Interview

Wirtschaft ohne Werte verspielt unsere Zukunft

Am 23. Mai 2025 findet in Prädikow der IHK Casual Friday statt. Ein Netzwerktreffen der besonderen Art – ungezwungen, mit innovativen Unternehmen und an interessanten Standorten der Region. Mit dabei ist Norbert Kunz, Geschäftsführer von Social Impact. Der Visionär war bereits mehrfach in Davos auf dem Weltwirtschaftsforum. Mit FORUM hat er über eine gerechte und zukunftsfähige Wirtschaft und Gesellschaft von morgen gesprochen.
FORUM: Herr Kunz, wenn man sich Ihre Projekte anschaut, fällt auf: Sie arbeiten oft mit und für Menschen, die benachteiligt sind. Es geht um Integration, das Stadt-Land-Gefälle oder Rechtspopulismus. Was motiviert Sie, sich täglich für diese Zielgruppen stark zu machen? Muss man dafür Idealist sein – oder sogar unerschütterlich?
Norbert Kunz: Ich drehe die Frage gern um: Warum kümmern sich eigentlich so viele nicht darum? Wir sehen das als eine gesellschaftliche Aufgabe. Es geht darum, soziale Missstände zu beseitigen und gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Menschen mit Behinderung, mit Migrationsgeschichte oder aus strukturschwachen Regionen erfahren besonders viele Hürden – unsere Arbeit ist darauf ausgerichtet, das zu ändern.
FORUM: Social Impact ist keine klassische NGO, sondern agiert unternehmerisch. Wie funktioniert Ihr Geschäftsmodell – wer finanziert Ihre Arbeit?
Norbert Kunz: Wir sind ein Sozialunternehmen, das heißt: Wir arbeiten unternehmerisch, aber mit sozialer Zielsetzung. Unsere Produkte und Dienstleistungen richten sich gezielt an benachteiligte Zielgruppen. Unsere Finanzierung basiert auf mehreren Säulen – öffentliche Förderungen von Bund, Ländern und Kommunen, aber auch Kooperationen mit Stiftungen und Unternehmen. Wir beteiligen uns an Ausschreibungen und werben proaktiv. Damit wir beauftragt werden oder Förderungen bekommen, entwickeln wir vorab überzeugende Konzepte. Es geht darum, mit unserer Arbeit öffentliche Folgekosten zu reduzieren. Mit dieser Vorgehensweise sind wir seit über 30 Jahren mit inzwischen 150 Mitarbeitern erfolgreich.
FORUM: Was gewinnt die Gesellschaft insgesamt, wenn Wirtschaft sich inklusiver aufstellt?
Norbert Kunz: Ich erinnere mich an eine kürzliche Diskussion mit Vertretern eines Wirtschaftsministeriums, übrigens nicht das Brandenburger. Da zeigte sich der unterschiedliche Blick auf Herausforderungen. Es war eine Panel-Sitzung und aus dem Auditorium kam die Frage, warum Non Profit Organisationen nicht unterstützt werden. Die Antwort vom Ministeriumsvertreter: sie generieren keine Steuern. Dabei ist die Sozialwirtschaft in vielen Regionen der größte Arbeitgeber. Und sie spart dem Staat langfristig die bereits erwähnten öffentlichen Folgekosten – ein Effekt, der genauso wichtig ist wie Steueraufkommen.
FORUM: Und was bringt es Unternehmen, sich für benachteiligte Menschen zu öffnen – sei es als Mitarbeitende, Kunden oder Teil der Gemeinschaft?
Norbert Kunz: Für Unternehmen lohnt sich Vielfalt auf mehreren Ebenen: Sie können Fachkräfte gewinnen, die bislang übersehen wurden. Es gibt enormes Potenzial bei Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund. Und es entstehen neue Geschäftsmodelle – denken Sie an Mikrokredite oder Mikroversicherungen, die heute millionenfach wirken. Soziales Engagement rechnet sich – wirtschaftlich und menschlich.
FORUM: Wo verläuft die Grenze zwischen der Verantwortung des Staates und der Verantwortung der Wirtschaft?
Norbert Kunz: Das ist eine Frage, über die ich stundenlang philosophieren könnte. Generell ist es ein Zusammenspiel. Der Staat sorgt für Ausgleich und Regulierung – er verhindert, dass private Interessen den gesellschaftlichen Wohlstand gefährden. Gleichzeitig bildet die Wirtschaft die ökonomische Basis unserer Gesellschaft. In einer sozialen Marktwirtschaft geht es darum, Balance zu halten. Der Staat muss eingreifen, wenn eine Monopolbildung, Abhängigkeiten und riesige Ungleichverteilungen drohen – aber er muss auch den Rahmen schaffen, damit soziale Innovationen gedeihen können.
FORUM: In den USA werden Diversity-Programme derzeit mit erstaunlicher Geschwindigkeit zurückgedrängt – sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Hat Sie das überrascht? Rechnen Sie mit ähnlichen Tendenzen auch in Deutschland?
Nobert Kunz: Die Geschwindigkeit und Vehemenz, mit der das geschieht, hat mich schockiert. Es ist erschreckend, wie Begriffe auf den Kopf gestellt werden – plötzlich gilt Diversität als Diskriminierung der Mehrheitsgesellschaft. Diese Rhetorik macht sprachlos. Und ja, auch in Europa sehen wir solche Tendenzen. In Deutschland müssen wir sehr aufpassen, wenn es um Integration und Migration geht. Erste Anzeichen eines Rückschritts sind sichtbar. Wir dürfen das nicht ignorieren. Ich wünsche mir, dass Bund und Länder viel stärker in soziale Innovationen investieren. Wir haben alle Technologien und das Wissen, um Armut und Benachteiligung zu überwinden – wir setzen sie nur nicht richtig ein. Der Fokus liegt zu oft auf Wachstum und Profit statt auf Lebensqualität, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Das muss sich ändern.
FORUM: Und was gibt Ihnen Hoffnung in Ihrer täglichen Arbeit?
Norbert Kunz: Die Menschen. Wir hatten vor kurzem das Forum für soziale Innovation in Berlin – über 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Vielfalt, das Engagement, der Wille zur Zusammenarbeit: Das war beeindruckend. Vor 15 Jahren war die Idee eines Ökosystems für soziale Innovationen noch belächelt – heute ist es Realität. Zehntausende Sozialunternehmen mit hunderttausenden von Arbeitsplätzen in Deutschland verändern Märkte. Ihre Produkte und Dienstleistungen tragen dazu bei, sozial benachteiligten Menschen zu helfen und unseren Konsumstil zu verändern. Sie unterstützen den Aufbau fairer Handelsbeziehungen und schützen die Natur. In diesen Unternehmen steckt viel Potenzial, um die gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen zu meistern. Und das gibt Hoffnung. Wir dürfen nicht immer wieder in dasselbe investieren und den Narrativen einer inzwischen 200 Jahre alten Industriegesellschaft einzahlen. Wir nutzen Grundprinzipien einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die schon längst überholt ist.
FORUM: Und wie schaffen wir den Wandel?
Norbert Kunz: Die größte Hürde ist Angst. Angst vor Veränderung lähmt. Unternehmen haben beispielsweise Angst, Innovationen einzuführen, weil sie möglicherweise dann weniger Gewinne machen könnten oder beim Scheitern eine Insolvenz drohen könnte. Aber wir müssen diese Angst überwinden. Ich wurde 2012 vom Weltwirtschaftsforum als „Social Entrepreneur of Europe“ ausgezeichnet und war mehrfach in Davos und daher weiß ich, dass selbst bei den großen Playern ein Umdenken beginnt. Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums, war einst ein Verfechter des neoliberalen Kapitalismus. Heute sagt er: So kann es nicht weitergehen. Doch der Weg vom Kopf zum Herz ist weit.
FORUM: Blicken wir zehn Jahre voraus – was erwarten Sie?
Norbert Kunz: Ehrlich gesagt: Ich bin eher pessimistisch. In Zeiten der Unsicherheit neigen Menschen dazu, sich ins Vertraute zurückzuziehen – das erklärt den Aufstieg rechter Bewegungen auch hierzulande. Aber die „alte“ Welt, zu der man zurück möchte, gibt es nicht mehr. Wir befinden uns in einem Umbruch. Es wird wehtun. Aber wir haben das Wissen, die Technologien, das Kapital. Wir müssen es nur gerecht verteilen und den Mut haben, Neues zu wagen. Sonst verspielen wir unsere Zukunft – und vor allem die unserer Kinder.
Es fragte Katharina Wieske
Casual Friday: Am 23. Mai 2025 lädt die IHK Ostbrandenburg gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum für Soziales Unternehmertum Brandenburg von 16 bis 21 Uhr zum Casual Friday auf den historischen Hof Prädikow ein. Hier gibt es spannende Einblicke in soziales Unternehmertum und die Möglichkeit sich mit etablierten und innovativen Unternehmen zu vernetzen. Anmeldung hier.
Annett Schubert
Leiterin
Regionalcenter Oderland