und Belgiens erstreckt, stark beeinträchtigt. Ein positives Zeichen ist jedoch, dass drei von vier Baubetrieben über eine unproblematische Finanzlage berichten.

Gastgewerbe hofft auf LEADER-Investitionen

Deutlich verbessert hat sich dagegen die Lage im Gastgewerbe. Neun von zehn Betrieben gehen von einer gleichbleibenden oder besseren zukünftigen Geschäftslage aus. Der Klimaindex notiert zwar mit einem Wert von knapp 92 Punkten noch unterhalb der Zufriedenheitsschwelle, hat sich aber gegenüber Jahresanfang (44,1 Punkte) deutlich verbessert.
Positiv wirkt sich der Trend zum Kurzurlaub in heimischen Regionen aus. Ob Kongresse, Ausstellungen oder Familienfeiern: Die großen Veranstaltungen beleben die gesamte Branche deutlich. Allerdings bleiben die Wirte vorsichtig. Nur 12,5 Prozent wollen ihre Kapazitäten ausweiten. In den Umweltschutz wollen dagegen 37,5 Prozent investieren.
Mittel- und langfristig werden die Unternehmen davor profitieren, dass eine Reihe öffentlicher Investitionen im Rahmen des LEADER-Programms zur Aufwertung des ländlichen Raums darauf abzielt, den Tourismus auch in der nächsten Förderperiode weiterhin anzukurbeln. In jedem Fall weist die hiesige Region ein hohes touristisches Potenzial auf, gerade mit Blick auf nachhaltigen und sanften Tourismus.
Im Einzelhandel ist die Stimmung nach wie vor getrübt. Der Klimaindex hat sich von 91 Punkten zu Jahresanfang auf aktuell 81,5 Punkte verschlechtert. Dies spiegelt die verhaltene Konsumlust der Verbraucher wider. Es herrscht insgesamt eine markante Konsumzurückhaltung. Dennoch planen viele Einzelhändler die Weitergabe der gestiegenen Einkaufspreise. Damit dürfte die Trendwende aber noch weiter ausbleiben. Erst eine stabile Preissituation und ein konjunktureller Aufschwung dürften eine Basis für mehr Konsumentenvertrauen schaffen.

Dienstleister positiv gestimmt

Im Dienstleistungssektor ist die Stimmung optimistisch. Der Index für die unternehmensbezogenen Dienstleistungen weist – wie zu Jahresanfang – einen Wert in Höhe von 118,2 auf, der für die personenbezogenen Dienstleistungen hat deutlich von 73 auf 102,5 Punkte zugelegt. Erneut werden von der Immobilienwirtschaft hohe positive Werte gemeldet (126,5 Punkte). Knapp jeder dritte Betrieb will verstärkt investieren und jeder Fünfte rechnet mit einem Umsatzanstieg. Die positive Entwicklung ist auf den Abbau der pandemiebedingten Einschränkungen zurückzuführen. Dieser Post-Corona-Schub stabilisiert die hiesige Wirtschaft.
Dagegen leidet der industrielle Sektor unter den Belastungen durch den Krieg, Lieferengpässe und stark gestiegene Preise. Jeder fünfte Industriebetrieb berichtet von einer schlechten Geschäftslage, jeder Dritte bemängelt sinkende Auftragseingänge, knapp jeder Zweite leidet unter Fachkräftemangel. Insbesondere die Nachfrage aus dem Ausland ist gefallen. Dennoch planen 36,4 Prozent der Betriebe, vermehrt zu investieren, insbesondere in Produktinnovationen und Kapazitätsausweitung. Aktuell beläuft sich der Klimaindex der hiesigen Industriebetriebe auf 86,2 Punkte.
„Wir beobachten, dass Innovationen Türöffner sind, um auch diese Krise zu bewältigen – auch wenn sie momentan nicht enden will. Zukunftsfähige Produkte und Dienstleistungen entstehen in unserem IHK-Bezirk täglich, das ermöglicht unseren Unternehmen, zu wachsen und ihre Existenz zu sichern“, erklärt IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Leder.
Herausgegeben am 15. Juni 2022
Stand: 28.12.2023