Titel - Ausgabe Juli 2023

Kristallisationspunkte für Kreative

Bankfiliale, Café und Co-Working-Space in einem – für Architektin und Lehrbeauftragte Stephanie Reiterer ist das ein gelungenes Beispiel dafür, wie Unternehmen, die ihre Räume nicht mehr auslasten können, mit Mischnutzungen nicht nur kreatives Potenzial ins Haus holen, sondern einen Ort schaffen, der Mitarbeiter und Umgebung gleichermaßen begeistert.
Der Bayrische Landesverband der Kultur- und Kreativwirtschaft e.V. wurde zu Beginn der Corona-Pandemie gegründet, um den Anliegen der Kulturschaffenden und kreativen Branchen Gehör bei der Politik zu verschaffen. Finden Sie, dass das gelungen ist?
Stephanie Reiterer: Absolut, wir konnten durch unsere Arbeit erreichen, dass die besondere Situation unserer Mitglieder überhaupt erst ins Bewusstsein der Regierungen gelangt ist. Viele waren als Solo-Selbstständige mit eher wenig betrieblichen Rücklagen besonders stark gebeutelt und zudem von den Restriktionen des öffentlichen Lebens außerordentlich betroffen. Wir haben uns hier für Förderprogramme eingesetzt, aber auch dafür, dass bestimmte Möglichkeiten der Betätigung wieder geöffnet wurden.
Die Lobbyarbeit ist auch heute noch ein großer Teil Ihrer Arbeit, weshalb?
Im Gegensatz etwa zu Nordrhein-Westfalen, wo es zum Beispiel ein Förderprogramm wie „Dritte Orte“ für die Mischund Nachnutzung von Räumen gibt, ist in Bayern eine vergleichbare Förderstruktur insbesondere in der Fläche überhaupt nicht vorhanden. Deshalb lässt sich hier vieles gar nicht erst erproben, was in anderen Bundesländern für die Belebung und Anregung des Kulturund Kreativbereichs sorgt.
Stephanie Reiterer, Architektin und Lehrbeauftragte für Architektur
Sind es tatsächlich im Wesentlichen die Orte, die Kreativen und Kulturschaffenden fehlen?
Wenn Kultur und Kreative für Gesellschaft und Wirtschaft einen Mehrwert bieten sollen, dann braucht es genau das: einen Ort, an dem sie sichtbar werden. In den Metropolen, in Regensburg gibt es dafür Beispiele wie das Degginger, aber in den ländlichen Regionen gibt es dies bislang nicht, und wir wissen auch nicht genau, was notwendig ist, dass kreative Orte und Kulturorte dort auch funktionieren und sich die entsprechenden positiven Effekte einstellen. Unter anderem, um das herauszufinden, hat unser Verband das Residenzprogramm „Kreativ Zeit Raum“ für Künstler aufgelegt, in der östlichen Oberpfalz im Kloster Frauenzell. Was passiert, wenn wir Kreative von außen in unserem „Reallabor“ im Kloster unterbringen und ein Miteinander mit den Menschen am Ort entsteht? Wir erproben das seit Januar und sind sehr gespannt, was sich daraus entwickelt.
Das eine ist die staatliche Förderung, das andere ist die klassische Wirtschaft selbst. Was können Unternehmen tun, um sich stärker mit Kreativen zu verbinden und auf diese Weise zu profitieren?
Sie sollten den Mut haben, solche neuen Kulturorte und Kreativräume anzustoßen – ich meine Kristallisationspunkte für die Kreativwirtschaft, die mehr sind als das reine Co-Working. Es geht nicht nur darum, sich als Unternehmen das kreative Potenzial in Design, Fotografie, Programmierung und so weiter einzukaufen. Vielmehr lässt sich viel von den Arbeitsmethoden, der strategischen Zusammenarbeit und all den Methoden lernen, die Kreative schon lange tun und die in der traditionellen Wirtschaft gerade erst ankommen. Außerdem entsteht in solchen Räumen ein Lebensgefühl, das wiederum Mitarbeiter motivieren und Fachkräfte anziehen kann.
Wie kann das konkret in der Praxis gelingen?
Es braucht flexible Nutzungskonzepte, etwa in unternehmenseigenen Gebäuden. Wenn ich einen Teil einer Halle nicht mehr brauche oder einige Büros, lässt sich daraus ein neuer Möglichkeitsraum schaffen. Ein beeindruckendes Beispiel ist für mich der „Blok O“ in Frankfurt (Oder). Dort stand die Spardabank vor der Wahl, eine zu groß gewordene Filiale entweder zu schließen oder in reduzierter Form im selben Gebäude weiterzubetreiben. Man entschied sich für die zweite Variante: Heute ist der Blok O ein supercooler Ort, mit Café, Co-Working und eben einer Sparda-Filiale. So etwas ist nicht zwangsläufig nur in der Großstadt möglich.
Stephanie Reiterer, Architektin und Lehrbeauftragte für Architektur
Wie finden Unternehmen, die an solchen Konzepten interessiert sind, die passenden Partner?
Wir sind gerade dabei, eine Plattform aufzubauen, die genau das leisten soll: Raumbesitzer, Kommunen und interessierte Kreative zusammenzubringen. Die Programmierung ist voraussichtlich Ende des Jahres abgeschlossen. Tatsächlich braucht es alle drei Beteiligten: Denn wenn solche Dinge nicht aus der Region heraus entstehen und von der Kommune mitgetragen werden, sind sie in ihrer Wirkung nach außen später auch eingeschränkt. Natürlich funktionieren solche Konzepte aber nicht nur auf der rein institutionellen, sondern auch auf der informellen Ebene.
Ein erklärtes Ziel Ihres Verbandes ist es auch, die Kreativwirtschaft sichtbarer zu machen und damit auffindbarer für die klassische Wirtschaft. Wie treiben Sie dieses voran?
Tatsächlich kennen viele Regionen und die dort ansässigen Unternehmen das kreative Potenzial vor Ort überhaupt nicht. Das liegt daran, dass die Kreativen oft als Solo-Selbstständige kaum in Erscheinung treten. Erst wenn es gelingt, dass sich diese einzelnen Akteure vernetzen, können sie auch nach außen in den Ort hineinwirken. Dabei wollen wir Künstler und Kreative unterstützen. Für die klassische Wirtschaft bedeutet das, dass sie die Möglichkeit gewinnen, vielleicht nicht mehr auf eine große Agentur in der Metropole zugreifen zu müssen, sondern einen Pool an Partnern vor Ort finden.

Stephanie Reiterer ist Architektin und Lehrbeauftragte für Architektur an der Universität Regensburg und der OTH Regensburg sowie Beirätin des Bayerischen Landesverbands der Kultur- und Kreativwirtschaft e. V. Sie will eine engere Verzahnung von Kreativen und klassischen Branchen fördern.

Das Gespräch führte Alexandra Buba.