Konjunktur: Mit Mehltau überzogen
Zum Jahresende 2024 verfestigte sich der Trend einer lang anhaltenden strukturellen Krise. Im IHK-Bezirk sind die Unternehmen mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Eine nachlassende Inlandsnachfrage, hohe Energiekosten, immens hohe Bürokratielasten und unsichere Aussichten belasten die Geschäftstätigkeit und erfordern dringend innovative Lösungen und politische Unterstützung.
Die Wirtschaft im IHK-Bezirk steckt in einer anhaltenden Krise. Zwar stieg der Konjunkturklimaindex der IHK-Konjunkturumfrage minimal von 92,9 Punkten im Herbst auf 94,8 Punkte zur Jahreswende 2024/2025, dieser liegt jedoch noch immer deutlich unter der Zufriedenheitsschwelle von 100 Punkten. Seit 2021 verharren die Unternehmen im konjunkturellen Tief mit einem Durchschnittswert von rund 93 Punkten. Zum Vergleich: Der langjährige Durchschnitt zwischen 2014 und 2020 lag bei rund 115 Punkten. „Seit vielen Jahren stehen die Unternehmen im IHK-Bezirk vor großen Herausforderungen: Hohe Energiepreise und Steuerlasten, ein anhaltender Mangel an Fachkräften und eine enorme Bürokratielast gefährden die wirtschaftliche Stabilität der Unternehmen nachhaltig. Der Druck für unsere Unternehmen ist nach wie vor groß“, erklärt Präsident Rainer Schwarz, Präsident der IHK Gießen-Friedberg.
Lediglich 15 Prozent der Unternehmen erwarten eine Verbesserung ihrer geschäftlichen Lage, rund jeder dritte Betrieb rechnet mit einer Verschlechterung, wie die Befragung der IHK zur Jahreswende 2024/2025 aufzeigt. Erneut wird sichtbar, dass bei den kritischen Belastungsfaktoren weiterhin keine Entwarnung in Sicht ist. Rund 54 Prozent der Befragten betrachten die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen als das größte Risiko für ihre Geschäftsentwicklung. Dicht dahinter folgen der Fachkräftemangel mit 50 Prozent, die Inlandsnachfrage mit knapp 50 Prozent und die Energie- und Rohstoffpreise mit knapp 47 Prozent. „Es fehlt nach wie vor an Impulsen und konkreten Lösungen für einen nachhaltigen Aufschwung. Allein durch Steuersenkungen für Unternehmen und einen überfälligen und durchgreifenden Bürokratieabbau könnte ein wirksames Paket geschnürt werden, was der Wirtschaft wieder Rückenwind verleiht“, so Schwarz weiter. Befragt wurden von der IHK knapp 850 Betriebe im IHK-Bezirk. An der Befragung teilgenommen haben 307 Betriebe.
Beinahe alle Branchen – bis auf Dienstleister – blicken pessimistisch in die Zukunft. Besonders schwierig ist die Lage in der Gastronomie und Hotellerie. 75 Prozent rechnen hier mit Liquiditätsengpässen. Betriebe berichten über geplante Geschäftsaufgaben aufgrund von Fachkräftemangel und schwierigen Finanzierungsfragen. Insbesondere die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer Anfang 2024 nach der vorübergehenden Vergünstigung trifft die Betriebe. Höhere Energiekosten hätten zudem nur geringfügig durch Preiserhöhungen ausgeglichen werden können. Zwei von drei Betrieben erwarten eine ungünstige Geschäftsentwicklung, der Konjunkturklimaindex notierte im Gastgewerbe in der aktuellen Umfrage bei rund 70 Punkten.
Industrie auf Talfahrt
Ebenfalls besorgt äußert sich die Industrie. In dieser Branche beträgt der Konjunkturklimaindex 80 Punkte. In erster Linie belastet die Betriebe die schwache Inlandsnachfrage. Entsprechend gering fallen die geplanten Investitionen aus. Jeder dritte Betrieb rechnet zukünftig mit weniger Investitionen. Auch bei den Neueinstellungen zeichnet sich ein Negativszenario ab. Knapp 17 Prozent wollen weniger Arbeitskräfte einstellen. Die Regierungswechsel in anderen Ländern mit veränderten Rahmenbedingungen und die unruhige weltpolitische Lage belasten die Branche aufgrund ihrer internationalen Ausrichtung ebenfalls stark.
„Wir haben ein zweites Rezessionsjahr in Folge hinter uns. Wenn nicht endlich die Weichen für einen Aufschwung gestellt werden, droht ein drittes Rezessionsjahr. Das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nicht gegeben“, kritisiert IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Leder. Beim Blick auf das Wirtschaftsgeschehen scheine es, als sei die Wirtschaft von einem Mehltau überzogen, der jegliches Wachstum verhindere.
„Als IHK wollen wir Teil der Lösung sein. Daher bieten wir in Gießen mit der internationalen Konferenz ‚The World meets in Giessen‘ eine Plattform für Chancen auf ausländischen Märkten“, führt Leder aus. Am 21. und 22. Mai 2025 wird die Netzwerktagung erneut stattfinden und Experten aus Politik und Wirtschaft aus mehreren Kontinenten nach Gießen führen. Im Vordergrund steht der Austausch über Möglichkeiten der Kooperation, so etwa im Vertrieb, im Einkauf oder bei Investitionen.
Nachwirkungen des Verkehrsversuchs
Im Einzelhandel ist die Stimmung ebenso gedrückt. In Gießen wirkt der misslungene Verkehrsversuch noch nach. Er hatte sich in einer deutlich rückläufigen Frequenz in der Innenstadt und sinkenden Umsätzen ausgewirkt. Die Kundinnen und Kunden zurückzugewinnen ist in der aktuellen Lage, die durch eine zögerliche Konsumnachfrage gekennzeichnet ist, eine schwierige Aufgabe. Hinzu kommen Sorgen über den eigenen Arbeitsplatz, was ebenfalls die Konsumneigung untergräbt. Mit einem Indexwert von knapp 80 Punkten ist die Branche weit entfernt von einem optimistischen Blick in die Zukunft. In Gießen beträgt der Index lediglich 73 Punkte, konnte sich aber von seinem Tiefstand im Frühjahr 2024 mit knapp 51 Punkten wieder etwas erholen.
Zur Stärkung des Einzelhandels dient das IHK-Projekt „Heimat shoppen“. Einkauf und Konsum vor Ort werden damit gefördert. Auch kreative Lösungen wie das Friedberger Innovationsquartier Kaiserstraße begleitet die IHK. Initiatoren sind engagierte Geschäftsleute, die die Kaiserstraße mit innovativen Impulsen beleben wollen. Mit dem Hessentag in Bad Vilbel in diesem Sommer erwarten die Region und die IHK ein bedeutendes Ereignis, was den Ortskern der Brunnenstadt ins Rampenlicht rücken wird.
Bauwirtschaft könnte Talsohle erreicht haben
Die Bauwirtschaft steckt seit Jahren in der Krise. Stark erhöhte Zinsen und rasant gestiegene Baupreise haben die Finanzierung von Bauvorhaben seit nunmehr fünf Jahren erheblich erschwert. Entsprechend rückläufig entwickelte sich die Anzahl der Bauvorhaben. Eine Bodenbildung könnte sich aber abzeichnen. Mit einer Stabilisierung der Auftragszahlen rechnet das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) in seiner aktuellen Prognose. Grund dafür seien die leicht rückläufigen Zinsen. Im IHK-Bezirk verzeichnete der Konjunkturindex der Bauwirtschaft einen Anstieg um zehn Punkte von rund 86 auf 96 Punkte. Unverändert schwierig wirken sich jedoch die Bürokratielasten in der Bauwirtschaft aus. Genehmigungsverfahren ziehen sich in die Länge, Berichtspflichten ufern aus.
Auch der Verkehrssektor weist auf dieses Manko hin. Gesetze würden im Schnelldurchlauf verabschiedet, die Umsetzungsverordnung allerdings Monate dauern, sodass es keine Planungssicherheit gebe. Ein Logistikunternehmen aus dem IHK-Bezirk sieht 25 Prozent seines Umsatzes aufgrund neuer Vorschriften zum Tierversand und Paketbotenschutzgesetz als gefährdet an. Als ebenfalls kontraproduktiv werden von den Betrieben verschiedenster Branchen E-Rechnungen, Barrierefreiheit im Netz oder die Aufzeichnungspflicht von Arbeitszeiten genannt.
Dienstleister stabilisieren Wirtschaft
Stütze der Konjunktur sind die Dienstleister. Der Konjunkturindex erreichte in dieser Branche 109,3 Punkte. Insbesondere IT-Dienstleister (126 Punkte) sowie das Kredit- und Versicherungsgewerbe (132,7 Punkte) erzielen hohe Werte. Aus der Dienstleistungsbranche sind zudem Beschäftigungsimpulse zu erwarten. Jeder siebte Betrieb plant eine Ausweitung der Beschäftigung. Zudem ist die Branche innovativ: Jeder dritte Betrieb plant Produktinnovationen, im Kredit- und Versicherungsgewerbe sogar jeder zweite. Auch gelingt es der Branche deutlicher besser als anderen Sektoren, höhere Preise durchzusetzen. 2024 stiegen die Preise für Dienstleistungen im Vergleich zum Vorjahr mit 3,8 Prozent überdurchschnittlich, 2023 verzeichnete ebenfalls bei den Dienstleistungen deutliche Preissteigerungen. Versicherungen legten 2024 um 13,2 Prozent zu.
IHK bietet Unterstützung an
Eine Reihe von IHK-Initiativen sollen die Unternehmen bei Lösungen für konkrete Probleme unterstützen. Durch Initiativen wie den Internationalen Fachkräfte Nexus bietet die IHK Hilfe beim Zugang zu qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Ausland und zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit der lokalen Wirtschaft an. Mit dem Bürokratiemelder sammelt die IHK konkrete Beispiele, die an politische Entscheidungsträger weitergegeben werden. „Als IHK wollen wir das in unseren Möglichkeiten liegende tun, um den heimischen Unternehmen zur Seite zu stehen und sie dabei unterstützen, die enormen Herausforderungen zu meistern“, erklärte Matthias Leder. „Ohne Vertrauen in eine verlässliche wirtschaftspolitische Ausrichtung wird sich die Situation nicht zum Besseren entwickeln und Deutschland weiter hinter die restlichen Euro-Länder zurückfallen.“
Herausgegeben am 21. Februar 2025
Pressemeldung Nr. 13
Verantwortlich für den Inhalt: Doris Steininger, Tel. 06031/609-1100
Pressestelle: Doris Steininger, Tel. 06031/609-1100
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Stand: 26.02.2025