„Das ist keine Neugründung, das ist eine Übernahme“

In jeder zweiten Getränkedose steckt Erfindergeist aus Frankfurt (Oder). Konkreter: aus einem Unternehmen der Stadt, der OEG Gesellschaft für Optik, Elektronik & Gerätetechnik mbH (OEG GmbH). Das Unternehmen fertigt Geräte für hochgenaues berührungsloses Messen und hat seit April einen neuen Inhaber, der viele Sprachen spricht.
„Wir sind – grob geschätzt – in der Hälfte der Getränkedosenwerke in aller Welt mit unseren optischen Messgeräten vertreten“, sagt Dr. Stephan Rothe. Der Ingenieur hat 1991 zusammen mit einem Partner die OEG als Zwei-Mann-Betrieb gegründet;
Heute entwickeln und produzieren 22 Mitarbeiter optische Messsysteme für Kunden in aller Welt. In der Dosen-Industrie beispielsweise vermessen OEG-Systeme mit Licht verschiedene Werkzeuge – die sogenannten Stempel und Ziehringe. Die Stempel, längliche Metallzylinder, drücken ein Blech durch die Öffnungen mehrerer massiver Metallringe, die Ziehringe heißen.
So wird der Körper einer Getränkedose in Form gezogen. Dafür müssen die Maße dieser Werkzeuge genau stimmen – OEG-Systeme können sie auf den tausendstel Millimeter exakt vermessen. Neben der Dosenindustrie arbeitet OEG für die Halbleiter-, die Draht-, Automobil- und Glasindustrie, die optische Industrie und Wissenschaftseinrichtungen. 2016 wurden das Unternehmen mit dem Hanse-Preis des Hanse Clubs Wirtschaft für Frankfurt (Oder) und Eisenhüttenstadt ausgezeichnet.
Stephan Rothe stand 34 Jahre lang an der Spitze der Firma, zuletzt als alleiniger Geschäftsführer. Nun lässt er es ruhiger angehen: Am 31. März war sein letzter Arbeitstag als Chef der OEG.
Wir sind von der Denkweise und den Business-Interessen her sehr ähnlich.
Dr. Hassan Gargouri, Geschäftsführer
Der neue Geschäftsführer heißt Dr. Hassan Gargouri und begrüßt Gäste in vier Sprachen – deutsch, englisch, französisch und arabisch. Er ist in Tunesien geboren, kam nach dem Abitur nach Deutschland, studierte in Braunschweig, zog nach Berlin und machte Karriere in der Optoelektronik und Auto-Zulieferindustrie. Nun ist der Elektrotechniker seit 1. April Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der OEG.

Über Online-Börse gefunden

Der bisherige und der neue Inhaber haben sich online gefunden – über die Nachfolgebörse „nexxt-change.org“, deren Partner die Industrie- und Handelskammern sind. Dort können Unternehmen Angebote und Interessenten Gesuche abgeben. Beides erfolgt im ersten Schritt anonym. Stephan Rothe hat vor fünf Jahren mit der Suche begonnen. Immer wieder hat er ein Angebot online gestellt, Gespräche mit Dutzenden Interessenten geführt, die Sache wieder ruhen lassen, neu gesucht. Es gab ernsthafte Bewerber und solche „die eine Firma geschenkt haben wollen.“ Rothe wollte einen neuen Inhaber finden, der in Frankfurt (Oder) produziert und die Arbeitsplätze erhält. „Unsere Mitarbeiter, die einen Teil ihres Lebens an diese Firma gekoppelt haben, sollten nicht enttäuscht werden.“
Auch Hassan Gargouri hat sich Zeit genommen: Seit 2016 hielt er Ausschau nach einer Firma, mit der er sich selbständig machen kann. Sein Know-How aus der Halbleiterindustrie und der Messtechnik passe gut zu OEG, findet der Ingenieur. Auch die Größe des Unternehmens sei die richtige für ihn. 2023 gab es den ersten Kontakt; Anfang 2025 nahm das Vorhaben konkrete Formen an. „Die Sparkasse Oder-Spree und die Brandenburger Bürgschaftsbank haben mich professionell begleitet und gut unterstützt“, sagt der 44-Jährige. Die Finanzierung der Übernahme und der dafür nötigen professionellen Beratung sei die größte Hürde gewesen.

Durchschnittsalter liegt bei 39 Jahren

Jetzt pendelt Hassan Gargouri jeden Tag von Berlin nach Frankfurt (Oder) und trifft sich mit Stephan Rothe, der immer noch jeden Morgen zur Arbeit geht. Als Senior-Manager gibt er seine Kenntnisse über Betriebsabläufe und Bedürfnisse der Kunden weiter. Mindestens ein Jahr lang wird er seinen Nachfolger begleiten. „Wir reden über alles, was ansteht - Angebote, Personal, über seine Meinung zum Marketing, meine Meinung zum Marketing – wir sprechen alles durch“, sagt der gebürtige Thüringer.
„Meist haben wir die gleiche Meinung oder eine sehr ähnliche.“ Fällt es ihm nicht schwer nach so langer Zeit nicht mehr derjenige zu sein, der am Ende entscheidet? „Das hab ich ja nicht anders gewollt“, sagt der 65-Jährige. „Es ist schön, dass ich die Entscheidungen nicht mehr fällen muss.“ Dass es zwischen beiden menschlich passt, mag auch daran liegen, dass ihre Biografien sich ähneln: Beide sind Ingenieure, haben mit noch nicht 30 Jahren promoviert und sich viel mit Vertrieb und Marketing befasst. „Wir sind von der Denkweise und den Business-Interessen her sehr ähnlich“, findet Hassan Gargouri.
Es ist schön, dass ich die Entscheidungen nicht mehr fällen muss.
Dr. Stephan Rothe, OEG-Gründer
Die beiden Partner haben vor dem Verkauf geklärt, ob ihre Erwartungen zueinander passen. Hassan Gargouri hatte den Eindruck, dass sein Vorgänger jemanden suchte, der für Kontinuität steht. „Die Firma muss genauso laufen wie jetzt“, betont der neue Chef. „Das ist keine Neugründung, das ist eine Übernahme eines funktionierenden Unternehmens.“ Der neue Inhaber ist seinem Vorgänger dankbar, dass er die Mitarbeiter gut auf den Wechsel vorbereitet habe. Stephan Rothe hatte seine Belegschaft frühzeitig informiert.
Und er hat dafür gesorgt, dass sie nicht überaltert. Das Durchschnittsalter liegt bei 39 Jahren. Die Mitarbeiter entwickeln, konstruieren, programmieren, produzieren und vertreiben die Messgeräte und erwirtschaften einen Jahresumsatz von rund drei Millionen Euro. Der neue Inhaber betont den Stellenwert der Halbleiterindustrie für das Unternehmen. Besonders stolz ist man bei OEG auf ein vollautomatisches Messgerät für die Chipindustrie.
Hassan Gargouri will mit OEG international auch weiter wachsen. Vor allem in den USA und Japan sieht er noch Potenzial. Und auch der Dosenmarkt ist noch nicht ausgeschöpft. Auf 50 Pozent dieses Markts ist OEG vertreten. „Das Ziel muss natürlich 100 Prozent sein, oder?“, meint Stephan Rothe und lacht.
FORUM/Ina Matthes

Dr.Axel Strasser
Projektmitarbeiter Nachfolge
Regionalcenter Oderland