Regional und nachhaltig Einkaufen

Es geht auch ohne Verpackung

Regionale und saisonale Produkte anbieten sowie Verpackungsmüll und Lebensmittelabfälle so gut es geht vermeiden – das steckt hinter dem Konzept der sogenannten Unverpackt-Läden. Doch die massiv gestiegenen Preise sind eine existenzielle Herausforderung für viele dieser Geschäfte. Dabei ist deren Sortiment nicht zwangsläufig teurer als beim Discounter. Das sagt auch Sylvia Landau-Hahn, die seit 2020 mit viel Hingabe das Geschäft Tante Erna Unverpackt in Mörfelden-Walldorf betreibt.
Autor: Stephan Köhnlein, 27. Juni 2023
Es weht ein Hauch von Nostalgie bei Tante Erna Unverpackt in Mörfelden-Walldorf: Gläser mit Hülsenfrüchten hängen in einer Reihe an der Wand. Die Kichererbsen kommen aus dem Vogelsberg, der Quinoa aus dem Odenwald und die Belugalinsen aus Friedberg. Die Vielfalt regionaler Produkte im Laden von Sylvia Landau-Hahn verblüfft, bei vielen Lebensmitteln würde man nicht meinen, dass diese in der Umgebung angebaut werden. Die Kundschaft kann sich die Ware nach Bedarf in ein mitgebrachtes Gefäß abfüllen. Auch Süßigkeiten, Brot, Gemüse, Kosmetika und Putzmittel hat die Einzelhändlerin im Angebot – alles ohne Verpackung.
Die Idee für den Unverpackt-Laden reifte bei Sylvia Landau-Hahn im Jahr 2018. Damals war sie mit ihrem Mann während eines Sabbat-Jahres in Spanien unterwegs und kam in der Provinz Almería an den berüchtigten Plastikfeldern vorbei. Rund 31.000 Hektar – eine Fläche so groß wie mehr als 43.000 Fußballfelder – sind dort von Gewächshäusern und Plastikplanen bedeckt. „Was tun wir hier eigentlich?“, fragten sie und ihr Mann sich damals mit Blick auf ihr eigenes Konsumverhalten.
Zurück in Deutschland gründete Sylvia Landau-Hahn eine Plastikfastengruppe. Um für den Einkauf von unverpackten Lebensmitteln nicht nach Frankfurt oder Darmstadt fahren zu müssen, entstand der Gedanke, so etwas auch in Mörfelden-Walldorf zu organisieren. Eine Lebensmittelkooperative oder ein Gemeinschaftsladen schwebten ihr vor. Aber es war schwierig, Menschen zu finden, die sich auch in hohem Maß einbringen wollten. So wagte sie schließlich den Sprung in die Selbstständigkeit.

Die Gründung während der Coronapandemie lief gut

„Ich komme aus einer Familie, in der alle selbstständig waren, und weiß, was das bedeutet“, sagt die Unternehmerin. Ihre Oma Erna, die bei der Namensgebung Patin stand, hatte beispielsweise gegenüber vom heutigen Unverpackt-Laden ein Geschäft mit ihrem Mann. „Die verkauften dort allerdings keine Lebensmittel, sondern Fernseher und Radios“, erinnert sie sich.
Der im April 2020 eröffnete Unverpackt-Laden liegt etwas abseits der Hauptstraße in der alten Schule von Mörfelden-Walldorf. Geöffnet ist von Donnerstag bis Samstag. Von Montag bis Mittwoch wollte die Ladeninhaberin eigentlich weiter als Diplom-Pädagogin und Kreativtherapeutin bei einem Jugendhilfeträger in Darmstadt arbeiten. Mittlerweile hat sie das auf einen Tag reduziert, denn auch wenn ihre pensionierte Mutter einen Tag im Geschäft mithilft und ihr Mann am Samstag ebenfalls anpackt, ist die Arbeit so nicht zu bewältigen gewesen.
Der Start mitten in der Corona-Pandemie ist gut gelaufen. „Wir waren sehr positiv überrascht über das große Interesse“, sagt Sylvia Landau-Hahn. Die Leute hätten die persönliche Atmosphäre geschätzt. Für viele sei der Einkauf während des Lockdowns eine der wenigen Möglichkeiten gewesen, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. „Für manche war das wie Therapie. Zudem hatten die Menschen mehr Zeit, sich mit ihrer Ernährung zu beschäftigen, bewusster einzukaufen, zu kochen und auch zu essen.“
Was bei Unverpacktläden an Verpackung eingespart wird:
Kichererbsen (trocken) 81 Prozent
Zucker (Rübenzucker) 86 Prozent
Schokolade 84 Prozent
Nudeln (Penne) 84 Prozent
Haferflocken (fein) 90 Prozent
Mandeln (braun ganz) 94 Prozent
Kakaopulver 99 Prozent

Quelle: Unverpackt-Verband, Vergleichsbasis sind Waren aus dem Bio-Supermarkt, Zahlen beziehen sich auf die Gesamtersparnis bei Papier/Pappe, Kunststoff bzw. Glas oder Metall

„Wir können es uns nicht leisten, beim Konsum nichts zu ändern“

Schwieriger als zu Coronazeiten sei es aktuell. Infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind die Preise massiv gestiegen. „Das ist für die ganze Biobranche und die Unverpackt-Läden eine riesige Herausforderung“, berichtet die Einzelhändlerin. Natürlich gebe es viele Menschen, die sehr genau hinsehen müssten, zu welchem Preis sie einkaufen. „Aber es gibt nach wie vor auch viele Menschen, für die es keine existenzielle Frage ist, und die mit ihrem Einkauf nachhaltig und gesund produziert und gehandelten Lebensmitteln ihre Stimme geben könnten. 
Sylvia Landau-Hahn hat sich mit anderen Läden vernetzt, steht im regelmäßigen Austausch, auch über den Unverpackt-Verband. „Ich weiß von vielen Läden, die am Scheidepunkt stehen. Sie sehen sich an, wie sich dieses Jahr entwickelt und überlegen sich neue Konzepte wie Mitgliederläden oder Genossenschaften“, sagt sie.
Dass eine Veränderung des Konsumverhaltens auf breiter Basis nötig ist, steht für die Ladenbetreiberin außer Frage. „Wir haben doch gar keine andere Wahl, können es uns gar nicht leisten, hier nichts zu verändern“, ist sie überzeugt. „Die Folgekosten, die mit unserem Konsumverhalten entstehen wie Plastikverschmutzung, ausgelaugte und pestizidbelastete Böden, Insektensterben oder gar die Migration und Flucht von Menschen, sind doch in der Regel gar nicht in die Produkte eingepreist. Wir brauchen ein anderes System. Wie kann es denn sein, dass Linsen aus der Türkei oder Lebensmittel aus Asien günstiger sind als regionale Produkte?“

Wer lose einkauft, kauft bedarfsgerechter

Ohnehin ärgern Sylvia Landau-Hahn die Vorurteile über ihrer Branche. „Oft denken die Menschen: Ich gehe zum Discounter, weil es da billiger ist und kleine Läden immer teuer sind. Aber wenn man vergleicht, stellt man oft fest, dass das nicht stimmt“, sagt sie. Hinzu komme, dass man gezielter und bedarfsgerechter einkaufe, wenn man lose einkauft. Man werfe dann auch weniger weg.
Natürlich sei die Auswahl bei ihr nicht so groß wie in einem großen Supermarkt. Es gebe eben nur eine Sorte Spaghetti und im Winter keine Tomaten, weil man auf regionale Produkte setze. „Es ist kein Problem, sich trotzdem gesund und abwechslungsreich zu ernähren. Auf etwas zu verzichten bedeutet nicht zwangsläufig Mangel, es kann auch Gewinn sein. Aber das ist auf breiter Ebene noch nicht so ganz angekommen.“
Auch deshalb sucht Sylvia Landau-Hahn die Öffentlichkeit, spricht zum Beispiel vor Schulklassen und lädt sie ein. Ihre Botschaft: „Guckt es Euch an. Wir sind keine Exoten, sondern ein ganz normaler Laden. Wenn wir unsere Gewohnheiten ändern, können wir Dinge in Bewegung bringen. Dafür brauchen wir Austausch und eine starke Gemeinschaft.“

Ein Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit

Mit seinem Geschäftsmodell trägt Tante Erna Unverpackt insbesondere zu folgenden SDGs bei:
Zukunftsmut: Ideen für mehr Nachhaltigkeit
Von der Chancengleichheit am Arbeitsplatz über ressourcenschonende, umweltfreundliche Produktion, neue Geschäftsideen, die Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen präsentieren, bis hin zu Sponsoring von Sportvereinen, Kultureinrichtungen und mehr: Unternehmerische Verantwortung hat viele Facetten. In dieser Artikelserie stellen wir Ihnen Good-Practices in Sachen ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit aus der Region Rhein-Main-Neckar und darüber hinaus vor, die beweisen, warum wir auch in Zeiten multipler Krisen mehr Optimismus wagen sollten.

Was macht verantwortungsvolle Teilhabe im Wirtschaftsleben aus?
Im Jahr 2020 haben rund 20 Unternehmerinnen und Unternehmer dazu ein neues Leitbild für verantwortungsbewusste, vertrauenswürdige Geschäftsleute erarbeitet. Dieses Leitbild stellen wir Unternehmen in deutscher und englischer Sprache kostenfrei zum Download bereit.

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#VerantwortungfüreinestarkeRegion
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit