Brandenburgs Beste

Die Wirkstoffentwickler vom Biotechnologiepark

Wichtigste Säule der Brandenburger Wirtschaft sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Einige von diesen Firmen überzeugen durch Innovationen und Spezialisierungen. Sie bedienen Nischen, sind inhabergeführt und arbeiten nicht börsennotiert – die so genannten Hidden Champions. In unserer Serie stellen wir Brandenburger Unternehmen vor, auf die das zutrifft. Heute: die Chiracon GmbH.
Die Chiracon GmbH stellt Wirkstoffe für Arzneimittel her und beliefert damit Forschung und Pharmaindustrie. Die Firma ist seit 1998 im Biotechnologiepark Luckenwalde ansässig und errichtet aktuell ein eigenes Gebäude für die Entwicklung und Produktion. Geschäftsführer Dr. Ralf Zuhse rechnet in diesen Tagen mit dem Baubeginn. Es hätte schneller gehen sollen, aber für die pharmazeutische Produktionsstätte musste die Firma umfangreiche Auflagen erfüllen. Auch der Naturschutz forderte seinen Tribut, denn in der Nähe der Baustelle ist ein Biotop für Zauneidechsen gesichtet worden. Einige Reptilien wurden eingefangen und umgesiedelt. Eine Kunststoffumzäunung verhindert nun, dass die Eidechsen wieder auf das Baufeld zurückkehren. Der Neubau an der B 101 ist ein Beispiel für das erfolgreiche Wachsen eines Start-ups über 25 Jahre – vom gemieteten Labor bis zum eigenen Produktionsgebäude.

Der Gründer

Ralf Zuhse ist studierter Chemiker, er promovierte an der FU Berlin auf dem Gebiet der Naturstoffsynthese. Forschungsprojekte führten ihn dann für drei Jahre an die Florida State University (USA) und die University of Queensland (Australien). Die anschließende Anstellung bei einem großen Handelshaus für chemische Substanzen in Hamburg erweiterte seinen Blick auf die geschäftlichen Zusammenhänge. Seine Aufgabe war es, das Geschäft mit Chemieunternehmen in den USA zu entwickeln, dazu gehörten auch Zulassungsregeln und Zertifizierungen. „Mit Zahlen beschäftigt man sich als Chemiker normalerweise nicht, aber jetzt waren um mich herum nur Kaufleute. Auch ich wurde plötzlich an meinem wirtschaftlichen Ergebnis gemessen“, erzählt Zuhse. Er empfand das als eine spannende Herausforderung. Aus seiner Handelstätigkeit wusste Zuhse, dass der Wirkstoffmarkt Chancen für Gründer bietet. „Die Produktion kleiner Mengen kann der Mittelstand besser als Unternehmen der Big Pharma, die sich damit auch gar nicht beschäftigen wollen“, erläutert er. So entstand seine Geschäftsidee.

Der Name Chiracon

Das eigene Start-up bot dem Gründer die Möglichkeit, sein Fachwissen als Chemiker und seine kaufmännischen Erfahrungen zusammenzubringen. 1997 schrieb er seinen Businessplan. Bald darauf zog er zusammen mit seiner Frau und seinen drei Kindern von Hamburg nach Berlin. Auf der Suche nach bezugsbereiten Laborflächen wurde er in Luckenwalde fündig. Dort hatte der Landkreis eine ehemalige Sowjetkaserne grundlegend saniert und Labore eingerichtet, die auch bereits die Sicherheitsanforderungen erfüllten. Es war die einmalige Chance, ohne große Investitionen in die Arbeitsplätze zu beginnen. Dr. Ralf Zuhse startete damals zusammen mit drei ehemaligen Studienkollegen. Es war eine ihrer ersten Aufgaben, die ISO-Zertifizierung voranzutreiben und mit dem Good Manufactoring Practice (GMP) einen Qualitätsnachweis der Patientensicherheit zu erlangen. Der Name Chiracon ist übrigens abgeleitet von den chiralen Substanzen, die das Unternehmen entwickelt. Das sind chemische Verbindungen, deren Molekülstruktur sich verhält wie Bild und Spiegelbild. Diese hochwertigen Syntheseprodukte können zum Beispiel zur Verbesserung der Wirksamkeit oder zur Reduzierung von Nebenwirkungen von Medikamenten genutzt werden.

Wachsen am Markt

Die Firma ist aber nicht auf bestimmte Wirkstoffe festgelegt, sondern passt ihr Angebot der Nachfrage an. Die Kunden sind Apotheken mit eigener Medikamentenherstellung oder Krankenhausapotheken, die pharmazeutische Ausgangsstoffe für individuelle Rezepturen bestellen. Solche kleinen Wirkstoffmengen werden auch benötigt, wenn ein Medikament zuerst nur für die klinische Erprobung bereitgestellt werden soll. Chiracon ist Partner der Hersteller bis zur Zulassung von kommerziellen Produkten. Zu den Dienstleistungen gehören Wirkstoffanalyse, Dokumentation und Qualitätsmanagement.

Seit ihrer Gründung hat die Chiracon bereits über 250 Wirkstoffentwicklungen erfolgreich abgeschlossen und über 20 Pharmawirkstoffe über alle Entwicklungsphasen begleitet. Die Produktion kleiner Mengen ist auch deshalb ein wachsendes Marktsegment, weil immer öfter patientenindividuelle Medikamente verlangt werden, zum Beispiel in der Krebstherapie. Ralf Zuhse hatte die Marktlücke ausgemacht, jedoch sollte es ein langer und anstrengender Prozess werden. Es stellte sich heraus, dass Entscheidungswege in der Pharmaindustrie eingefahren sind und das Vertrauen in ein Start-up nur langsam wächst. Die regelmäßigen Messebeteiligungen und die Mitarbeit in verschiedenen Fachgremien und Netzwerken haben jedoch den Erfolg gebracht. „Inzwischen kommt es vor, dass sich Kunden auf Empfehlung über drei Ecken melden, das sind dann immer spannende Geschichten“, sagt Ralf Zuhse.

Partner der Wissenschaft

Dr. Ahmad Tahrani ist gebürtiger Syrier, lebt seit 18 Jahren in Deutschland, hat in Heidelberg promoviert und ist seit fast elf Jahren in Luckenwalde zu Hause. So lange leitet er die Qualitätskontrolle. Eine Schlüsselposition, denn nichts ist in der Medikamentenherstellung wichtiger als die Qualität mit dazugehöriger Dokumentation. Der Pharmazeut hat Chiracon durch ein Forschungsprojekt der Uni Heidelberg kennengelernt. Damals arbeitete seine Universität bei der Entwicklung eines Aids-Medikaments für Afrika mit dem Luckenwalder Unternehmen zusammen. Solche Kooperationen mit Forschungsstätten sind häufig. Chiracon stelt die einzelnen Chargen nach Kundenanforderung her.

Bindung an Luckenwalde

Die freundliche Aufnahme durch den Landkreis, das Engagement des damaligen Biotechnologiepark-Managers Christoph Weber und nicht zuletzt eine Förderung durch die Investitionsbank des Landes Brandenburg gaben für Zuhse den Ausschlag, Chiracon in Luckenwalde anzusiedeln. Er selbst wohnt mit seiner Familie in Marienfelde, ganz im Süden von Berlin. Mit dem Ausbau der B101 sind das gerade einmal 30 Minuten Arbeitsweg. Als 2020 die Entscheidung für den Firmenneubau anstand, war für Zuhse ganz klar, dass es wieder in Luckenwalde sein würde. Er beschäftigt heute am Standort rund 40 Mitarbeitende, darunter zwölf promovierte Naturwissenschaftler als Chemiker und Biologen sowie einen Apotheker. Vor allem die technischen Mitarbeitenden sind aus der näheren Umgebung, einige haben sogar im Unternehmen gelernt. Möglich war das für eine hochspezialisierte Firma wie Chiracon durch die Verbundausbildung. Die Azubis lernten zunächst zwei Jahre bei ortsansässigen Bildungsträgern und konnten dadurch alle Themenfelder kennenlernen, die für den Beruf nötig sind. Weil die Nachfrage zu gering war, gibt es inzwischen keine überbetriebliche Laborantenausbildung in Luckenwalde mehr. Ralf Zuhse bedauert das, aber Chiracon bildet weiter aus, jetzt mit anderen Partnern.

Ausbildung im Unternehmen

Robert Hügelow ist seit 2004 im Unternehmen. Er hat in der Firma gelernt und arbeitet heute als Laborant. Produktionsleiter Dr. Thomas von Schrader ist stolz auf Mitarbeitende wie ihn, denn sie haben von der Ausbildung an die Arbeitsweise der Firma verinnerlicht: „Verlässlichkeit ist das oberste Prinzip.“ Dazu gehört bei der Synthese die Betrachtung aller Rahmenbedingungen, die beim Wirkstoff zu Abweichungen führen könnten. Gleiches gilt für die Bewertung der Ergebnisse. Eine offene Fehlerkultur ist Voraussetzung, dass Ursachen rechtzeitig erkannt und beseitigt werden können.

Gutes Betriebsklima für gute Mitarbeitende

Thomas von Schrader ist promovierter Chemiker. Nach einer zehnjährigen Laufbahn als Wissenschaftler – unter anderem im englischen Nottingham – erfuhr er 2010 von dem Stellenangebot in Luckenwalde. Er entschied sich für das Start-up, weil er als Produktionsleiter in einem kleinen Unternehmen noch selbst im Labor arbeiten konnte. Er sagt: „Ich war das aus meiner Forschung an der Uni gewohnt und hätte es sehr vermisst.“ Inzwischen ist die eigene Labortätigkeit aber weniger geworden, die Schreibarbeit hat zugenommen. Der Produktionsleiter muss immer mehr delegieren. Zur Mitarbeiterbindung trägt ein Start-up-typisches Betriebsklima bei. Dazu gehört das kostenfreie Mittagessen in der Kantine ebenso wie Obst und Getränke, die ständig zur Verfügung stehen. Oder die persönliche Unterstützung von ausländischen Mitarbeitenden, die über die Blue-Card-Regel in Deutschland beschäftigt werden, und bei der Anmeldung noch Unterstützung brauchen. Diana Jahn hat an der Entwicklung der Unternehmenskultur erheblichen Anteil. Sie ist langjährige Personalchefin und Verwaltungsleiterin. Drei Azubis lernen zurzeit bei Chiracon den Beruf des Laborassistenten. Da diese Ausbildung sehr anspruchsvoll ist, sind vor allem Abiturienten gefragt. Mit dem geplanten Wachstum der Firma will Diana Jahn künftig auch Kaufleute für Bürokommunikation ausbilden. „Unsere Azubis sind alle top, wir wählen aber auch gründlich aus. Das Wichtigste ist dann der Aufbau einer Vertrauensbasis“, sagt Diana Jahn.

Bekanntheit vor Ort ist gut für die Nachwuchsgewinnung

Auch über Schülerpraktika haben die Wirkstoff-Hersteller schon Azubis gewonnen. Sie sind eine Möglichkeit, Chiracon für junge Leute sichtbar zu machen. Dr. Zuhse sagt: „Wir freuen uns auch über jede Presseveröffentlichung, damit die Menschen im Umkreis erfahren, was wir tun.“ Im vergangenen Jahr gab es viel Presse, denn Chiracon gewann den „Zukunftspreis des Landes Brandenburg“, der von den IHKs, den Handwerkskammern und weiteren Partnern ausgeschrieben wurde. Die Jury würdigte damit die kontinuierliche Unternehmensentwicklung, Chiracon ist zu einem Aushängeschild für den Biotechnologiepark geworden. Die Preisträger bekamen ein professionelles Präsentationsvideo, das in wenigen Minuten auf den Punkt bringt, was die Chiracon eigentlich macht. Zu sehen ist es auf der Firmen-Homepage.

Perspektive

Mit dem Neubau verdoppelt sich die Produktionsfläche, es können mehr unterschiedliche Wirkstoffe zugleich produziert werden. Chiracon vertreibt seine Produkte weltweit, bleibt aber weiterhin in der Nische der hochwertigen pharmazeutischen Ausgangsstoffe. Dabei geht es nicht um Tonnen, sondern pro Charge um maximal 20 Kilogramm pro Wirkstoff. Die Entwicklung von Wirkstoffen aus mehreren Komponenten, inklusive Dokumentation für die Zulassung, ist ein Zukunftsmarkt. Dabei ist es ganz entscheidend, dass der Geschäftsführer und seine Führungskräfte mit der Pharmaindustrie auf Augenhöhe sprechen. „So erfahren wir manchmal von Dingen, die gebraucht werden, mit denen sich ein Konzern aber nicht beschäftigen kann oder will.“
Punktuell möchte Geschäftsführer Zuhse künftig auch hoch spezialisierte Medikamente selbst produzieren, dafür hat er bereits eine Tochterfirma gegründet, die Chiracon Pharma. Es werde dabei immer um relativ kleine Patientengruppen gehen, so Zuhse. Er denkt, dass die Massenware wie Ibuprophen, Aspirin und die meisten Generika auch künftig aus Indien und China kommen werden, selbst wenn die Politik es anders wünscht. Zwar haben Lieferkettenprobleme in diesem Jahr zu einem Aufschrei in den Medien geführt, aber eine Massenproduktion in Europa wäre nicht finanzierbar.
FORUM/Bolko Bouché
Jens Jankowsky
Referent Innovation/Energie
Geschäftsbereich Wirtschaftspolitik