Erholen ohne Hindernisse

Alltagsbarrieren

Ganz entspannt eine Auszeit genießen, egal, ob Ausflug oder Urlaub – nicht für alle Menschen ist das unkompliziert möglich. Barrieren erschweren den Weg – und die gibt es in jedem Bereich. Zuerst fallen einem dann Rollstuhlfahrer oder Nutzer von Rollatoren ein, Menschen mit Defiziten im Sehen oder Hören. Aber es ist zu kurz gedacht, hier nur körperliche oder geistige Beeinträchtigungen im Blick zu haben. Barrierearmut oder gar -freiheit bieten noch viel mehr Personengruppen einen leichteren und damit gleichgestellten Zugang zum Leben. Viele Touristiker wissen längst, dass sie gut beraten sind, wenn sie sich in ihren Gast hineinversetzen und ihre Leistungen an seinen besonderen Erwartungen ausrichten.
Barrierefreiheit ist für etwa zehn Prozent der Bevölkerung unentbehrlich, für rund 40 notwendig und für 100 Prozent komfortabel, heißt es in einer vom damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erarbeiteten Studie. Das unterstreicht, dass die Berücksichtigung von Barrierefreiheit allen Menschen Vorteile bringt. Und: Angesichts der demografischen Entwicklung steht es außer Frage, dass sich das Verhältnis verschieben wird, dass also die Zahl jener, für die die Barrierefreiheit unentbehrlich oder notwendig ist, größer wird.

Fakt ist jedoch auch, dass ein touristischer Betrieb allein hier nichts ausrichten kann. Was nutzt das mit größter Umsicht eingerichtete Quartier oder zusammengestellte Produkt, wenn das Umfeld nicht stimmt, wenn der Zugang zu große Barrieren auftürmt. Und damit sind nicht nur jene gemeint, die die physische An- und Abreise sowie das Zurechtkommen im öffentlichen Raum betreffen, sondern auch jene in der digitalen Welt – die Webauftritte. Hindernisse müssen überall abgebaut werden.

Workshop zum Sensibilisieren

Projekte im barrierefreien Tourismus werden unter anderem von der Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH (TMB) und ihren Partnern angeboten. Dazu gehören zum Beispiel Sensibilisierungs-Workshops, die einen Perspektivwechsel bieten und die möglichen Hindernisse ihm wahrsten Wortsinn begreifen und erfahren lassen.

Wer nach einer Verletzung schon mal auf den Rollstuhl angewiesen war, weiß, wie beschwerlich es sein kann, von A nach B zu kommen. Kanten und schmale Türen sind nur das eine. Über einen Tresen an der Rezeption zu schauen ist ebenso problematisch, wie Aushänge zu lesen.
Eine Jacke in den Schrank hängen? Hier ist die Kleiderstange unerreichbar. Ein anderes Beispiel: die Orientierung für jene, die Schwierigkeiten mit dem Sehen haben. Im Hotel sind Etagen und Zimmer häufig mit flachen Schildern gekennzeichnet. Die Hinweise dreidimensional aufzubringen, wäre eine Erleichterung. Oft sind es schon ganz kleine Dinge, die helfen, Barrieren abzubauen. Sie müssen halt erkannt werden.

Barrierefreie Naturerlebnisse

Mitte April haben sich auf Einladung der Naturwacht Brandenburg und der TMB, unterstützt von Fachberater Dr. Kai Pagenkopf (NeumannConsult), Rangerinnen und Ranger aus brandenburgischen Großschutzgebieten zum Erfahrungsaustausch im Schweizer Haus Buckow im Naturpark Märkische Schweiz getroffen. „Bei dem Workshop ging es um die Vermittlung barrierefreier Naturerlebnisse“, berichtet Kerstin Lehmann, bei der TMB für barrierefreies Reisen zuständig.

Grundlage der Reflexion bildeten die Fragen: Wie passt die Vielfalt der Gäste zu den existierenden baulichen und sensorischen Barrieren, jenen im Service und im zwischenmenschlichen Verhalten? Und wie kann bei Outdoor-Führungen sichergestellt werden, dass alle möglichst viel von diesem Erlebnis haben?

Einfach machen

„Um sich dem Thema zu nähern, gab es hier praktische Übungen im Rollstuhl und mit Simulationsbrille. Sie halfen, sich in die Lage von Gästen mit Einschränkungen zu versetzen“, berichtet Kerstin Lehmann. Als Aufgabenfelder herausgearbeitet wurden Themen wie: die Perspektive der Gäste schon in der Planungsphase einzunehmen, den Vorteil inklusiver Angebote statt „Behinderten-Extrawürste“ zu erkennen, geschlossene Serviceketten auch bei Naturerlebnissen zu beachten (zum Beispiel die nächste nutzbare Toilette und dafür mit Cafés oder anderen Partner vor Ort vernetzen) und die Verständigung auf das Credo „Weniger reden, einfach machen!“.

Letzteres ist ein Wegweiser, denn wohl kein Gast erwartet Vollkommenheit. Anfangs zählen die Gesten, das Erkennen der Aufmerksamkeit, das „Sich-Gedanken-Machen“ und der schrittweise Abbau vorhandener Hindernisse. Die Schaffung von Barrierearmut und irgendwann vielleicht auch -freiheit ist eine Entwicklung, die Umsicht und Empathie erfordert, sowie einen fortlaufenden Prozess darstellt.

Gute Beispiele gibt es eine ganze Menge und somit bereits einen reichen Erfahrungsschatz, auf den zurückgegriffen werden kann. „FORUM“ hat derer drei exemplarisch herausgegriffen.
FORUM/Anke Beißer

Gelebte Inklusion im ElsterPark in Herzberg

"Das Miteinander ist ein absoluter Gewinn"."
Als Carsten Kühn sich im Herbst 2021 für den Schritt zurück in die Gastronomie entschied – eigentlich hatte der Hotelfachmann der Familie wegen das Berufsfeld verlassen –, betrat er zumindest in fachlicher Hinsicht komplettes Neuland.
Lange von der ELSTER WERKE gGmbH umworben, hat er sich schließlich überzeugen lassen, in die barrierefreie Bildungs- und Erlebniswelt in Südbrandenburg zu wechseln und die Leitung vom ElsterPark in Herzberg zu übernehmen. „Ich bin halt Gastronom durch und durch und das Konzept ist spannend.“

Kühn verließ mit seiner Frau und den drei Kindern das Zuhause in Teltow-Fläming, zog mit seiner Familie nach Falkenberg und führt seither ein 30-köpfiges, inklusives Team, das hälftig aus Fachkräften und aus Menschen mit Beeinträchtigungen besteht. „Ich habe es nie bereut, es ist eine großartige Erfahrung.“ Und so gemischt wie das Team, so gemischt ist auch die Gästeschar, die die Angebote im Restaurant „BlauHaus“, im Hotel „Traum-Haus“, dem TagungsHaus und in der „ErlebnisWelt“ wahrnimmt – wobei hier jene mit Beeinträchtigung zwei Drittel der Buchungen ausmacht.

Den ElsterPark gibt es seit 2014, und seither können hier Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen gleichberechtigt ihre Freizeit oder ihren Urlaub verbringen. Auch für Firmen-Events, Workshops und Tagungen bietet das Objekt den passenden Rahmen. Die Frage, ob es für alle Gäste geeignet ist, stellt sich nicht.
„Anders als bei Tim Mälzer und seiner Fernsehstaffel ,Herbstresidenz‘, bei der Menschen mit Behinderung eine Zeit lang begleitet von einem Fernsehteam alten Menschen im Pflegeheim zur Seite stehen, leben wir das Konzept 365 Tage im Jahr. Hand in Hand und durch und durch authentisch“

Carsten Kühn, Leiter ElsterPark

Die Herausforderung: Jeden der Schutzbefohlenen aus der Werkstatt – sinnbildlich gesprochen – tagtäglich von dem Bahnhof abzuholen, von dem er abgeholt werden will. Gemeint sind sein Gemütszustand, seine physische und psychische Verfassung. Es gibt wie bei jedem Menschen gute und schlechte Tage, nur eben mitunter extremer. Etwas überstülpen, einfordern oder erzwingen, sei der falsche Weg. Der Umgang erfordere viel Einfühlungsvermögen. Aber: „Sie sind so dankbar, so herzlich, das Miteinander ist ein absoluter Gewinn.“

Inklusiver Arbeitgeber

Der ElsterPark ist als inklusiver Arbeitgeber in der Tourismusbranche zweifelsohne ein Vorreiter in Brandenburg. Seine Angebote stehen dem in nichts nach. Für die Beherbergung im „TraumHaus“ gibt es 21 Zimmer mit insgesamt 55 Betten. Acht Zimmer verfügen über ein Pflegebett. Alle Unterkünfte sind barrierefrei und somit rollstuhlgerecht. Die Schränke verfügen über Schiebetüren und eine herausziehbare Kleiderstange für kleinere Menschen oder Rollstuhlfahrer. Auch die Bäder sind den Bedürfnissen beeinträchtigter Menschen angepasst.

Aber nicht nur an körperliche Gebrechen ist gedacht. Um Menschen mit einem verminderten Sehvermögen die Orientierung zu erleichtern, zieht sich es ein markantes Farbkonzept durch das Objekt. Die Zimmernummern sind zum Beispiel ertastbar und im Fahrstuhl findet sich neben den üblichen Knöpfen mit Zahlen auch das Pendant in Brailleschrift. „Und die Etage wird angesagt“, zählt Kühn auf. Im Restaurant mit je 70 Plätzen im Saal und auf der Terrasse setzt sich diese Aufmerksamkeit fort.
Denn die regionale Speisekarte gibt es ebenfalls in Brailleschrift und mit Piktogrammen. Letztere dienen übrigens auch in der Küche, dem Reich von Chefkoch Markus Münzer, als Arbeitsmittel. Hier zudem kombiniert mit Zahlen. „Je einfacher, umso verständlicher für die Werkstatt-Mitarbeiter. Und je weniger Hürden, umso besser gelingt die Inklusion.“

Ganzheitlicher Ansatz

Gut untergebracht und gut verpflegt zu sein ist im Fall des ElsterParks aber nur die eine Seite der Medaille. Die ErlebnisWelt komplettiert das Paket. Erlebnispädagogik, Boots- und Fahrradverleih, ein Hochseilgarten mit Niedrigseilparcours und diverse Sport- und Geschicklichkeitsspiele machen die Auszeit zu einer runden Sache.
Zudem arbeitet die Einrichtung mit Partnern zusammen, die Hilfsmittel und Pflegeassistenz zur Verfügung stellen können. Wenn der ElsterPark-Chef von seinem Alltag erzählt, schwingt neben Begeisterung für die Arbeit und sein Team vor allem Stolz auf das Erreichte mit. Gern verweist er auf mehrere Auszeichnungen. 2019 hat die Herzberger Einrichtung den Tourismuspreis des Landes Brandenburg in der Kategorie „Tourismus für Alle“ gewonnen. In diesem Jahr hat es das „BlauHaus“ unter die besten 1850 Restaurants in Deutschland geschafft und nennt eine Falstaff-Gabel sein Eigen.

Carsten Kühn sieht den ElsterPark in Sachen Barrierefreiheit schon sehr gut aufgestellt. „Wir sind trotzdem für jeden weiteren Hinweis dankbar.“ So haben Rollstuhlfahrer moniert, dass die Teppiche im Flur und in den Zimmern hinderlich sind. „Wir hatten uns mit Blick auf den Schallschutz und auf Allergiker für diese entschieden, aber nicht bedacht, dass sie rollhemmend sind. Also müssen wir hier nachbessern.“

Für Inklusion braucht es alle

Auf Veränderung an anderer Stelle kann er jedoch nur hoffen. Denn: „Was nutzt das barrierefreie Objekt, wenn es nicht barrierefrei zu erreichen ist? Wir haben zwar eine Wendeschleife, hier hält aber kein Bus. Und die Anreise mit der Bahn endet mit dem Halt des Zuges in Herzberg. Aus dem Wagen raus kommt der Rolli-Fahrer dort nicht.“ Probleme, die seinerseits nur immer wieder angesprochen werden können – lösen müssen sie andere. Nur wenn alle mitziehen, kann Inklusion zur Selbstverständlichkeit werden.
FORUM/Anke Beißer

Mit dem Rolli in den Strandkorb am Senftenberger See

Zweckverband Lausitzer Seenland zeigt, wie es geht
Warum in die Ferne schweifen – fragt sich so mancher, der nach einem Urlaubsziel sucht und um die Attraktivität des Lausitzer Seenlandes weiß. Das Gebiet im Südosten Brandenburgs mit seinen aus Tagebaulöchern gebildeten Seen ist längst kein Geheimtipp mehr und gilt schon eine Weile als Mekka für Fahrrad- und Wassersportfreunde sowie Industriekultur-Interessierte.
Nach beendeter Tagebaunutzung entstand bereits Mitte der 1960er Jahre am gefluteten Senftenberger See ein Erholungsgebiet. Ein Areal in Großkoschen, das seit 1973 von Campern und Ferien-Bungalows volkseigener Betriebe belegt war, hat der Zweckverband Lausitzer Seenland Brandenburg in einen Familienpark mit 300 Ferienhäusern und 500 Campingstellplätzen umgewandelt – der sich zum Ziel gesetzt hat, auch den Bedürfnissen von Rollstuhlfahrern gerecht zu werden. Und dabei kommen immer neue Facetten hinzu.
Natürlich gab es zuerst den barrierefreien Zugang zu den Unterkünften auf dem 35 Hektar großen Gelände zu schaffen, die Ferienhäuser und Bungalows bei ihrer Sanierung beziehungsweise ihrem Neubau den Ansprüchen entsprechend herzurichten. Inwieweit die Neuerungen auch mehr Gäste mit Handicaps anlocken, vermag sie nicht einzuschätzen. „Das ist uns nicht wichtig, denn die Umbauten kommen ja auch anderen Gästen zugute“, sagt sie und meint auch Familien mit Kinderwagen, denen glatte Wege, weniger Stufen und ein befestigter Zugang zum Strand ebenso nutzen.
Wir haben uns hier erst einmal auf die Rolli-Fahrer konzentriert, es gibt aber auch schon erste Erleichterungen für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen.

Dana Hüttner, Marketingmitarbeiterin Zweckverband Lausitzer Seenland Brandenburg

Zugang zum See

An der Stelle verweist Dana Hüttner auf den im Vorjahr eingeweihten Schlängelweg. Zuvor hatten Rollstuhlfahrer oder auch Nutzer von Rollatoren lediglich über eine steile Feuerwehrzufahrt ans Wasser gelangen können.
Das sei fast halsbrecherisch gewesen. Nun können alle den sanft abschüssigen, etwa 200 Meter langen, sich windenden Weg zum Senftenberger See nehmen. Der Zweckverband habe vor, an allen Seen im Verbandsgebiet zumindest einen Zugang so herzurichten. An einigen sei es schon geschehen, wie am Sedlitzer See, der ab 2026 genutzt werden kann, andere sollen folgen.
Aber, und damit noch einmal zum bereits vorhandenen Schlängelweg, was nutze der Weg zum Ufer, wenn man sich weder am Strand noch im See wirklich aufhalten kann? Auch hierfür wird es ab dieser Sommersaison eine Lösung geben. „Wir haben zwei Strandkörbe bestellt, die nur eine halbe Sitzbank haben und somit dem Rollstuhl Platz bieten“, erzählt die Marketingfrau. Aufgestellt werden sie auf einer planierten Fläche am Ende des Weges. Und dort wird auch die Möglichkeit bestehen, in einen sogenannten Amphibienrollstuhl umzusteigen und somit nicht an Land bleiben zu müssen.
Und es gibt weitere Pläne: Im Juni soll ein Escape-Room im Unterdeck des Kulturschiffes, dem Haus für Tagungen und Veranstaltungen im Familienpark, öffnen. Er heißt „An Deck und unter Tage“ und schickt die Rätselfreunde auf eine Reise, die vom Bergbau bis zum Seemanns-Dasein führt. „Auch hier haben wir an Barrierefreiheit gedacht.“ Ein Rolli-Fahrer habe den Raum ausprobiert, ob er an alle Utensilien herankommen, sich bewegen und durch den Rätselraum durcharbeiten kann. „Wir haben ein paar Einstellungen geändert, jetzt sollte es passen.“
Was das Angebot rund um den Familienpark anbelangt, so weiß der Zweckverband Partner an der Seite, denen Barrierefreiheit ebenso am Herzen liegt. Ein Gefühl dafür, wie ein Kurzurlaub ohne unerwartete Hindernisse gestaltet werden könnte, bekommen Gäste auf der Homepage des Familienparks, die – das sei nur am Rande erwähnt – bis zum Sommer noch weiter hin zur Barrierefreiheit überarbeitet wird.
In Zusammenarbeit mit der Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH ist ein Beispiel-Aufenthalt entstanden, der konkrete Anregungen gibt, wie eine Auszeit aussehen könnte. Auf den Willkommenstag folgen „Wasserabenteuer und Kulturgenuss“ sowie „Handbike-Erlebnis und Spielezeit“, bevor es an Tag vier wieder Abschiednehmen heißt. Der fiktive Plan ist gespickt mit eben jenen Möglichkeiten im Lausitzer Seenland, die barrierefrei zu erleben sind: von Gastronomie über Schifffahrt bis hin zum Konzertbesuch und sportlicher Aktivität.
„Wir haben das bewusst nicht als buchbares Produkt vorbereitet, wollten damit aber zeigen, was alles geht und dass der Besuch bei uns sehr abwechslungsreich und lohnenswert ist“, betont Marketing-Chefin Dana Hüttner.
Für mehr Infos zum barrierefreien Urlaub im Lausitzer Seenland hier klicken.
FORUM/Anke Beißer

Denkmalschutz macht erfinderisch

“Schwielowsee für alle” hat jeden Gast im Blick
„Wir sind vom Perfektionismus leider noch ein Stück weit entfernt, aber wir sind auf einem guten Weg, der Barrierefreiheit beziehungsweise Barrierearmut immer besser gerecht zu werden“, sagt Claudia Goerke, Mitarbeiterin der Tourist-Information der Gemeinde Schwielowsee, die aus den Ortsteilen Geltow, Ferch und Caputh besteht und schon seit 2010 ein staatlich anerkannter Erholungsort ist. Und so gibt es zumindest in Caputh, dem Örtchen, das vor allem mit Fontane, Einstein und der Fähre in Verbindung gebracht wird, einmal im Monat eine geführte Runde, die auch für Rollstuhlfahrer zu bewältigen ist. „Und ansonsten haben wir immer ein offenes Ohr, um zu schauen, was machbar ist.“
Seit 2022 hat die Tourist-Information ihr Domizil im Logierhaus des Schlosses von Caputh. Dies ist im Rahmen eines Pilotprojektes dank einer Kooperation mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg möglich geworden.
Das damals frisch sanierte Gebäude ist gemäß den Bauvorschriften in Brandenburg und auch von der Ausgestaltung her den Bedürfnissen von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen angepasst. Breite, quasi schwellenlose Türen, eine Behindertentoilette, die sich mit dem einheitlichen Euroschlüssel öffnen lässt, niedrige Auslagen für Infomaterialien, ein unterfahrbarer Info-Tresen sowie eine Hörstation gehören dazu.

Förderung nutzbar

Die meisten der 120 gelisteten Gastgeber vermieten in Altbauten, also bestehenden Objekten. Nur Wenige seien entsprechend angepasst. „Das liegt sicher am Aufwand und an den Kosten. Wenn es mehr finanzielle Unterstützung gäbe, würde an der Stelle vielleicht mehr investiert“, sagt die Tourismus-Fachfrau Claudia Goerke und ermutigt jene, die sich mit dem Gedanken tragen, es beim Landkreis Potsdam-Mittelmark mit einem Antrag auf eine „kleinteilige touristische Förderung“ zu versuchen.
Die baulichen Voraussetzungen für das Beherbergen von Rolli-Fahrern zu schaffen, ist gar nicht so einfach [...]. Wenn es mehr finanzielle Unterstützung gäbe, würde an der Stelle vielleicht mehr investiert.

Claudia Goerke, Mitarbeiterin der Tourist-Information der Gemeinde Schwielowsee

Denkmalschutz führt zu Hürden

Zudem sei es bei den touristischen Angeboten oft gar nicht so einfach, sich auf Menschen mit Einschränkungen einzustellen. „Beim Schloss zum Beispiel muss immer der Denkmalschutz beachtet werden“, nennt die Mitarbeiterin der Gemeinde ein Beispiel.
Der Einbau eines Treppenliftes sei da nicht möglich. Aber, die Stiftung halte als Hausherr in der oberen Etage einen Rollstuhl bereit, und wer zumindest die Stufen bewältigen kann, für den kommt die Besichtigung des Obergeschosses trotzdem infrage. Außerdem ist das barocke Schmuckstück Teil der Aktion „Bei Anruf Kultur“. Hierbei werden zu ausgewählten Terminen Interessierte am Telefon mit auf den Rundgang genommen.

Info-Flyer mit Ortsplänen

Damit jeder Gast weiß, was auf ihn zukommt, hat sich die Gemeinde mit ihrem Tourismus-Management 2018 dem Zertifizierungssystem der Tourismus Marketing Brandenburg GmbH „Brandenburg für Alle“ angeschlossen und „Schwielowsee für Alle“ entwickelt. Im Ergebnis sind drei Info-Flyer erschienen, die jeweils einen Ortsplan enthalten, der mit Piktogrammen und Beschreibungen die Bedingungen für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen abbildet.
Welcher Weg, welches Objekt ist für Personen mit Mobilitätseinschränkungen geeignet; was nur bedingt, was ist gar ungeeignet. Wo gibt es Behindertenparkplätze, wo Restaurants mit gluten- und laktosefreien Gerichten und wo Angebote für Menschen mit einer Seh- oder Hör-Beeinträchtigung.
In kleinen Schritten geht es voran
Zu den Tropfen, die einmal ein Fluss werden sollen, gehöre auch ihr Stadtrundgang, den sie einmal im Monat in Caputh anbietet. Je nach Zusammensetzung der Gruppe steuert sie bis zu sechs Stationen an.
„Zur Ziegelscheune kommt man nicht mit dem Rollstuhl. Ist ein Rolli-Fahrer dabei, lasse ich den Punkt eben aus.“ Die Gemeinde Werder (Havel), die zum gleichen Erholungsgebiet gehört, sei da in Teilen schon weiter. „Dort gibt es jetzt abgesenkte Bordsteinkanten und einen barrierearmen Stadtrundgang.“ Die Kooperation werde natürlich auch dafür genutzt, sich Anregungen zu holen.
Wir bewegen uns zwar in kleinen Schritten, weil, wie erwähnt, vieles schlichtweg an den Kosten scheitert, aber wir haben wirklich alle Gäste im Blick.

Claudia Goerke, Mitarbeiterin der Tourist-Information der Gemeinde Schwielowsee

Anlässlich des 200. Geburtstags von Theodor Fontane ist in Zusammenarbeit mit der Stadt Werder und den Kulturland-Projektpartnern von „Fontane am Schwielow“ die 33 Kilometer lange Lausch-Tour entstanden. An 19 Punkten gibt es Interessantes zu Sehenswürdigkeiten in der Region zu hören. „Auch wenn dem nicht vordergründig ein inklusiver Gedanke zu Grunde liegt, ist das natürlich im besten Sinne für alle ein Gewinn.“
FORUM/Anke Beißer

Brandenburg geht voran

Kerstin Lehmann von der TMB über Fortschritte, Herausforderungen und Chancen eines Tourismus für alle
„Brandenburg für alle“ oder auch „Reisen für alle“ – hinter diesen Slogans verbirgt sich ein Ziel, das die Tourismusbranche in Brandenburg seit vielen Jahren anstrebt: Barrierefreiheit. Wie gut das Land an der Stelle schon aufgestellt ist und welchen Nachholbedarf es gibt, darüber sprach Anke Beißer für FORUM mit Kerstin Lehmann von der Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH (TMB).
FORUM: Frau Lehmann, Sie sind bei der TMB für barrierefreies Reisen zuständig. Wo steht Brandenburg in Sachen Barrierefreiheit?
KERSTIN LEHMANN: Brandenburg gehört zu den ersten Bundesländern, die sich des Themas Barrierefreiheit im Tourismus angenommen haben. Wir arbeiten seit mehr als 20 Jahren kontinuierlich daran. Von Anfang an war das Wirtschaftsministerium an unserer Seite. Wir verstehen uns als Impulsgeber und Vermittler von Wissen sowie als aktiver Partner an der Seite der regionalen Reisegebietsorganisationen, die hier eine sehr wichtige Rolle einnehmen. Denn vor Ort entstehen konkrete barrierefreie Angebote, Netzwerke werden aufgebaut und lokale Akteure eingebunden – oft über den Tourismus hinaus. Uns ist wichtig: Barrierefreiheit nützt nicht nur den Gästen, sondern auch den Brandenburgerinnen und Brandenburgern. Sie verbessert die Lebensqualität für alle – für Ältere, Familien mit kleinen Kindern und Menschen mit temporären Einschränkungen genauso wie für Menschen mit Behinderung.
FORUM: Welche aktuellen Arbeitsschwerpunkte gibt es?
KERSTIN LEHMANN: Ein zentraler Baustein unserer Arbeit ist eine Studie aus dem Jahr 2018, die das Ministerium in Auftrag gegeben hat. Sie bildet die Grundlage für Workshops, die wir seit sieben Jahren in und mit den Reiseregionen durchführen. Das Ziel ist, barrierefreie Angebote weiterzuentwickeln oder neue zu schaffen. Dabei geht es nicht nur um einzelne Maßnahmen, sondern um durchgängige Serviceketten – also barrierefreie Erlebnisse von der Anreise über die Unterkunft bis zu Gastronomie und Freizeitangeboten. Die Reiseregionen haben hier ihre Vorschläge eingebracht, mit welchen Anbietern vor Ort an der Produktentwicklung gearbeitet werden soll. So entstehen ganz tolle und engagierte Netzwerke.
FORUM: Was ist Ihrer Meinung nach das Schwierigste in dem Prozess?
KERSTIN LEHMANN: Am herausforderndsten ist es oft, die Partnerinnen und Partner dauerhaft bei dem Thema mitzunehmen. Das Bewusstsein, wie wichtig Barrierefreiheit ist, ist grundsätzlich da, aber im stressigen Tagesgeschäft rutscht das Thema leider manchmal nach hinten. Das ist schade, denn das Potenzial ist groß. Barrierefreiheit ist für rund zehn Prozent der Bevölkerung notwendig, für etwa 40 Prozent hilfreich – und für alle komfortabel. Sie macht Reisen für viele Menschen angenehmer. Das sollte man sich immer wieder bewusst machen.
FORUM: Um Barrieren auszuräumen, müssen sie erst einmal erkannt werden. Wo fangen die Hindernisse an und wo hören sie auf, also welches Spektrum sehen Sie?
KERSTIN LEHMANN: Barrieren sind so vielfältig wie die Menschen, die davon betroffen sind. Sie reichen von zu schmalen Türen oder Stufen ohne Rampe über unübersichtliche Websites, fehlende Informationen in einfacher Sprache oder Brailleschrift bis hin zu rein visuellen oder akustischen Angeboten – was für Menschen mit Hör- oder Sehbehinderungen schwierig ist. Kognitive Einschränkungen werden ebenfalls häufig übersehen. Ein Hindernis für Anbieter ist zudem die Bürokratie. Wer sein Angebot anpassen möchte, sollte es möglichst einfach haben – etwa bei der Förderung kleinerer Baumaßnahmen wie Rampen oder Haltegriffen.
FORUM: Hier noch ein sperriges Stichwort: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Dahinter verbirgt sich die Mitte des Jahres für private Wirtschaftsunternehmen in Kraft tretende Pflicht, die Internetangebote allen Menschen, also ohne Einschränkungen, nutzbar zu machen. Was bedeutet das konkret für touristische Anbieter?
KERSTIN LEHMANN: Das Gesetz tritt ab dem 28. Juni 2025 in Kraft – und betrifft auch touristische Unternehmen. Wer mehr als zehn Vollzeitkräfte beschäftigt und mehr als zwei Millionen Euro Umsatz macht, muss seine Online-Angebote barrierefrei gestalten. Das gilt etwa für Ticketverkäufe, Reservierungen sowie Produktbuchungen. Die Website muss unter anderem verständlich aufgebaut, mit Tastatur bedienbar, für Screenreader lesbar und mit Alternativtexten versehen sein. Das ist ein weites Feld – wir informieren deshalb aktiv und bieten entsprechende Schulungen an.
FORUM: Wenn jemand ein neues touristisches Angebot entwickelt, sei es ein Objekt, eine Anlage, eine Dienstleistung oder ein Produkt, kann er sich auf Barrierefreiheit einstellen. Was raten Sie jenen, die im Bestand arbeiten?
KERSTIN LEHMANN: Natürlich ist es einfacher, Barrierefreiheit gleich bei der Planung mitzudenken. Aber auch im Bestand geht viel. Mein Rat: Fangen Sie mit kleinen, machbaren Maßnahmen an – Rampen, Haltegriffe, gut lesbare Schilder, einfache Sprache. Schulung von Mitarbeitenden ist genauso wichtig: Eine Servicekraft, die eine Speisekarte vorliest, oder ein Hinweis auf barrierefreie Angebote an der Rezeption – das macht viel aus. Und oft hilft der direkte Austausch mit betroffenen Personen. Da kommen sehr konkrete, hilfreiche Hinweise.
FORUM: Die TMB hält ein großes Spektrum an Infomaterialien und Workshops bereit. Welche Empfehlungen können Sie an der Stelle geben?
KERSTIN LEHMANN: Unsere wichtigste Plattform für Gäste ist reiseland-brandenburg.de (hier klicken) mit über 900 Angeboten, zu denen geprüfte Detailinfos zur Barrierefreiheit vorliegen. Sie werden über unsere landesweite Datenbank auch regional und lokal sowie über verschiedene Apps ausgespielt. Für Anbieter gibt es auf der Seite des Tourismusnetzwerkes Brandenburg viele Infos – vom Leitfaden bis zu Praxisbeispielen. In der zweiten Jahreshälfte starten wir wieder mit kostenlosen Sensibilisierungs-Seminaren. Dort vermitteln wir Grundlagen, geben Tipps zur Umsetzung und bauen mögliche Hemmnisse ab. Außerdem laden wir regelmäßig zum „digitalen Stammtisch barrierefreies Reisen“ ein – ein Format zum Austausch, bei dem neue Gesichter jederzeit willkommen sind. Wer auf dem Laufenden bleiben will, kann einfach den Newsletter des Tourismusnetzwerks Brandenburg abonnieren.
Es fragte Anke Beißer
Zur Person: Kerstin Lehmann (47) ist in Mainz geboren und eigentlich Ingenieurin der Raumund Umweltplanung. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit hat sie sich intensiv mit barrierefreiem Tourismus beschäftigt und ist dem Thema seitdem treu geblieben. Seit 2005 bringt sie die Thematik in Brandenburg voran, hat das Informationssystem „Brandenburg für Alle“ mit aufgebaut und ist bei der TMB die Ansprechpartnerin für die Tourismusbranche. Sie lebt in Potsdam, ist verheiratet und war auch privat dank Zwillingskinderwagen als Nutznießerin barrierefreier Angebote unterwegs.



Manuela Neumann
Referentin Tourismus
Regionalcenter Berliner Umland