Titel - Ausgabe September 2023

Weg von der Problem-Abwehr-Kultur

Es ist die Bürokratie, die als Hauptschwierigkeit auftaucht, mit der sich Gründerinnen und Gründer in Deutschland herumschlagen müssen. Zumindest geben sie das selbst mit überwältigender Mehrheit im aktuellen DIHK-Report Unternehmensgründung an, den Dr. Marc Evers, Leiter des Referats Mittelstand, Existenzgründung und Unternehmensnachfolge bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Berlin jährlich erstellt. Doch auch bei der Finanzierung gibt es Luft nach oben.
Herr Dr. Evers, was wünschen sich Start-ups gegenwärtig von der Politik?
Dr. Marc Evers: Ganz zentral ist die Möglichkeit, sämtliche Anträge, Formulare und Daten digital und aus einer Hand zu bearbeiten. Gründende wollen keine Angaben doppelt machen oder lange auf Bewilligungen warten. Sie brauchen die Zeit, um ihr Geschäftsmodell weiterzuentwickeln, Kunden zu gewinnen und sich um die Finanzierung zu kümmern. Das dazu passende Versprechen steht im Übrigen auch im Koalitionsvertrag: Innerhalb von 24 Stunden soll es in Deutschland möglich sein, online ein Unternehmen zu gründen. Allerdings wird dies erst in Teilen auch in die Realität transformiert, wie etwa mit einem einheitlichen Datenstandard bei der Gewerbeanmeldung.
Wie schätzen Sie die Finanzierungsmöglichkeiten ein, die Gründerinnen und Gründern in Deutschland zur Verfügung stehen?
Es gibt eine Vielfalt von Förderprogrammen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Das ist ein Plus unseres Standorts, auch wenn der Überblick auf Anhieb vielleicht manchmal etwas schwerfällt. Hier wünschen sich Gründerinnen und Gründer, dass Antragsverfahren möglichst einstufig sind und Feedback schnell erfolgt. Wichtig sind ihnen allerdings durchgängig raschere und einfachere Vorgänge bei allen gründungsrelevanten Fragen. Dazu ist nicht nur eine Erhöhung der Digitalisierungsgeschwindigkeit notwendig, sondern auch ein anderes Mindset innerhalb der Verwaltung.
Dr. Marc Evers, Leiter des Referats Mittelstand, Existenzgründung und Unternehmensnachfolge bei der DIHK.
© DIHK/Aidan Perry
Wie muss dieses Mindset Ihrer Meinung nach gestaltet sein?
Zentral ist ein Perspektivwechsel, ein stärkeres Denken vom Kunden aus. Ein positives Beispiel dafür gibt es in Nordrhein-Westfalen. Dort wird die andernorts häufig in zähen Einzelprüfungsprozessen beantwortete Frage, ob und wie Minderjährige gründen können, anhand einer Plattform landeseinheitlich und übersichtlich dargestellt. Für jeden unmittelbar zum Nachlesen und ohne langes Hin und Her. Eine weitere Idee: Helfen könnten „Praxis-Checks“ von Verwaltungsvorgängen. So könnten etwa Gründende und Start-ups unternehmensrelevante Verwaltungsprozesse testen und ihre Praxisexpertise in die Weiterentwicklung einbringen. Dies würde es erleichtern, weitere Verfahren zu verbessern sowie Prozesse zu beschleunigen und so guten unternehmerischen Ideen den Weg zu ebnen. Insgesamt brauchen wir weniger Problemabwehr-Kultur und mehr Problemlösungs-Kultur, so der Eindruck vieler Gründenden und Mittelständler.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich als Start-up zu finanzieren. Wie finde ich denn die für mich passende?
Tatsächlich taucht diese Frage ob der Fülle der Angebote häufig in der Beratung der Industrie- und Handelskammern auf. Die 79 IHKs bieten ein umfangreiches Serviceangebot. Sie informieren und beraten jedes Jahr rund 130.000 Gründerinnen und Gründer. Häufig geht es um die individuell passenden Förderprogramme.
Welches sind denn die wesentlichsten Förderprogramme?
Für die Breite der Gründungen ist das vor allem das „Startgeld“ der KfW. Hilfreich vor allem für die schätzungsweise acht bis zehn Prozent Start-ups unter den Gesamtgründungen – also denjenigen mit starker Innovations- und Wachstumstendenz – sind etwa der mit zehn Milliarden Euro ausgestattete „Zukunftsfonds“ des Bundes, die Programme „INVEST“ für Investorinnen und Investoren, „EXIST“ für Hochschulausgründungen und der „Hightech Gründerfonds“. Künftig besonders interessant sind vor allem Programme wie etwa Module im „Zukunftsfonds“, die sich darum bemühen, Eigenkapital zusätzlich zu hebeln. Denn angesichts der hohen zu stemmenden Investitionsvolumina etwa im Zuge der Transformation zum nachhaltigen Wirtschaften wird zukünftig eine reine Fremdkapitalfinanzierung seltener werden.
Gibt es auch Lücken bei der Finanzierung, also Segmente, für die es zu wenig Möglichkeiten gibt?
Im Bereich der mittleren Volumina – also etwa um 300.000 bis 500.000 Euro – ist das KfW-Programm ERP-Kapital für Gründung ausgesetzt worden. Hier sollte die Politik sich im Interesse der Unternehmen um adäquaten Ersatz bemühen. Es geht aber nicht nur um Förderprogramme, sondern vor allem auch um bessere Rahmenbedingungen, etwa für privates Beteiligungskapital: Ein wichtiger Aspekt ist eine Vorschrift aus dem Steuerrecht, wonach Investorinnen und Investoren keinen Verlustvortrag vornehmen können, wenn das Geschäftsmodell geändert wird. Gerade darum geht es aber bei Start-ups häufig. Hier brauchen wir eine Veränderung, die privates Engagement erleichtert.
Lassen Sie uns noch einmal auf die Bürokratie zurückkommen – laut Ihrem Report ja das Hauptproblem der Gründenden. Was sind hier Ihre wichtigsten Verbesserungsvorschläge?
Vorweggeschickt: Bürokratie an sich ist nichts Schlechtes, sondern notwendig, um unter anderem Rechtssicherheit zu gewährleisten. Doch auf das Maß und die Ausgestaltung kommt es an. Dazu ein Beispiel: Das für viele Kleinstunternehmen obligatorische Formular „Einnahme-Überschussrechnung“ umfasst 126 Angaben. Bilanzierende Unternehmen müssen aber nach Handelsgesetzbuch nur 22 Datenpunkte liefern. Die Einnahme-Überschussrechnung sollte also stark vereinfacht werden.
Gibt es noch etwas in der Pipeline, mit dem die Politik Start-ups entgegenkommt?
Mit dem geplanten Zukunftsfinanzierungsgesetz wird der Kapitalmarktzugang erleichtert. Ein Börsengang soll künftig schon mit einer statt mit 1,25 Millionen Euro Kapital möglich sein. Außerdem sollen Mitarbeiterbeteiligungsmodelle steuerlich verbessert werden, was neben unmittelbaren monetären Effekten vor allem dabei hilft, Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Das Zukunftsfinanzierungsgesetz sieht hier eine Anhebung des für den geldwerten Vorteil maßgeblichen Steuerfreibetrags und eine aufgeschobene Besteuerung vor. Allerdings sind Entgeltumwandlungen im derzeitigen Referentenentwurf ausgeschlossen. Das würde gerade für junge Unternehmen die Möglichkeit für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen verschließen. Sie könnten dann im Wettbewerb um die besten Köpfe ihre im Durchschnitt geringere Finanzkraft nicht ausgleichen.
Das Gespräch führte Alexandra Buba.