Quick Fixes 2020 – fundamentale Änderungen im Umsatzsteuerrecht
Am 1. Januar 2020 treten die sogenannten »Quick Fixes« in Kraft – der erste Schritt der größten europäischen Mehrwertsteuerreform seit 1993. Von der umsatzsteuerlichen Neuregelung betroffen ist der gesamte innergemeinschaftliche Warenverkehr. Aufgrund der umfassenden Änderungen ist eine zeitnahe Überprüfung und Anpassung der Geschäftsprozesse unerlässlich.
Wer sich in der Praxis mit der Anwendung umsatzsteuerlicher Regelungen nicht nur in Deutschland, sondern länderübergreifend in den verschiedenen Mitgliedstaaten befasst, weiß sein Klagelied zu singen: Die Verschiedenartigkeit der umsatzsteuerlichen Regelungen in der Europäischen Union fordert den international agierenden Unternehmen viel ab.
Vereinheitlichung geplant
Die Europäische Kommission ist jedoch seit langem bestrebt, einen einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum zu schaffen und hat nunmehr erste Änderungen – sogenannte »Quick Fixes« – umgesetzt, die zum 1. Januar 2020 wirksam werden. Übergeordnetes Ziel der Reform des Mehrwertsteuersystems ist das Verhindern von Steuerausfällen und Steuerbetrug sowie die Verringerung von administrativem Aufwand und der Komplexität der Besteuerung. Bis 2022 soll ein Besteuerungssystem, basierend auf dem sogenannten Bestimmungslandprinzip, geschaffen werden.
Die unter der Bezeichnung »Quick Fixes« bekannt gewordenen Rechtsänderungen sollen den innergemeinschaftlichen Warenhandel innerhalb der EU harmonisieren. Drei der vier Änderungen stellen Änderungen an der Mehrwertsteuersystemrichtlinie dar. Sie werden daher erst mit Umsetzung nationaler Umsetzungsgesetze in jedem einzelnen Mitgliedstaat wirksam.
In Deutschland liegt zurzeit der Gesetzentwurf des Jahressteuergesetzes 2019 vor, der die notwendigen Rechtsänderungen zum 1. Januar 2020 in nationales Recht überführen soll. Eine weitere Änderung wurde an der Durchführungsverordnung zur Mehrwertsteuersystemrichtlinie vorgenommen, die unmittelbare Rechtsgeltung entfaltet und daher keiner nationalen Umsetzung bedarf.
Allen Änderungen ist gemein, dass sie für die Unternehmen von allergrößter Bedeutung sind, wenn entsprechende Geschäftsvorfälle vorliegen, und dass schon jetzt Vorbereitungen getroffen werden sollten, um nicht später im Jahr überrascht zu werden.
1. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Kunden und Zusammenfassende Meldung gewinnen an Bedeutung
An die Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen werden künftig strengere Anforderungen gestellt als bisher: Um eine Lieferung als innergemeinschaftlich steuerfrei behandeln zu können, muss der Kunde dem Lieferanten eine ihm zuzuordnende und zum Zeitpunkt der Ausführung der Lieferung gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines anderen Mitgliedstaates als der des Herkunftsstaates der Ware vorlegen. Liegt diese nicht vor, muss die Lieferung steuerpflichtig erfolgen. Eine rückwirkende Heilung ist nicht möglich.
Die Steuerbefreiung wird zudem nur dann gewährt, wenn der liefernde Unternehmer eine vollständige und inhaltlich richtige Zusammenfassende Meldung über den Vorgang abgibt. Die Abgabe einer fehlerhaften Zusammenfassenden Meldung führt demzufolge zukünftig zu einer Aberkennung der Steuerbefreiung. Eine Korrektur der Meldung ist zwar möglich, aber durch sehr eng bemessene zeitliche Grenzen in der Praxis fast ausgeschlossen.
2. Reihengeschäfte
Endlich wird die Zuordnung der warenbewegten, steuerbefreiten Lieferung im Zusammenhang mit Reihengeschäften europaweit vereinheitlicht. Das Gute daran: Es hat sich hierbei weitgehend die bisherige deutsche Regelung durchgesetzt.
Die Neuregelung bezieht sich auf den Fall, in dem der mittlere Unternehmer (der sogenannte Zwischenhändler) für den Transport der Ware verantwortlich ist. Grundsätzlich ist in diesem Fall davon auszugehen, dass bei einer Beförderung oder Versendung durch den Zwischenhändler die Warenbewegung der Lieferung an ihn zuzuordnen ist. Hiervon wird dann abgewichen, wenn der Zwischenhändler nachweist, dass er die Ware nicht in seiner Funktion als Abnehmer, sondern als Lieferer befördert, was insbesondere dann unterstellt werden darf, wenn der Zwischenhändler eine ihm vom Abgangsmitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet.
3. Einheitliche Belegnachweise bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
Ebenfalls verschärft werden die Nachweispflichten im Zusammenhang mit steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen.
Hierfür sind zukünftig mindestens zwei einander nicht widersprechende Transportnachweise erforderlich, die von verschiedenen Parteien ausgestellt werden müssen. Diese Parteien müssen sowohl voneinander, als auch vom Verkäufer und vom Erwerber unabhängig sein. Diese Anforderung weist eine erhebliche Komplexität auf, und so wird es spannend sein, welche Nachweise sich in der Praxis herausbilden. Holt der Erwerber die Ware ab, benötigt der Verkäufer neben den genannten Transportnachweisen eine zusätzliche Bestätigung des Abnehmers über die Beförderung in das andere EU-Land. Die genannten Nachweise müssen einheitlich von allen Mitgliedstaaten anerkannt werden. In Betrugsfällen können die Finanzbehörden die Anerkennung allerdings ablehnen.
Noch ist nicht sicher, ob die bisherigen deutschen Regelungen (Stichwort: Gelangensbestätigung) zusätzlich weitergelten werden, wenngleich die Finanzverwaltung dies dem Vernehmen nach erfreulicherweise befürwortet. Dann dürfte es für die Lieferungen aus Deutschland wohl wie gewohnt weitergehen. Wenn Unternehmen allerdings auch aus europäischen Produktions- oder Lagerstätten ausliefern, so ist es unbedingt notwendig, sich mit den europäischen Neuerungen zu beschäftigen.
4. Konsignationslager jetzt einheitlich geregelt
Auch die Konsignationslager, die Unternehmer in anderen EU-Mitgliedstaaten zur Just-in-time-Auslieferung von Waren an dortige Kunden unterhalten, werden umfassend neu geregelt.
Es ist zukünftig vorgesehen, dass der Transport der Ware in das Konsignationslager unter recht komplexen und administrativ aufwändigen Voraussetzungen kein innergemeinschaftliches Verbringen mehr auslöst. Es wird stattdessen eine steuerfreie Direktlieferung an den Kunden, für den das Konsignationslager unterhalten wird, unterstellt. Zu den Voraussetzungen gehören beispielsweise die Einhaltung bestimmter Entnahmefristen aus dem Lager, das Führen von besonderen Verzeichnissen, die Abgabe bestimmter Meldungen und Abnahmevereinbarungen mit dem Kunden. Da mit dieser Regelung der innergemeinschaftliche Erwerb der ins Konsignationslager versendeten Waren vom dortigen Kunden zu erklären ist, entfällt die Notwendigkeit des Lieferanten, sich im Empfangsland für umsatzsteuerliche Zwecke registrieren zu lassen.
Konsignationslager, die die Voraussetzungen nicht erfüllen, führen jedoch weiterhin zur Registrierung im jeweiligen Staat – verbunden mit nicht unerheblichem Deklarationsaufwand.
Dringende Handlungsnotwendigkeiten
Die »Quick Fixes« stellen fundamentale Änderungen in Bezug auf den innergemeinschaftlichen Warenhandel dar, die eine Anpassung der Geschäftspraxis an die neuen gesetzlichen Regelungen zum 1. Januar 2020 notwendig machen. Um Anpassungsbedarfe zu erkennen, empfiehlt sich bereits jetzt eine umfassende Bestandaufnahme. Leider ist zu erwarten, dass die Verabschiedung der gesetzlichen Änderungen sowie der Erlass von Ausführungsbestimmungen durch die Finanzverwaltung wieder einige Zeit in Anspruch nehmen wird, auch wenn die Regelungen zum 1. Januar 2020 in Kraft treten. Da spätes Handeln allerdings teuer werden kann, sollte die Implementierung von notwendigen Änderungen im Geschäftsprozess, aber auch gegebenenfalls an IT-Systemen, der Bestandaufnahme zügig folgen.
Stand: September 2019