IHK & Region | 20.07.2023

Alte Zöpfe abschneiden

Der große Andrang bei der IHK-Veranstaltung „Ausbildung4Future – Überlebenstraining für Ausbildende“ zeigte, wo bei Betrieben der Schuh drückt – auch mit der „Generation Z“. Alte Muster haben ausgedient. Von Matthias Marquart
„Früher war alles besser“ – diesen Spruch mussten sich schon Generationen von Jugendlichen von ihren jeweiligen Eltern und Großeltern anhören. Und dies schwingt auch immer wieder zwischen den jungen potenziellen Auszubildenden und ihren Ausbilderinnen und Ausbildern in den Unternehmen mit. Auch in diesem Verhältnis spiegelt sich ja oftmals ein Generationenunterschied wider. Doch stimmt dieser altgediente Spruch? Was läuft schief, wenn sich immer weniger Auszubildende finden lassen und diese dann nicht zur „Zufriedenheit“ der Betriebe ausfallen? Wenn potenzielle Azubis plötzlich anders „ticken“, als das seit Jahrzehnten der Fall war. Dass es darauf keine einfach strukturierte Antwort gibt und das Problem wesentlich vielschichtiger ist, verdeutlichte einmal mehr die IHK-Veranstaltung „Ausbildung4Future – Überlebenstraining für Ausbilderinnen und Ausbilder“ im Künzelsauer Hotel Anne-Sophie.

Kein Jugendlicher muss zurückgelassen werden

Dass es immer schwieriger wird Auszubildende zu finden, zeigen schon die Zahlen, die gleich zu Beginn von Christian Schmidt, Berufsberater bei der Agentur für Arbeit im Hohenlohekreis und seinem Kollegen Thomas Plessing aus dem Main-Tauber-Kreis präsentiert wurden. So waren für das Jahr 2022/23 mit 5.430 offenen Lehrstellen acht Prozent mehr gemeldet als im Vorjahr. Allein im März dieses Jahrs waren davon aber noch 3.140 Stellen unbesetzt. Und so wurden die knapp 50 teilnehmenden Ausbilder und Ausbilderinnen aus den unterschiedlichsten Unternehmen gleich zu Beginn damit konfrontiert, was sich Realität nennt. Die Referenten, die täglich an der „Front“ zwischen Jugendlichen, Schule, Elternhaus und Betrieben im Einsatz sind, zeigten eindrücklich auf, wo die vielfältigen strukturellen Probleme liegen. Es ist ein Mix aus vielem: Eltern, die am liebsten alles der Schule überlassen, Jugendliche, denen die Orientierung und Werteausrichtung in vielerlei Hinsicht (auch coronabedingt) fehlt, veraltete Strukturen und Denkweisen in Ausbildungsbetrieben, infrastrukturelle Schwierigkeiten und dergleichen mehr.
Dennoch zeigten beide Referenten auf, welch vielfältige Möglichkeiten und Angebote es heute gibt, um keinen Jugendlichen zurückzulassen. Allerdings - so die erfahrenen Berater –brauche es eben auch die Bereitschaft der Jugendlichen und der Betriebe, sich damit auseinanderzusetzen und neue Wege einzuschlagen – nie waren die Chancen für alle Beteiligten so breit gefächert wie heute. Claudia Scheunpflug, Mitglied der IHK-Geschäftsleitung und Leiterin Berufsbildung: „Der Erfolg dieser Veranstaltung, die wir nun aufgrund der großen Resonanz schon zum zweiten Mal und jetzt in Künzelsau anbieten, zeigt, wie sehr unseren Mitgliedsunternehmen das Thema Ausbildung unter den Nägeln brennt. Ich hoffe wir können heute wieder dazu beitragen, dass die hier aufgezeigten Angebote auch und gerade seitens der Arbeitsagenturen, verstärkt von den Unternehmen nachgefragt und genutzt werden.“
Einen Azubi einfach mitlaufen zu lassen, genügt heute bei weitem nicht mehr

Ann-Katrin Braun

Wie man Ausbildung neu strukturieren kann, zeigte Ann-Katrin Braun. Sie ist Teamleiterin Personalentwicklung und Recruiting bei der Franz Binder GmbH & Co Elektrische Bauelemente KG aus Neckarsulm und machte unmissverständlich klar, dass Ausbildung – nicht wie „früher“ oft gedacht und gemacht – keine Verwaltungs-, sondern eine ganz eigene Aufgabe im Unternehmen sein muss. Klare Strukturen, Tätigkeitsbeschreibungen und -abgrenzungen seien unabdingbar, um Transparenz auch für die Auszubildenden herzustellen. „Und dabei müssen die Azubis jederzeit eingebunden sein. Es muss auf Augenhöhe kommuniziert und Wertschätzung vermittelt werden.“ Einen Azubi einfach mitlaufen zu lassen, genüge heute bei weitem nicht mehr. Daher setzt Binder auch vermehrt auf den direkten Kontakt mit Schulen. „Messen haben uns nicht den erhofften Erfolg verschafft. Wir wollen ran an die Jugendlichen, sie dort abholen, wo ihre Interessen liegen und sie sich ernstgenommen fühlen.“
Sehr provokant ging Pia Maria Sprügel als letzte Referentin ihren Beitrag an und fragte erst mal: „Was ärgert sie an ihren Azubis?“ Nach langer Stille kamen dann Stichworte wie: Überhöhte Anspruchshaltung, mangelnde Motivation und Eigeninitiative, Unzuverlässigkeit, keine Ausdauer und mangelnder Wille. Sicher nicht unberechtigt, meinte Sprügel, fragte dann aber ebenso provokant danach, was denn die Anspruchshaltung der Unternehmen sei. Ist diese nicht ebenso überhöht und veraltet, in alten Mustern verhaftet – kein Wunder, dass ein Azubi da davonläuft zumal er oder sie es ist, dies sich ‚ihren‘ Betrieb heute aussuchen können.“ Und so nahmen die nachdenklichen Gesichter im Auditorium zu. Denn Sprügel machte unmissverständlich klar: „Egal ob es uns passt oder nicht – die Generation wird die dominierende Arbeits- und Kaufkraft sein und so sollten und müssen wir sie als die Hoffnungsträger für unsere Zukunft betrachten. Schimpfen bringt uns nicht weiter“
Auf dem Foto zu sehen sind (von links): IHK-Ausbildungsberaterin Brigitte Käfer,  Claudia Scheunpflug, Mitglied der IHK-Geschäftsleitung und Leiterin Berufsbildung, Pia Maria Sprügel, Inhaberin mpm Personal & Training, Thomas Plessing, Berufsberater der Agentur für Arbeit im Main-Tauber-Kreis, Ann-Katrin Braun, Teamleitung Personalentwicklung und Recruiting, Franz Binder GmbH & Co Elektrische Bauelemente KG, IHK-Ausbildungsberaterin Claudia Schwarz und Christian Schmidt, Berufsberater bei der Agentur für Arbeit im Hohenlohekreis.
Foto: IHK Heilbronn-Franken/M. Marquart
Matthias Marquart
Redakteur | Pressearbeit