Resolution der DIHK-Vollversammlung: Sofortmaßnahmen gegen hohe Strom- und Energiepreise einleiten

Die historisch hohen Strom- und Energiepreise bedrohen bereits jetzt viele deutsche Unternehmen in ihrer Existenz. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wird sich die Situation verschärfen. Bisher erfüllt Russland seine langfristigen Lieferverpflichtungen. Diese Situation kann sich jederzeit ändern. Russland ist kein sicherer Lieferant für Energierohstoffe mehr. Darauf muss die Politik reagieren.
Teilweise ist es bereits bei den bisherigen Preisen betriebswirtschaftlich sinnvoll, Maschinen und Anlagen abzustellen, anstatt zu produzieren und Energie zu verbrauchen. In der Logistik sind Flüssiggas-Lkws nicht mehr konkurrenzfähig.
Die hohen Preise sind nicht nur getrieben durch die schon länger andauernden Spannungen in Osteuropa: Neben den hohen Kosten für CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel sorgen eine stark gestiegene internationale Gasnachfrage und die sich daraus ergebenden hohen Beschaffungskosten der Kraftwerke für die hohen Strompreise. Durch die niedrigen Füllstände der Gasspeicher sowie die Aussetzung der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 wären unabhängig vom Angriff auf die Ukraine die Gaspreise und in der Folge auch die Strompreise absehbar auf einem hohen Niveau geblieben. Mit der Übernahme der EEG-Umlage in den Bundeshaushalt bereits zum 1. Juli 2022, wie vom DIHK vorgeschlagen, hat die Bundesregierung eine gewisse Entlastung vorgenommen, der nun aber tiefgreifende weitere Maßnahmen folgen müssen. Auch muss die Sicherheit beim Import von Energierohstoffen eine deutlich höhere Priorität bekommen.
Die DIHK-Vollversammlung schlägt vor, Unternehmen in unverschuldeter wirtschaftlicher Schieflage - sei es durch hohe Preise oder durch gekündigte Versorgungsverträge - kurzfristig durch zinsgünstige KfW-Kredite oder sogar direkte Notfallzahlungen zu unterstützen. Staatliche Auftraggeber müssen zumindest mit Preisgleitklauseln in ihren Verträgen mit Unternehmen die Volatilität der Energiepreisentwicklung mittragen. Auch sollte intensiv geprüft werden, ob eine kurzfristige Verschiebung des Ausstiegs aus der Kernenergie notwendig sowie technisch und wirtschaftlich sinnvoll sein kann. Erneuerbare Energien müssen rasch weiter ausgebaut werden, um Abhängigkeiten zu senken.
Die DIHK-Vollversammlung plädiert dafür, die Unternehmen darüber hinaus mit folgenden Maßnahmen dauerhaft zu entlasten, die Energieversorgung zu sichern und den Wirtschaftsstandort Deutschland wettbewerbsfähig zu halten:
  1. Abhängigkeiten bei Gas reduzieren, Speicher- und Abschaltpotenziale nutzen: Innerhalb der Wirtschaft gehen die Meinungen auseinander, ob und ggf. wie bei Gas staatlicherseits Vorsorge durch zusätzliche Marktregulierungen betrieben werden soll. Weitgehende Einigkeit besteht hingegen dabei, dass Europa angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine unverzüglich zusätzliche Lieferquellen erschließen muss - sowohl für Erdgas als auch für Flüssigerdgas (LNG). Der angekündigte Neubau von LNG-Terminals ist daher ein positives Signal. Nationale und europäische Solidaritätsmechanismen sollten so weit wie möglich genutzt werden. Das in den vergangenen Jahren eingeführte Gasmarktprodukt, über das freiwillige industrielle Abschaltleistung gegen eine Vergütung bereitgestellt wird, aktiviert bereits Abschaltpotenziale auf Seiten der Nachfrage. Dies sollte Vorrang vor staatlichen Notfallmaßnahmen haben. Vorgaben für Speicherfüllstände sind eine weitere Möglichkeit, Vorsorge für den kommenden Winter zu treffen. Am effizientesten ist ein gemeinsames europäisches Vorgehen.
  2. Strom- und Gasinfrastruktur weiter europäisch vernetzen: Der europäische Strom- und Gasbinnenmarkt erhöht die Versorgungssicherheit und reduziert die Kosten für die Energieversorgung der Wirtschaft. Ein rascher Ausbau der nationalen Netze und Grenzkuppelstellen ist dafür notwendig.
  3. Weitere Umlagen neben der EEG-Umlage aus dem Bundeshaushalt bestreiten: Mit der Übernahme der weiteren Umlagen (§19 StromNEV-, Offshore-Netz-, AblaV- und KWK-Umlage) in den Staatshaushalt ab 2023 sollte die Wirtschaft nochmals um mehr als eine Milliarde Euro entlastet werden. Auch durch diese Maßnahme entfällt zusätzlich viel Bürokratie in den Unternehmen.
  4. Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß absenken: Die Stromsteuer kann im Einklang mit europäischen Vorgaben von 2,05 auf 0,05 ct/kWh abgesenkt werden. Die Wirtschaft würde um ca. 3 Mrd. Euro entlastet. Für Betriebe, die heute den Spitzenausgleich in Anspruch nehmen, wäre es eine kleinere finanzielle, aber eine große bürokratische Entlastung. Gleichzeitig würden die Unsicherheiten über eine Verlängerung des Spitzenausgleichs über 2022 hinaus direkt beseitigt, da dieser nicht mehr notwendig wäre.
  5. Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zu den Übertragungsnetzentgelten einführen: Im Rahmen der Einigung über den Ausstieg aus der Kohleverstromung wurde für den Zeitraum ab 2023 ein Zuschuss zu den Netzentgelten vereinbart, der Preiseffekte ausgleichen soll. Diese Einigung sollte nun rasch umgesetzt werden. Gleiches gilt für die Umsetzung des ebenfalls im Kohlekompromiss verabredeten Ausgleichsinstruments für die energieintensive Industrie, die von der allgemeinen Netzentgeltreduzierung kaum profitiert.
  6. Erneuerbare Energien über Stromdirektlieferverträge (PPA) rasch ausbauen: PPAs helfen Unternehmen bei der betrieblichen Reduzierung der Treibhausgase auf dem Weg zur eigenen Klimaneutralität. Grüne Stromabnahmeverträge beschleunigen nicht nur den Ausbau erneuerbarer Energien, sondern sichern auch den industriellen Abnehmern einen stabilen Strompreis. Sie sollten befördert und nicht durch Regulierung behindert werden. Denn auch KMU sollten dieses Instrument stärker nutzen können. Daher sollten künftig auch geförderte Anlagen grüne Herkunftsnachweise vermarkten können und Eigenversorgungsanlagen ebenfalls Herkunftsnachweise erhalten.
  7. Gemeinsame Eigenversorgung stärken: Eigenversorgungskonzepte sollten auch von mehreren Unternehmen gemeinschaftlich umgesetzt werden können. Eine flexiblere Auslegung des räumlichen Zusammenhangs erleichtert die Umsetzung solcher Projekte. Dazu sollten auch Meldepflichten reduziert werden.
  8. Unternehmen vor Carbon Leakage schützen: Die nationale CO2-Bepreisung belastet deutsche Industrieunternehmen, die nicht dem europäischen Emissionshandel unterliegen und benachteiligt sie vor allem im innereuropäischen Wettbewerb. Die geltenden Schutzregeln sind weder von der Entlastungshöhe noch von der Anzahl antragsberechtigter Unternehmen nur ansatzweise ausreichend, um Carbon Leakage wirksam zu verhindern. Sie müssen daher dringend ausgeweitet und entbürokratisiert werden, um energieintensive Unternehmen vor dem Aus am Standort Deutschland zu bewahren. Auch im bestehenden Europäischen Emissionshandel (EU ETS) benötigen die Unternehmen angemessenen Schutz vor Carbon Leakage, weshalb von einer Kürzung der freien Zuteilung abgesehen werden sollte.
  9. Hochlauf des Wasserstoffmarktes organisieren: Die Umstellung der Wirtschaft auf Treibhausgasneutralität wird nur gelingen, wenn große Mengen an Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung stehen. Dafür sollten neben Förderbedingungen rasch Infrastruktur-, Zertifizierungs- und Importfragen geklärt werden, um einen liquiden Markt zu entwickeln. Unternehmen, die absehbar nicht an ein Wasserstoffnetz angeschlossen sind, sind auf einen effizienten bilanziellen Handel über ein Herkunftsnachweissystem angewiesen. Dieses sollte daher schnellstmöglich eingeführt werden.
  10. Regelungen zu Unternehmen in Schwierigkeiten vorübergehend aussetzen: Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten dürfen nach Vorgaben des europäischen Beihilferechts keine Ausgleichsregelungen in Anspruch nehmen. Der Verlust von Entlastungen bei Umlagen sowie Strom- und Energiesteuer über den Spitzenausgleich wiegt dabei doppelt schwer und kann endgültig in die Insolvenz führen. Wie bereits während der Corona-Hochphase sollten die Regelungen mit Blick auf die hohen Strom- und Gaspreise daher ab sofort von der EU bis Ende 2023 ausgesetzt werden.
DIHK-Vollversammlung | 23. März 2022 | Berlin