Titel - Ausgabe November 2023

Resiliente Wirtschaft

Die Coronakrise warf Lieferketten durcheinander, der Ukrainekrieg brachte exorbitant hohe Energiepreise. Und trotzdem: Die Unternehmen in der Oberpfalz und im Landkreis Kelheim haben die Herausforderungen und Veränderungen der vergangenen Jahre erstaunlich gut gemeistert. Wie ist ihnen das gelungen und mit welchen Strategien stellen sich die Betriebe in der Region krisensicher auf?
Thomas Hanauer, emz Hanauer GmbH & Co. KGaA
Krise ist nicht gleich Krise. Während die Coronakrise eher eine gute Zeit für Thomas Hanauer und sein Unternehmen war, ist die derzeitige weltweite Nachfrageflaute im Zuge von hoher Inflation und Energiepreisen eine Herausforderung für ihn. Hanauer ist Geschäftsführer der emz Hanauer GmbH & Co. KGaA. Das Unternehmen mit Sitz in Nabburg entwickelt und produziert mit weltweit mehr als 1.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Bauteile und Systeme für Geschirrspüler, Waschmaschinen, Trockner und Kühlgeräte. Von der Coronakrise profitierte die Firma, weil sich viele Menschen im Lockdown neu in den eigenen vier Wänden einrichteten, renovierten und sich dabei oft neue Haushaltsgeräte kauften.
Doch jetzt, wo viele Menschen rund um den Globus wegen hoher Energie- und Lebensmittelpreise weniger Geld im Portemonnaie haben, sparen sie auch an neuen Hausgeräten oder kaufen günstigere, weniger qualitätsvolle Geräte. Auch wird weltweit weniger neuer Wohnraum gebaut, das heißt auch weniger Haushaltsgeräte – auch das wirkt sich auf Hanauers Unternehmen aus.

Trends beobachten

Dennoch komme seine Firma besser durch diese Nachfragekrise als andere Wettbewerber im Haushaltsgerätebereich, so Hanauer. Und das hat vor allem einen Grund: „Bei uns spielen Innovationen eine sehr große Rolle“, sagt Thomas Hanauer. Regelmäßig entwickeln seine Mitarbeiter gemeinsam mit den Kunden – das sind große Haushaltsgerätehersteller – neue Produkte. Der Gesamtmarkt in seinem Bereich leide aktuell unter einem Minus von 15 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021.
So schlimm ist es bei emz nicht. „Wir beobachten immer Trends und schlagen unseren Kunden daraufhin neue Produkte vor. Außerdem investieren wir pro Jahr rund sieben Prozent unseres Umsatzes in Forschung und Entwicklung“, sagt Hanauer. Das ist mehr als in seiner Branche üblich. Zudem bietet emz seinen Kunden zunehmend ganze Systeme an, nicht nur einzelne Komponenten. Als Beispiel nennt Hanauer einen „Ice Maker“, eine Eiswürfel produzierende Maschine, die in Kühlschränke eingebaut werden kann. Oder Module zur automatisierten Dosierung von Waschmitteln in Waschmaschinen.

Neue Märkte erschließen

Um weniger von den weltweiten Lieferketten abhängig zu sein, die, wie die Coronazeit gezeigt hat, unterbrochen werden können, setzt Hanauer zudem verstärkt auf eine local-for-local Strategie. In den Hanauer-Produktionsstandorten in Mexiko oder China werden zum Beispiel Teile und Rohstoffe so weit wie möglich aus der Region bezogen, damit sie nicht um die halbe Welt reisen müssen. Auch andere Unternehmen in Ostbayern haben sich auf die Herausforderungen der vergangenen Jahre gut eingestellt, sagt Dominique Mommers, IHK-Abteilungsleiterin International. „In unserer Region haben wir sehr exportstarke Unternehmen. Die Exportquote liegt bei etwa 50 Prozent. Deshalb trafen die Verwerfungen auf den Weltmärkten in den letzten Jahren die regionalen Unternehmen teilweise hart“, sagt Mommers. Doch die meisten Betriebe hätten sehr pragmatisch auf die neuen Herausforderungen reagiert.
Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage der IHK-Organisation unter 2.400 Unternehmen deutschlandweit. Demnach wollen 51 Prozent der befragten Firmen auf die veränderten geopolitischen Gegebenheiten reagieren, indem sie sich neue Märkte erschließen. Das trifft auch auf die ostbayerischen Unternehmen zu, so Mommers. Diese hätten aber auch schon vor den Krisen der vergangenen Jahre auf mehrere Märkte- und Zulieferländer gesetzt, um ihre Risiken zu minimieren. Laut IHK-Umfrage wollen zudem 38 Prozent der befragten Unternehmen ihre Lagerhaltung erhöhen, um Produkte und Zulieferteile verstärkt vor Ort vorzuhalten. Generell sei die Lage auf den Weltmärkten im Moment nicht nur schwierig. So gebe es auch Lichtblicke für die exportierenden Betriebe. Mommers nennt etwa US-Präsident Joe Bidens IRA Act, der den US-amerikanischen Markt auch für deutsche Unternehmen sehr attraktiv mache.

Strukturelle Probleme bremsen

„Die meisten ostbayerischen Unternehmen sind relativ gut durch die Krisen der vergangenen Jahre gekommen“, sagt auch Thomas Genosko, Abteilungsleiter für Standortpolitik, Innovation und Umwelt bei der IHK in Regensburg. „Viele Unternehmen haben Prozesse optimiert, auch mithilfe digitaler Maßnahmen.“ Andere hätten sich in Sachen Online-Marketing verbessert oder sich im Energiebereich autarker aufgestellt. Trotzdem: Strukturelle Probleme hinderten laut Genosko viele Unternehmen daran, langfristig problemlos zu wirtschaften. Er nennt hier zum Beispiel die im Vergleich zu anderen Ländern hohen Energiekosten in Deutschland, den um sich greifenden Arbeitskräftemangel, die hohe Steuerlast für die Unternehmen und die oft überbordende Bürokratie.
Christian Siebenwurst, Siebenwurst GmbH & Co. KG
Für die Firma Siebenwurst GmbH & Co. KG in Dietfurt war dagegen die langandauernde Unsicherheit im Automobilbereich die größte Herausforderung der vergangenen Jahre. Das 1897 gegründete Unternehmen hat in seiner langen Geschichte schon viele Krisen- und Umbruchphasen erlebt. Nach der Zerstörung des Werks in Nürnberg im Zweiten Weltkrieg baute die Familie Siebenwurst den Betrieb in der Nachkriegszeit in Dietfurt ganz neu auf. Heute arbeiten dort und an zwei weiteren deutschen Standorten etwa 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hauptsächlich im Formen- und Modellbau aktiv sind.

Forschung verbindet

Die Frage, wann das Aus für den Verbrennungsmotor kommen und auf welche Technologie die EU stattdessen setzen würde, hemmte die deutsche Automobilindustrie lange. Die Folge: Viele deutsche Autohersteller entwickelten in dieser Zeit weniger neue Modelle. Das spürte auch das Unternehmen Siebenwurst, das den Hauptteil seiner Kunden im Automobilbereich hat. Auf andere Märkte, wie etwa den chinesischen auszuweichen, war deshalb auch schwierig, da die chinesische Regierung die eigenen Zulieferbetriebe im Automobilbereich massiv unterstützt und gegen westliche Mitbewerber abschirmt. Vom chinesischen Standort hat sich Siebenwurst deshalb zu Beginn der Corona-Pandemie getrennt.
Um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen, setzt Geschäftsführer Christian Siebenwurst vor allem auf Innovationen, Forschungskooperationen und die Erschließung neuer Geschäftsfelder. Gemeinsam mit anderen Forschungspartnern arbeitet Siebenwurst zum Beispiel gerade an einem Modul in Leichtbautechnik für einen Helikopterhersteller. Ziel dieser Bauweise sind Materialeinsparungen auf der einen und Gewichtsreduktion auf der anderen Seite.
Neben dem Luftfahrtbereich sondiert das Unternehmen auch Chancen im Bereich Kunststoff-Recycling, der Batterie- und Wasserstofftechnologie oder im Energiesektor. Dabei arbeitet Siebenwurst mit zahlreichen Unternehmen und Forschungseinrichtungen zusammen, wie zum Beispiel der RWTH Aachen. Und das Unternehmen wagt sich auch auf ungewöhnliches Terrain: Im Regensburger Westen wird derzeit ein Bürogebäude errichtet, für das Siebenwurst eine orangefarbene Fassade aus organisch anmutenden Kunststoffelementen herstellt. Der Gebäudebereich – auch ein mögliches neues Standbein für die Firma. Aber nicht nur bei neuen Geschäftsbereichen geht es bergauf. „Wir erleben jetzt auch eine Trendwende bei den europäischen Autoherstellern. Es werden wieder mehr Modelle entwickelt und davon profitieren auch wir“, sagt Christian Siebenwurst.

Mit Beständigkeit punkten

Sandro Scheuerers Antwort auf die Krisen der vergangenen Jahre: Er vertreibt zeitlose Produkte, bei denen die Nachfrage konstant hoch bleibt. Sandro Scheuerer ist Geschäftsführer der Firma Dekoprojekt Sandro Scheuerer e.K. in Weiden in der Oberpfalz. Er entwirft Heiligen- und Krippenfiguren, lässt diese in China aus dem Kunstharz Polyresin herstellen und verkauft diese an Betreiber von Weihnachtsständen auf Christkindlmärkten. Das Geschäft mit Dekoartikeln liegt ihm im Blut: Bereits sein Vater war in diesem Bereich tätig und auch Scheuerer hat bereits mehrere Firmen gegründet, etwa eine für Deko-Farbsand und Kunstschnee in den 1990er Jahren.
Sandro Scheuerer, Dekoprojekt Sandro Scheuerer e.K.
Vor 30 Jahren ist er dann mit der Firma Dekoprojekt in den Handel mit Polyresin-Figuren eingestiegen und produziert heute etwa 2.500 verschiedene Modelle. Er profitiert dabei vor allem von einem Faktor: Das beliebteste Produkt, ein Krippenmodell, wird seit Jahrzehnten konstant von den Kunden nachgefragt. Weil er gut einschätzen kann, wie viele dieser Krippen seine Kunden jede Weihnachtssaison verkaufen, kann er frühzeitig – und noch vor den Wettbewerbern – die erforderliche Menge an Figuren bei seinem Hersteller in Asien einkaufen. Vor allem während der Coronakrise, als viele in China gefertigten Produkte in den internationalen Häfen festhingen, war das ein großer Vorteil. Seine Figuren kamen noch rechtzeitig vorm Weihnachtsgeschäft an, wenn auch zwei Monate verspätet. Mitbewerber, die eher dem Trend im Weihnachtsgeschäft unterworfen waren und deshalb nicht frühzeitig bestellen konnten, schafften das nicht.
Scheuerers größte Herausforderung derzeit: Sein Hauptlieferant kann immer weniger Figuren produzieren, weil ihm die Arbeiterinnen und Arbeiter fehlen. „Früher hatte unser chinesischer Produzent 1.250 Mitarbeiter, jetzt nur noch 350“, sagt Scheuerer. Der Grund: Die Ein-Kind-Politik und die besseren Karrierewege für junge Chinesinnen und Chinesen, die heute ein Studium bevorzugen. Scheuerer hat deshalb auch schon andere asiatische Länder als mögliche Produktionsstandorte sondiert – etwa Vietnam und Indien. Doch Unternehmen dort haben bisher keine Erfahrung in der Verarbeitung von Polyresin für Deko-Artikel und scheiden deshalb als Alternativen aus. Scheuerer wird deshalb wohl zunächst weiter in China produzieren lassen.

Innovativ durch Kooperationen

Die Zollner Elektronik AG setzt auf viele Stellschrauben, um den Herausforderungen der vergangenen Jahre zu begegnen. Das Familienunternehmen mit Sitz in Zandt im bayerischen Wald bietet schnell, flexibel und mit einem Höchstmaß an persönlicher Betreuung branchen- und technologieübergreifende Systemlösungen – und das entlang des gesamten Produktlebenszyklus für Kunden aus sieben verschiedenen Branchen. An 24 Standorten rund um die Welt arbeiten mehr als 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinsam an dieser Strategie.
Ludwig Zollner, Zollner Elektronik AG
Um das Unternehmen krisenresilient aufzustellen, sind Partnerschaften und Netzwerke mit anderen Firmen und Forschungseinrichtungen wichtige Faktoren für den EMS-Dienstleister. „Partnerschaften und Netzwerke spielen eine entscheidende Rolle für uns. Gemeinschaftliche Anstrengungen tragen dazu bei, den Herausforderungen, die mit Krisen einhergehen, besser zu begegnen“, sagt Ludwig Zollner, Sprecher des Vorstands der Zollner Elektronik AG. Zudem ermöglichten Kooperationen den Austausch von bewährten Verfahren, Erkenntnissen und Ressourcen, um zusammen an innovativen Lösungen und Technologien zu arbeiten, betont Zollner. So kooperiert das Unternehmen zum Beispiel mit der Gerresheimer AG – einem globalen Experten für Pharmazie, Biotech, Gesundheit und Kosmetik mit einem breiten Produktspektrum für Arzneimittel- und Kosmetikverpackungen sowie Wirkstoffabgabesystemen, sogenannten Drug Delivery Systemen. „Besonders in den letzten Jahren erhielt der Trend hin zu elektronischen, digital steuerbaren und vernetzten MedTech-Geräten und diagnostischen Systemen einen Aufschwung“, so Ludwig Zollner.
Die Partnerschaft mit Gerresheimer habe es der Zollner Elektronik AG erlaubt, die gemeinsame Expertise in den bestehenden Märkten auszubauen und auch in etwaigen Krisen neue Märkte zu erschließen. Zusammen mit Gerresheimer entwickelt Zollner Inhalatoren für Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen, aber auch Autoinjektoren, Systeme zur Augenheilkunde und Medikamentenpumpen. Zudem kooperieren die Unternehmen in der Auftragsfertigung solcher und ähnlicher Geräte. Gerresheimer fungiert dabei als zentraler Ansprechpartner für den Kunden. „Gemeinsam verfolgen wir ein Ziel: innovative Lösungen von höchster Qualität für das Gesundheitswesen der Zukunft“, so Zollner.

Autorin: Dr. Julia Egleder