Titel - Ausgabe Mai 2024

Die AHK USA - New York im Interview

Die AHK USA - New York gibt ausführliche Infos zur Fachkräftesituation und zum Markteinstieg in den USA sowie zu den Leistungen der AHK.
Wie stellt sich die Fachkräftesituation insgesamt in den USA dar?
Der Arbeitsmarkt in den USA sieht sich seit mehr als 20 Jahren mit einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung konfrontiert. Während die Erwerbsquote (Labor Force Participation Rate)  im Jahre 2001 noch 67,2 % betrug, lag sie im Februar 2024 bei 62,5 %. Die COVID-19-Pandemie hat diesen Rückgang in den USA weiter beschleunigt. Auf dem US-Arbeitsmarkt herrscht daher ein weit verbreiteter Arbeitskräftemangel.

Seit Beginn der Pandemie im Februar 2020 sind in den USA 2,1 Millionen Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben ausgeschieden mit der Folge, dass die Erwerbsquote im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie um weitere 0,8 Prozentpunkte gesunken ist. Die neuesten Daten des U.S. Department of Commerce zeigen, dass in den USA 9,5 Millionen Stellen vakant sind, es aber nur 6,5 Millionen Arbeitslose gibt. D.h., dass selbst wenn jeder Arbeitslose eine offene Stelle in seiner Branche besetzen würde, immer noch Millionen von Stellen unbesetzt blieben. Diese angespannte Arbeitsmarktlage betrifft natürlich auch die Fachkräftesituation.

Über die Hälfte aller US-Firmen geben daher an, dass sie zu wenig Fachkräfte haben. Die am stärksten betroffenen Industrien sind dabei Transportation, Accommodation & Food, Manufacturing, Agriculture, Health Care und Retail.

Die Gründe für den Arbeitskräftemangel sind vielschichtig: Während der COVID-19-Pandemie haben Frühverrentungen und eine geringere Zuwanderung dazu geführt, dass sich das bereits bestehende Defizit der USA an Arbeitskräften weiter verschärft hat. Außerdem haben eine erhöhte Arbeitslosenunterstützung, Konjunkturprogramme und Steuergutschriften für Kinder, die während der Pandemie angeboten wurden, die Finanzen einiger zuvor beschäftigter Arbeitnehmer aufgepolstert, was sich teilweise negativ auf die Erwerbswilligkeit ausgewirkt hat. Darüber hinaus haben sich die Menschen in vielen Fällen an einen Lebensstil mit nur einem Einkommen angepasst. Unter einer wachsenden Anzahl jüngerer Menschen im Alter von 25 bis 34 Jahren wird der persönlichen Entwicklung außerdem im Moment Vorrang vor der Arbeitssuche eingeräumt; 36 % von ihnen geben an, dass sie sich vor dem Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt eher auf den Erwerb neuer Fähigkeiten, die allgemeine oder berufliche Bildung konzentrieren wollen.
Welches ist Ihrer Ansicht nach im Bezug auf die Fachkräftefrage die größte Herausforderung für ausländische Unternehmen, die in den USA aktiv werden wollen?
Seit 2009 führen die Deutsch-Amerikanischen Handelskammern (AHK USA) mit Büros in Atlanta, Chicago, New York, San Francisco und Washington, D.C. eine jährliche Umfrage, den German American Business Outlook (GABO), unter deutschen Tochterunternehmen in den USA durch. Deutsche Unternehmen hier vor Ort werden nach der aktuellen Lage und Stimmung und nach den Aussichten und zukünftigen Erwartungen befragt.

Im Zuge des diesjährigen GABO 2024 gaben 91 % der befragten deutschen Unternehmen in den USA an, dass sie aufgrund des bestehenden Fachkräftemangels auf dem US-Arbeitsmarkt Schwierigkeiten bei der Rekrutierung qualifizierter Arbeitskräfte hätten. Um dieser Herausforderung zu begegnen, investieren 45 % der befragten Unternehmen in Personalentwicklungsprogramme, die Weiterbildungen, Schulungen und Lehrstellen umfassen. Zudem sollen Prozesse durch Investitionen in Maschinen zur Automatisierung und Produktivitätssteigerung (29 %), Anschaffung neuer (27 %) bzw. Modernisierung bestehender Büroräume (21 %) und die digitale Transformation von Geschäftsabläufen (23 %) verbessert werden.
Mit welchen Angeboten unterstützt Ihr Haus Unternehmen bei dieser Frage?
Die Schwierigkeiten deutscher Unternehmen bei der Rekrutierung qualifizierter Arbeitskräfte auf dem US-Arbeitsmakrt hat die AHK USA zum Anlass genommen, ihre bereits bestehenden Ausbildungsprogramme für Fachkräfte zu erweitern und diese noch mehr auf den Bedarf deutscher Unternehmen an qualitativ hochwertigen Fachkräften zuzuschneiden.

Die AHK USA versucht dem Fachkräftemangel mit der Förderung dualer Ausbildungsprogramme in den USA, welche in Partnerschaft mit der Industrie entwickelt wurden, entgegen zu wirken. So unterstützt die AHK USA über ihr nationales Netzwerk mit Standorten in Atlanta, Chicago, New York, San Francisco und Washington, D.C. derzeit duale Ausbildungsprogramme mit etwa 200 Auszubildenden (Azubis) in 100 Unternehmen in 14 US-Bundesstaaten. Die AHK New York ist dabei in den US-Bundesstaaten New Jersey und Pennsylvania mit ihren Ausbildungsprogrammen aktiv, wobei allein in Pittsburgh (PA) derzeit 56 Azubis in 30 Unternehmen ausgebildet werden.

Die Ausbildungsprogramme basieren auf dem in Deutschland gängigen, dualen Ausbildungssystem, bei dem die Azubis sowohl praxisnah im Betrieb, als auch im Rahmen eines akademischen Programms an einer örtlichen Hochschule – in den USA an einem sog. Community College – ausgebildet werden.

Die AHK New York und ihre Chapterstandorte in Philadelphia und Pittsburgh erarbeiten zudem fortlaufend neue Programme, um den Bedarf der Unternehmen vor Ort an Arbeitskräften sachgerecht zu begegnen. So befinden sich aktuell die ersten Ausbildungsprogramme ihrer Art in den USA für Wartungstechniker von Elektrofahrzeugen, Chemielabortechniker sowie Zerspanungsmechaniker im Registrierungsprozess. Diese Programme sind eine Ergänzung zu dem bereits bestehenden und wachsenden Programmportfolio der AHK New York in den Bereichen Mechatronik, Technisches Zeichnen, Industriekaufmann/-frau und Industriemechaniker/-in.

Darüber hinaus bietet die AHK New York den an ihren Ausbildungsprogrammen teilnehmenden Azubis für den Erwerb ihrer Abschlüsse umfassende, kompetenzenbasierte Prüfungen an. Diese gezielte Leistungskontrolle gewährleistet einheitliche Resultate unter den Absolventen und ermöglicht es diesen, sich in ihrer zukünftigen Karriere entwickeln und auszuzeichnen zu können. Bei erfolgreichem Ausbildungsabschluss erhalten die Azubis neben staatlich anerkannten Zeugnissen des US-Arbeitsministeriums auch ein deutsches Zeugnis. Diese Ausbildungszeugnisse entsprechen dabei den weltweit führenden DIHK-Standards.

Die AHK New York fördert nicht nur die Ausbildung des Fachkräftenachwuchs, sondern stärkt auch langfristig die Ausbildungskompetenz der betroffenen Unternehmen. Dazu bietet sie das Train-the-Trainer-Mentorenschulungsprogramm nach dem deutschen AdA-Standard an, das Führungskräfte darin weiterbildet, eigenverantwortlich neue Mitarbeiter zu betreuen.

Aktuell arbeitet die AHK New York mit einem Konsortium von Industrieunternehmen im Lehigh Valley (PA) zusammen, um ein weiteres duales Ausbildungsprogramm nach deutschem Vorbild zu etablieren. Das Konsortium hat hierzu eine gemeinnützige Institution gegründet, die momentan von zehn beteiligten Unternehmen finanziert wird. Die Initiative wird überdies durch den WiSoUSA Apprenticeship Development Grant des BMBF unterstützt und wurde am 3. Oktober 2023 auf dem Lehigh Valley Manufacturing Forum offiziell vorgestellt.
Wo liegt unabhängig von den Fachkräften der größte Beratungsbedarf der deutschen Unternehmen, die zu Ihnen kommen?
Der größte Beratungsbedarf von deutschen Unternehmen liegt bei Fragen zum Markteinstieg, denn der erste Schritt muss stimmen – dann steht einem erfolgreichen Einstieg in den US-amerikanischen Markt nichts entgegen.

Die Aufnahme der geschäftlichen Tätigkeit in den USA bedarf der besonderen Planung, um mögliche Fallstricke zu vermeiden. Einer der häufigsten Gründe für das Scheitern eines Markteinstiegs ist oftmals nicht die Geschäftsidee oder das Produkt selbst, sondern ein Mangel an Informationen sowie fehlende Sorgfalt bei der Umsetzung. Deutsche Unternehmen, die in den USA geschäftlich tätig werden möchten, sehen sich dabei oft mit zahlreichen ökonomischen, steuerlichen und vor allem rechtlichen Fragestellungen konfrontiert. Die Rechtsabteilung der AHK USA-New York bietet deutschen Unternehmen in dieser Hinsicht vielfältige Unterstützung bei der Abwicklung ihrer Geschäfte zwischen Deutschland und den USA und berät insbesondere zu den Themen wie Einfuhrbestimmungen, Firmengründung, Produkthaftung, Vertragsgestaltung und Visarecht.
Haben Sie den ultimativen "Doing Business in the US"-Tipp für Unternehmen aus Deutschland?
Die US-amerikanische Kultur unterscheidet sich – auch wenn wir überwiegend dem gleichen Wertesystem folgen – enorm von der gewohnten deutschen Lebensweise.

Auch wenn sich ein großes Klischee zu bestätigen scheint, gibt es Gründe, warum Deutschland als Land der Denker und die USA, gerade im Hinblick auf unternehmerischen Erfolg, als Land der unbegrenzten Möglichkeiten gesehen wird. Darin bestehen sowohl die Herausforderungen aber auch die Chancen für deutsche Unternehmen, in den USA langfristig erfolgreich zu sein. In der Herangehensweise ist die Stärke der US-Amerikaner das Handeln, auf deutscher Seite, die der Planung. Der Vertrauensvorschuss an die deutsche Genauigkeit und die hohen Qualitätsstandards „Made in Germany“ ist immens. Allerdings fällt es deutschen Unternehmen oft sehr schwer, bereits bei der Ansprache von Geschäftspartnern und Kunden dieses Potenzial für sich zu nutzen.

Es gilt insbesondere zu Beginn der Kontaktaufnahme auf die Unterschiede in der Gesprächskultur zu achten, um nicht ungewollt einen falschen Eindruck zu vermitteln und Chancen zu verbauen. Der für deutsche Verhältnisse überraschende Enthusiasmus und eine zunächst weniger detailorientierte Herangehensweise auf US-amerikanischer Seite dürfen dabei weder als Nachlässigkeit noch als fehlende Ernsthaftigkeit eingestuft werden. Auf der anderen Seite darf der leichtgängige und ungewohnt positive Kommunikationsstil nicht zu einer verfrühten Euphorie verleiten und als sicher geglaubte Zusage missverstanden werden.

Höflichkeit wird auf beiden Seiten hoch bewertet, allerdings verschieden ausgedrückt. Wenn es um den richtigen Ton geht, gilt zu beachten, dass in den USA Kritik oder Gegenargumente positiv formuliert werden. Ein direktes „Nein!“ wird jedenfalls für viele US-Amerikaner als klares Zeichen einer grundsätzlichen Negativhaltung gesehen und die entsprechende Kommunikation läuft damit Gefahr, in die falsche Richtung zu gehen. Daher macht es auf jeden Fall Sinn, dass deutsche Unternehmen dem Thema interkulturelle Differenzen Beachtung schenken.

Die AHK USA - New York
Die AHK USA - New York ist eine von fünf Deutsch-Amerikanischen Auslandshandelskammern in den USA. Seit 1947 fördert die AHK USA in New York gemeinsam mit ihren Chaptern in Philadelphia und Pittsburgh die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten.

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