"Politik muss mehr unternehmerischen Handlungsfreiraum zulassen"

DIHK-Präsident Peter Adrian analysiert aktuelle wirtschaftliche Lage beim  öffentlichen Teil der 257. Vollversammlung der IHK Wiesbaden. 

21. September 2023 – Mit Peter Adrian, dem Präsidenten der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), der die aktuelle Lage der deutschen Wirtschaft und die Stimmung deutscher Unternehmen skizzierte, hatte die IHK Wiesbaden für den öffentlichen Teil ihrer 257. Vollversammlung einen prominenten Gastredner gewonnen, der für einen vollbesetzten Großen Saal im IHK-Sitz an der Wilhelmstraße sorgte.  
Dr. Christian Gastl, Präsident der IHK-Wiesbaden, beschrieb einleitend die schwierige Gemengelage mit hohen Energiepreisen, Dekarbonisierung und dem allgegenwärtigen Arbeits- und Fachkräftemangel. Das geplante‚ Vierte Entbürokratisierungsgesetz‘ begrüßte er: „Weniger Bürokratie wirkt wie ein Wachstumsmotor und den brauchen wir jetzt und nicht irgendwann“, so Gastl. Er würdigte Adrian als „Vollblutunternehmer“ und als „unsere Stimme in Berlin und Brüssel“. Gastls Forderung nach verbesserten Rahmenbedingungen für die Wirtschaft stieß beim DIHK-Präsidenten auf offene Ohren. „Die Wirtschaftspolitik muss einfacher, schneller und innovativer werden“, lässt sich das Anliegen der Deutschen Industrie- und Handelskammer auf den Punkt bringen. Dafür, so Adrian, bedürfe es allerdings auch eines Loslassens seitens der Politik: „Die Regierung muss Unternehmen mehr Freiraum etwa auch in Sachen regenerativer Energiegewinnung einräumen“, forderte der 66-jährige Unternehmer unter Zustimmung Gastls, der IHK-Hauptgeschäftsführerin Sabine Meder und zahlreicher Unternehmerinnen und Unternehmer im Publikum. Als bemerkenswertes Beispiel für die grundsätzliche Innovationskraft der deutschen Wirtschaft, unter entsprechenden Bedingungen, hatte Meder zuvor auch auf den Bau einer wasserstofffähigen Großanlage zur Eisenherstellung bei Thyssenkrupp in Duisburg hingewiesen. Bis Ende 2026 soll die geförderte Anlage dort in Betrieb gehen. 
Adrian, der in Rheinland-Pfalz lebt und sich große Sympathien bereits durch die Aussage erwarb, dass „Wiesbaden eigentlich die schönere Stadt“ unter den benachbarten Landeshauptstädten sei, zeichnete ein ernüchterndes Bild der deutschen Wirtschaft. Gleichwohl wollte er die unternehmerische Zuversicht nicht aufgeben. Verglichen mit anderen Ländern stehe Deutschland jedoch derzeit schlecht da: Keine andere große EU-Nation müsse 2023 mit einem Minuswachstum rechnen. Der DIHK-Präsident beklagte unter anderem die viele Unternehmen belastenden hohen Energie- und Materialkosten, hinzu komme der Fachkräftemangel. „Die Frühjahrsbelebung ist schlichtweg ausgefallen, die Konjunktur lahmt und die Stimmung wird zuletzt immer schlechter“, brachte er es auf den Punkt, und führte das abhandengekommene Vertrauen der Wirtschaft in den Standort Deutschland unter anderem auf die Unsicherheiten bei der Energieversorgung zurück. Und gerade beim Thema Energie sieht Peter Adrian die Politik in der Pflicht: Sie müsse sich von der Vorstellung lösen, „die Transformation unserer Wirtschaft mit Detailvorgaben regeln zu können und damit übermäßig in den Unternehmeralltag einzugreifen.“ Analog der Praxis in den USA müssten Unternehmen hingegen mehr Freiräume eingeräumt und Anreize zum Investieren geschaffen werden. Grundsätzlich, so Adrian, gelte: „Die Politik braucht mehr Mut zum Kontrollverzicht und sie muss ihr Vertrauen in die Bürger stärken.“ 
Der Industriestrompreis reiche nach den Worten Adrians nicht aus und führe zu einer Wettbewerbsverzerrung. Er selbst werbe deshalb für breit angelegte Strompartnerschaften, die den Preis insgesamt senken und gleichzeitig Investitionen in erneuerbare Energien fördern. Während er dem Fachkräftesicherungsgesetz attestierte, eine gute Grundlage zu sein, steigerten eine überbordende Bürokratie und viel zu lange Planungszeiten die Gefahr, dass große Unternehmen aus Deutschland abwanderten. „Es gibt viele Beispiele anhand derer wir der Politik zeigen können, dass sich aufwendige Genehmigungsverfahren vereinfachen lassen oder auch teilweise völlig wegfallen könnten“, so der Vollblutunternehmer, der seinen ersten Betrieb mit 21 Jahren gegründet hat. Er hatte passend dazu ein Beispiel seiner eigenen unternehmerischen Arbeit in Bayern parat. Gleichzeitig warnte er: „Die Transformation wird nicht ohne Anstrengung für Wirtschaft und Gesellschaft zu realisieren sein. Ohne Investitionen wird dies nicht gelingen.“ 
„Der Kontakt zur Politik in Berlin und der Zugang zum Dialog ist gegeben“, führte Adrian auf die Nachfrage des Wiesbadener IHK-Präsidenten Dr. Christian Gastl aus, der nach Einblicken in das DIHK-Tagesgeschäft und dem Austausch in der Bundeshauptstadt fragte. Er stimmte der ferner geäußerten Erfahrung aus der Praxis zu, dass unternehmerischer Nachwuchs fehle: „Die Menschen scheuen das Risiko, das man als Unternehmer nun mal eingeht“, sagt er – und das trotz zahlreicher langjährig bewährter Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten. Adrian fehle zudem eine bessere Berufsorientierung an Schulen. Das sei wichtig, vor allem in Anbetracht von mehr als einer Million junger Erwachsener im Alter von bis zu 25 Jahren, die über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. 
Mit dem Appell für einen „Ruck für Aufbruchstimmung“ beendete DIHK-Präsident Peter Adrian seinen einstündigen Impuls, um die Diskussion bei einem anschließenden Get-together in Einzelgesprächen fortzusetzen. Er bezog sich dabei auf eine Ansprache des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, der im März 1997 „Freiheit und Verantwortung – Mehr Mut zur Selbstständigkeit“ eingefordert hatte. Herzog betonte seinerzeit die Eigenverantwortung der Bürger, der Unternehmen und der Politik, die mehr unternehmerischen Handlungsfreiraum gewähren müsse.