Titel - Ausgabe Januar 2025

„Die Diversitätsdiskussion verstellt den Blick“

Prof. Dr. Isabell M. Welpe hat an der Technischen Universität (TU) München den Lehrstuhl für Strategie und Organisation inne und auch zu Frauen in Führung und Verantwortung geforscht. Ihr Fazit mit Blick auf die Fachkräftegewinnung fällt dabei eindeutig aus: Unterschiede in sozialen und demographischen Merkmalen sind in der Regel unwichtig, es zählt allein das Talent und die Offenheit, mit dem Führungskräfte diesem begegnen.
Prof. Dr. Welpe, was ist Ihre Hauptbotschaft zu weiblicher Führung und Unternehmerschaft?
Prof. Dr. Isabell M. Welpe: Tatsächlich keine, die mit Politik zu tun hätte, sondern mit Betriebswirtschaft: Wir wissen heute, dass Talent in einer Gesellschaft relativ gleichmäßig verteilt ist – zwischen Nord- und Süddeutschen, Kleineren und Größeren, blonden und braunhaarigen Menschen, Religiösen und Atheisten, Männern und Frauen. Insofern sind Unternehmen, die in allen Talentpools „fischen“ und dann eben auch weibliche Führungskräfte oder Unternehmerinnen haben, einfach einen natürlichen Weg gegangen.
Geht es damit im Grunde nur um Qualität und gar nicht um Quantität?
Meiner Meinung nach ist das so. Gutes und effektives Führungsverhalten ist klar durch die Aufgaben definiert: Gute Führungskräfte suchen und sammeln Informationen, sie managen Beziehungen und sie treffen Entscheidungen. Da gibt es keine geschlechtsspezifische Komponente. Was anders ist, ist lediglich unsere Beurteilung eines bestimmten Verhaltens: Die variiert nämlich erheblich, aber nicht unbedingt das Verhalten an sich.
Man könnte also sagen: Viel Lärm um nichts?
Nein, soweit würde ich nicht gehen. Ich will nur sagen: Zu Diversität und Führungskarrieren ist ganz viel schon erforscht. Offen ist nach wie vor, wie wir als Gesellschaft unsere Aufgaben organisieren wollen. Vor 300 Jahren hatten wir den Adel, die Stände und so weiter, und heute füllen viele Frauen und Männer teils noch unterschiedliche Rollen im Arbeits- und Privatleben aus.
Was heißt das für Unternehmerinnen und Unternehmer?
Für Unternehmerinnen und Unternehmer bedeutet dies, dass sie in Zukunft sichtbar und attraktiv werden müssen, um alle Talente anzusprechen – zumindest dann, wenn sie jetzt schon notorisch zu wenige Bewerbungen von einer bestimmten Gruppe bekommen.
Das könnten ja zum Beispiel Frauen sein...
Ja, könnten es, aber ich sage ganz klar: Die Diversitätsdiskussion versperrt den Blick. Denn das Ziel ist, dass das Geschlecht egal ist – wie auch alle anderen Merkmale der Person, die nichts mit der Aufgabe, die sie erledigen soll, zu tun haben, wie zum Beispiel die Haarfarbe. Wie kommen wir dahin? Im Grunde wie immer, denn alles steht und fällt mit der Führungsebene. Wenn es dort Voreingenommenheit gibt, die den Talentpool verengt, ist es wie mit einer Maschine, die permanent Ausschuss produziert – die würden Sie auch austauschen.
Was empfehlen Sie der Wirtschaft?
Attraktiv für die besten Talente zu sein und Hinweise, die von solchen Talenten kommen, ernst zu nehmen.
Über die Person:
Prof. Dr. Isabell M. Welpe, Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der TU München, forscht zu Venture Capital & Entrepreneurship Ecosystems, Führung, Zukunft der Arbeit, Innovation, Organisation, digitale Transformation und Emerging Tech.

Das Gespräch führte Alexandra Buba.