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Neuanfang in Woltersdorf
In der Gemeinde Woltersdorf im Landkreis Oder-Spree verbindet die Straßenbahnlinie 87 den Ort mit dem nahe gelegenen Berliner S-Bahnhof Rahnsdorf. Seit 1. März fahren auf der 5,6 km langen Strecke neue, barrierefreie Straßenbahnen aus Polen und lösen die alten Gotha-Wagen aus DDR-Produktion ab.
Es ist idyllisch in Woltersdorf. Gerade einmal 8.400 Menschen leben in der Gemeinde am östlichen Rande Berlins zwischen Köpenicker Forst, Kalksee und Flakensee.
Seit 1913 ist die Straßenbahn die Lebensader der Gemeinde: wichtig für den täglichen Weg vieler Pendlerinnen und Pendler von und nach Berlin und ein großer Tourismusfaktor für die reizvolle Gegend. Bis zuletzt waren zwischen Rahnsdorf und Schleuse über 60 Jahre alte Gotha-Wagen im Einsatz. Ein historisches Erlebnis, zweifelsohne, aber mit einem eingängigen Problem: Barrierefreiheit Fehlanzeige.
„Um dieses Problem zu lösen, starteten wir europaweit eine Fahrzeugausschreibung als Teilnahmewettbewerb“, erklärt Sebastian Stahl, Geschäftsführer der Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn, die den Betrieb in Woltersdorf durchführt.
Voraussetzung war ein barrierefreies Verkehrsangebot. Im Februar 2022 erhielt das polnische Unternehmen Modertrans aus Poznań (Posen) den Zuschlag zur Lieferung drei neuer Straßenbahnen für Woltersdorf. Der Auftrag wurde später um einen vierten Wagen ergänzt.
Verzögerungen im Zeitplan
Durch den Krieg in der Ukraine kam es zu Verzögerungen. Es fehlte im Werk von Modertrans an Schweißern. Außerdem gab es Probleme bei der Materialbeschaffung und allgemein machten sich auch die höheren Produktions- und Energiekosten bemerkbar, weiß Maximilian Konieczek, der seit 2020 als Mechatroniker in Woltersdorf arbeitet.
Generationenwechsel in Woltersdorf: Die neuen Moderus Gamma-Wagen von Modertrans in Polen lösen die 60 Jahre alten Gotha-Wagen auf der Linie 87 ab.
Neben hohen bürokratischen Anforderungen an die Zulassung durch die Technische Aufsichtsbehörde, verzögerte ein trauriger Vorfall die Inbetriebnahme: im Dezember 2024 vandalierten Jugendliche eine der neuen Straßenbahn. Der Triebwagen musste zurück ins Werk nach Poznań und für viel Geld wieder in Schuss gebracht werden.
Komplexe Technik
Bereits Anfang 2024, kurz vor dem 111. Jubiläum der Woltersdorfer Straßenbahn, kam die erste neue Straßenbahn im Berliner Speckgürtel an. Dass technische Probleme bei Neufahrzeugen, sogenannte Kinderkrankheiten, auftreten, ist normal.
„Tatsächlich gab es bei den neuen Bahnen aber weniger technische Schwierigkeiten als man das aus anderen Städten kennt“, erklärt Maximilian Konieczek. Vor allem interne Kommunikationsprobleme der Steuergeräte bereiteten zwischenzeitliche Kopfschmerzen. Immerhin ist die Technik deutlich komplexer als bei den Gotha-Wagen aus den 1950er Jahren.
Die Zusammenarbeit mit dem polnischen Hersteller ist hierbei sehr gut. Gibt es mit den Fahrzeugen Probleme, sind innerhalb kürzester Zeit Fachleute aus Polen vor OrtMaximilian Konieczek, Mechatroniker
Alt und neu gemeinsam
Im Januar 2025 startete schließlich der Fahrgastbetrieb: erst einmal alt und neu gemeinsam auf der Strecke. Am 1. März 2025 war es dann soweit und die Gotha-Wagen wurden feierlich verabschiedet.
Zwei von ihnen bleiben als Reserve und für besondere Anlässe in Woltersdorf, die restlichen sollen verkauft werden. Die Woltersdorferinnen und Woltersdorfer sehen den alten Straßenbahnen mit einem weinenden Auge nach, sehen aber auch die Vorteile der neuen.
An der Haltestelle Blumenstraße steigt Philipp Mader mit seinem Kinderwagen aus der Bahn. Er ist seit einigen Monaten Vielfahrer der Woltersdorfer Straßenbahn und hat die Gotha-Wagen noch erlebt. Die neue Barrierefreiheit ist für ihn der größte Vorteil.
„Gerade mit Kind ist das Aussteigen deutlich leichter“, sagt er. Außerdem quietsche die Bahn weniger und sei allgemein leiser. Ein bisschen vermisst er die alten Bahnen aber schon. „Die alten waren schon gemütlich“, erzählt er, bevor er weiter zur Arbeit geht.
Seit 27 Jahren lebt das Ehepaar Elga und Klaus Tollkühn in Woltersdorf. Seitdem nutzen sie regelmäßig die Straßenbahn. Auch sie erfreuen sich an der neuen Barrierefreiheit, kritisieren aber, dass durch die nicht angepasste Bahnsteighöhen ein komplett stufenfreier Ausstieg weiterhin schwierig sein kann und sie vermissen die alten gepolsterten Sitze in den Gotha-Wagen. Die neuen seien kalt und hart.
Neue Wagen erleichtern Arbeitsalltag
Das Fahrpersonal ist zufrieden. Paul Wolf fährt seit 1. Dezember 2024 auf Linie 87, fuhr also auch noch die alten Wagen. Für ihn ist das Fahren der neuen Gammas, so heißen die polnischen Bahnen, eine Arbeitserleichterung.
Das Fahrverhalten sei angenehmer, auch der Komfort für den Fahrer hätte sich erhöht. „Die Technik ist einfach auf dem neusten Stand. Das macht Spaß“, sagt er und steigt vorne ein, um den S-Bahnhof Rahnsdorf in Richtung Woltersdorf zu verlassen.

Mit den neuen Wagen ist der Weiterbetrieb der Linie 87 und damit auch das Bestehen des Unternehmens für die nächsten Jahrzehnte gesichert. Dabei war dies keinesfalls klar. Erst 2020 übernahm die Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn den Betrieb der Linie 87, nachdem die Geschäftsführerin der Woltersdorfer Straßenbahn plötzlich verstorben war.
„Mit dem Tod von Frau Viktor war eine öffentliche Dienstleistungsvergabe notwendig. Dabei war es notwendig, die gesetzlichen Anforderungen umzusetzen und zu diesen gehört nach Personenbeförderungsgesetz auch die Herstellung der Barrierefreiheit“, erklärt Geschäftsführer Sebastian Stahl. Bevor die neuen Wagen kamen, konnte ein barrierefreier Kleinbus bestellt werden. „Das war natürlich keine wirkliche Barrierefreiheit“, sagt er und ist froh, dass dieses Ziel inzwischen gänzlich verwirklicht ist.
FORUM/Jakob Gilg
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Guido Noack
Referent Verkehr
Geschäftsbereich Wirtschaftspolitik