Zukunftsbranche Gesundheit

Innovationen für den Menschen

Mit dem medizinisch-technischen Fortschritt und dem steigenden Gesundheitsbewusstsein erlebt die Gesundheitsbranche in Schleswig-Holstein einen anhaltenden Wachstumsschub. Um die anspruchsvollen Bedürfnisse der Märkte und Akteure zu bedienen, werden Wirtschaft und Wissenschaft innovativ.
Kaum eine andere Branche in Schleswig-Holstein verzeichnet eine derart hohe Investition in Forschung und Entwicklung und behauptet sich durch solche Vielfalt: Pharmaunternehmen, medizinische Forschungseinrichtungen, IT-Dienstleister, Medical Designer oder Entwickler von Serious Games bereichern die Gesundheitswirtschaft im Norden. Aber auch Wellnessangebote oder Gesundheitstourismus gehören dazu. Da knapp jeder Fünfte in Schleswig-Holstein in einem dieser Bereiche arbeitet, stehen vor allem Transparenz, Vernetzung der Beteiligten und schneller Zugang zu Innovationen im Mittelpunkt.
Interagieren 
Dass ihm beim Schlagwort KI mittlerweile die Ohren klingeln, daraus macht Philipp Koch aus der Arbeitsgruppe “Biomedizinische Signalverarbeitung” des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, Außenstelle Lübeck, keinen Hehl. Künstliche Intelligenz werde oft missverstanden. In seinem Anwendungsfeld verbergen sich dahinter Klassifikations- und Schätzverfahren, die auf künstlichen neuronalen Netzen basieren. Als Wissenschaftler betreut Koch derzeit Projekte rund um Sprach-, Audio-, Bildund Biosignalverarbeitung. Die aktuelle Innovation: Handgestenerkennung. “Um intuitive Interaktion zwischen Menschen und Maschinen wie Computern zu ermöglichen, dekodieren wir aus Biosignalen die Hand- und Armbewegungen”, erklärt er. “Handgesten betreffen alle Menschen, die mit Computern interagieren müssen. Haben sie aber keine Hände mehr - oder bereitet es Probleme, die Hände zu bewegen -, sind sie schnell ausgeschlossen.”
Erkenntnisse demonstriert Koch etwa mit Prothesen, die auf Basis von neuronalen Netzwerken Bewegungen in Echtzeit erkennen. Dies wird möglich durch die Auswertung der am Unterarm gemessenen Muskelsignale mittels neuronaler Netze. Damit diese Technik funktioniert, ist ein individueller Datensatz nötig. “Jeder Proband trainiert mit einem Sensor die eigene Prothese, bis von den Signalen auf die korrespondierenden Handbewegungen geschlossen werden kann”, so Koch. Die Reaktionszeit zwischen Signal und Bewegung beträgt dabei nur noch wenige Millisekunden. “Die Prothese soll ja eine Verlängerung des Körpers sein. Eine merkliche Verzögerung wirkt sich negativ auf die Bedienbarkeit aus.”
Hören 
Systeme zur Handgestenerkennung können für die intuitive Kommunikation und Interaktion mit einer Maschine sorgen, in Rehabilitationsphasen eingesetzt werden oder ein virtuelles Training nach dem Verlust von Extremitäten ermöglichen. “Unser Fokus bleibt der medizinische Bereich”, betont Koch, dem es sehr am Herzen liegt, Pflegekräfte und Pflegebedürftige mit seinen Erkenntnissen zu unterstützen. Daher begeistert ihn auch sein Projekt im Bereich akustischer Ereignisse: Hört man einen Krankenwagen in der Ferne oder schreit ein Kind, sind dies akustische Ereignisse, die, unterteilt in Klassen, zu einem Datensatz zusammengefasst werden, der zum Trainieren eines Algorithmus dient. Der Algorithmus soll lernen, aus Audioaufnahmen akustische Ereignisse vorherzusagen. “Mit den richtigen Datensätzen sind die möglichen Anwendungen extrem vielseitig: Detektoren könnten im Babyphon oder der Altenpflege eingesetzt werden, um zu ermitteln, ob jemand stürzt, aus dem Bett fällt oder Hilfe braucht.”
Fühlen 
Einen anderen, doch nicht weniger gesundheitswirtschaftlichen Weg gehen Lukas Krebs und Jennifer Claussen. Für das Start-up Naturbär in Kiel haben sie ein ökologisches, veganes und für Allergiker geeignetes Vollwaschmittel entwickelt. Das Waschmittel verzichtet auf Konservierungs- und Farbstoffe, auch Verpackung und Versand sind nachhaltig durchdacht. Das ist nicht nur gut für die Umwelt: „Wir wollen zeigen, dass ökologisches Waschmittel bereit ist für den Einzelhandel“, sagt Krebs. Als eines der wenigen Waschmittel ist Naturbär zu 100 Prozent ökologisch abbaubar. „Unser Waschmittel verzichtet auf Füllstoffe, die dem Verbraucher zwar ein Gefühl von Masse und Wertigkeit geben, aber nichts im Waschmittel zu suchen haben.“ Als Füllstoffe werden überwiegend Polymere eingesetzt, doch gerade diese sind problematisch. „Polymere lassen sich in der Kläranlage nicht gut filtern, weil Kläranlagen nicht dafür ausgelegt sind. Ein Teufelskreis entsteht, weil wir durch belastetes Trinkwasser unserer Gesundheit schaden“, so Krebs.
Genauso ist der Verzicht auf Duftstoffe ein Schritt in Richtung Verbrauchergesundheit: “Waschmittel muss nicht riechen. Duftöle sind nicht hautverträglich, ebenso wenig chemische Farbstoffe oder optische Aufheller wie in Mitteln für weiße Wäsche. Beides hat keinen nennenswerten Mehrwert und verursacht eher Hautreizungen.” Als angehende Chemielehrerin steuert Jennifer Claussen das nötige Know-how bei, um das Waschmittel zusammenzusetzen: “Bei uns soll der Mensch an erster Stelle stehen, wenn wir das Produkt betrachten. Daher haben wir an der Rezeptur immer wieder gefeilt, Inhaltsstoffe ausgetauscht, bis wir zufrieden waren.” So wird die im Produkt enthaltene Seife statt aus Palmöl aus Sonnenblumenöl gewonnen, andere Rohstoffe wie Kokosglycosid stammen von zertifizierten Herstellern mit transparentem Produktkreislauf.
Julia Königs
Veröffentlicht am 31. Mai 2021