„Erwarten spürbare Entlastungen und wirkungsvolle Impulse“

Kontroverse Positionen bei der steuerpolitischen Podiumsdiskussion mit hochrangigen Politikern bei der IHK Gießen-Friedberg
„In einer Zeit, in der wir vor zahlreichen wirtschaftlichen Herausforderungen stehen, ist der Dialog zwischen Wirtschaft und Politik wichtiger denn je“, erklärte IHK-Präsident Rainer Schwarz zu Beginn der steuerpolitischen Podiumsdiskussion in Gießen. Unter dem Titel „Welche Steuer- und Finanzpolitik braucht das Land jetzt?“ hatte der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK) in den Plenarsaal der IHK Gießen-Friedberg eingeladen.
„Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise“, machte Schwarz deutlich.
Dabei spielten auch die Höhe der Steuersätze und Komplexität des Besteuerungsverfahrens eine Rolle. Auf der Suche nach immer mehr Differenzierung und Kontrolle sei ein System mit immer höheren Hürden entstanden. Dazu positionierten sich fachkundige Politiker und zeigten ihre Ideen und Lösungsvorschläge auf. Moderator der Veranstaltung war Carsten Jens, Journalist und viele Jahre Chef vom Dienst beim Hessischen Rundfunk.

Steuersystem vereinfachen

Die Vereinfachung des Steuersystems und der Abbau von Steuerbürokratie ist dringend notwendig – darin waren sich alle Parteivertreter einig. Anna Lührmann (Bündnis 90/Die Grünen), Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt, schlug als Erleichterung für den Normalbürger eine Erhöhung des Arbeiternehmerpauschbetrags vor:
„Durch eine Erhöhung des Pauschbetrags auf 1.500 Euro müssten 50 Prozent der Arbeitnehmer keine Belege mehr sammeln.“
Beim Bürokratieabbau seien Pragmatismus und gesunder Menschenverstand gefragt. Lührmann machte deutlich, dass Steuern nötig seien, um in Infrastruktur und Sicherheit zu investieren. Dabei müsse es gerecht zugehen und der Mittelstand und Familien entlastet werden. Zur Gegenfinanzierung sollten insbesondere Milliardäre einen stärkeren Beitrag leisten: In Deutschland umfasse dieser Kreis 255 Haushalte, die zusammen jährlich 5,7 Milliarden Euro mehr zum Steueraufkommen beitragen könnten.
Lennard Oehl, Mitglied des Finanzausschusses des Bundestags für die SPD erklärte:
„Wir müssen den Standort Deutschland wieder attraktiv machen. Dazu plant die SPD einen Made-in-Germany-Bonus, der Unternehmen einfach und unkompliziert einen Steuernachlass von 10 Prozent für alle Investitionen in Deutschland gibt.“
Bei der Einkommensbesteuerung müsse es sozial gerecht zugehen. Es dürften nicht die reichsten 10 Prozent stärker entlastet werden, als der breite Mittelstand. Der Spitzensteuersatz müsse zwar steigen, allerdings dürfe er erst bei deutlich höheren Einkommen greifen. Es sei grotesk, dass nach dem derzeit geltenden Steuertarif der Facharbeiter in der Industrie bereits den Spitzensteuersatz bezahle, erläuterte Oehl.
Für mehr Investitionen und weniger Konsum plädierte Jörg Michael Müller, Mitglied des Hessischen Landtags für die CDU: „Wir müssen die Investitionen in die Infrastruktur steigern und weniger im Sozialbereich ausgeben. Der soziale Marktwirtschaftsgedanke ist: Wir unterstützen diejenigen, die fallen und aufstehen wollen, aber nicht diejenigen, die liegen und nicht aufstehen wollen.“ Es sei wichtig, Steuergelder effizienter zu verwenden. Andere Länder würden mit viel weniger Steuergeldern viel mehr erreichen.
„Unser Staat ist zu dick geworden“, so Müller.
Die öffentliche Hand müsse lernen, sich zu begrenzen – sowohl, was die Ausgaben als auch die Regulierungen angehe.

Steuergerechtigkeit im Fokus

Dass Staat und Steuerbelastung immer größer würden kritisierte auch Bettina Stark-Watzinger (FDP), frühere Bundesministerin für Bildung und Forschung. Sie forderte:
„Wir brauchen weniger Belastung und mehr Entlastung – sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Menschen.“
Dazu gehöre es auch gesetzlich zu regeln, dass der Steuertarif laufend automatisch an die Inflation angepasst wird. Dieser sogenannte „Einkommensteuertarif auf Rädern“ verhindere, dass die Steuerbelastung bei Inflation immer größer wird, ohne dass die Politik eine Steuererhöhung beschließen müsste. Höhere Steuerbelastungen müssten öffentlich diskutiert werden und nicht durch einen heimlichen Mitnahmeeffekt des Staates eintreten. Die vorhandenen Steuereinnahmen müssten möglichst effizient eingesetzt und nicht weiter erhöht werden, erklärte Stark-Watzinger. Daher lehne die FDP auch die Einführung einer Vermögensteuer und eine Erhöhung der Erbschaftsteuer ab, weil es sich dabei um Steuern auf bereits versteuertes Geld handle – zumal sich der Staatshaushalt dadurch nicht sanieren lasse.
Aus Sicht von Christian Douglas vom AfD Kreisverband Main-Taunus könne nur eine grundlegende Veränderung des Steuersystems für den Abbau von Steuerbürokratie sorgen. Er plädierte für einen radikalen Abbau von Regulierungen:
„Es muss nur reguliert werden, was unbedingt reguliert werden muss, und nur verboten werden, was unbedingt verboten werden muss.“
Deutschland habe kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Daher forderte Douglas sowohl die Abschaffung von Fördertöpfen als auch den Verzicht auf die Einführung einer Vermögensteuer. Diese sei abgeschafft worden, weil ihre Erhebung zu kostenintensiv gewesen sei. Außerdem müsse die EU reformiert und auf wenige Regelungen wie Reise- und Zollfreiheit reduziert werden. Sollte eine Reform der EU nicht gelingen, müsse Deutschland aus der EU austreten und ein anderes Bündnis gründen.
Für Jörg Cezanne, Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Bundestags für Die Linke, sei eine schlichte Umverteilung von Geldern nicht der richtige Ansatz, um ein 60-Milliarden-Euro-Loch im Staatshaushalt zu kompensieren. Es gebe einen hohen Nachholbedarf bei der öffentlichen Infrastruktur und der Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Daher solle die Schuldenbremse ausgesetzt werden. Neben einer Erhöhung der Erbschaftsteuer sei aus Sicht der Linken auch die Einführung einer Vermögensteuer nötig, welche unmittelbar den Ländern und Kommunen zu Gute käme. Es gebe viele Milliardäre weltweit, die sich ihrer Steuerverantwortung entzögen. Diese müsse man stärker an der Finanzierung des Staates beteiligen. Die Einkommensteuer müsse komplett überarbeitet und untere Einkommensklassen entlastet werden.
„Die soziale Gerechtigkeit steht im Mittelpunkt unserer Ausrichtung“, betonte Cezanne.
Der Spitzensteuersatz solle ab einem steuerpflichtigen Jahreseinkommen von 70.000 Euro gelten und auf 53 Prozent angehoben werden.
Auch weitere Themen wie die Schuldenbremse und Energie- und CO2-Steuern wurden diskutiert. IHK-Präsident Schwarz legte den Politikern ans Herz: „Viele Bürger und Unternehmen erwarten von einer neuen Bundesregierung spürbare Entlastungen und wirkungsvolle Impulse für unseren Wirtschaftsstandort Deutschland. Ziel des Abends muss es sein, Brücken zwischen den Realitäten der Unternehmenswelt und den Vorstellungen der Politik zu bauen.“ Der sachliche, respektvolle Austausch aller Mitwirkenden an diesem Abend hat viele Ideen und Möglichkeiten aufgezeigt, wie kluge Steuerpolitik zu einer Überwindung der aktuell bestehenden wirtschaftlichen Krise beitragen und den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig sichern kann.
Stand: 12.02.2025