Titel - Ausgabe März 2023

Mitarbeiter gewinnen

Fachkräfte sind Mangelware. Über alle Branchen hinweg buhlen Unternehmen um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Um ihre offenen Stellen zu besetzen, müssen die Firmen strategisch vorgehen und oftmals auf außergewöhnliche Recruiting- Methoden setzen. Doch einzelne Aktionen reichen meist nicht aus. Damit die Unternehmen als Arbeitgeber langfristig attraktiv bleiben, müssen sie sich als authentische Marken positionieren.
Eigentlich wollten Ralf Plüschke und sein Team nur mit ein paar Mythen aufräumen. Sie wollten aufdecken, was sich wirklich hinter Künstlicher Intelligenz (KI) verbirgt, die Risiken und Chancen beleuchten. Als Technologisches Institut für Künstliche Intelligenz – kurz TI.KI. – forschen sie am Standort in Weiden täglich daran und entwickeln komplexe KI-Technologien. Seit Herbst 2022 nimmt TI.KI die Zuhörerinnen und Zuhörer im Podcast mit hinter die Kulissen.
Schnell entpuppte sich dieser Kanal zu einem Erfolgsfaktor in Sachen Recruiting. „Ein Podcast ist natürlich kein klassisches HR-Tool. Aber für uns schon“, sagt CEO Ralf Plüschke. Mit dem Podcast sei es gelungen, Reichweite aufzubauen und ein Unternehmensprofil nach außen zu tragen, auf das die Menschen reagieren. „Wir bekommen viel Zuspruch in der Fachwelt. Die Menschen schreiben uns tatsächlich an – meist informell – und wollen herausfinden, was sich hinter unserer Firma verbirgt“, erzählt Plüschke. Das sei nicht selbstverständlich. KI ist eine neue, besondere Hochtechnologie und passende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, sei schwer. Als kleines Unternehmen habe TI.KI kaum Werbebudget. Ein guter Ruf und Empfehlungen seien daher umso wichtiger.

Werte definieren und kommunizieren

Dieses Beispiel zeigt, dass Recruiting bereits vor der eigentlichen Stellenausschreibung beginnt. Unternehmen müssen sich heute als Marken positionieren und genau definieren, wofür sie als Arbeitgeber stehen. Das bestätigt auch Nicole Scheßl, Referentin für Fachkräftesicherung der IHK Regensburg: „Ich bekomme viele Anfragen von Unternehmen, die lernen möchten, wie sie ihre Arbeitgebermarke aufbauen und festigen können – vor allem online.“ Aktuell sei die Situation über alle Branchen hinweg angespannt. Auch der IHK-Fachkräftereport 2022 zeigt: Derzeit fehlen rund 13.000 Fachkräfte in der Oberpfalz und im Landkreis Kelheim. Die Kommunikation nach außen sei deshalb eine wichtige Voraussetzung, um Fachkräfte zu gewinnen. „Damit die Arbeitgebermarke jedoch authentisch ist, müssen Unternehmen Werte definieren und kommunizieren, die tatsächlich zu ihnen passen“, rät Scheßl.
Helmut Hagner von der FREY Unternehmensgruppe
Auch für die FREY Handelsgruppe aus Cham spielt Authentizität eine wichtige Rolle. Das Familienunternehmen mit mehreren Mode- und Einrichtungshäusern in Ostbayern wurde bereits 1830 gegründet und hat eine lange Geschichte und Tradition vorzuweisen. Vor ein paar Jahren begann das Unternehmen, sich neu zu erfinden und die eigene Arbeitgebermarke von der Pike auf zu definieren. „Unsere Ware ist austauschbar. Deshalb brauchen wir eine Identität, mit der wir uns von anderen Mode- und Möbelhäusern unterscheiden“, sagt Unternehmensleiter Helmut Hagner. „Wir versuchen, mit dem menschlichen Faktor zu werben und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, die unsere Werte teilen.“
Um die Marke professionell zu entwickeln, holte sich das Unternehmen externe Hilfe. Gemeinsam mit einem Experten für Markenentwicklung begann FREY damit, die eigenen Werte zu formulieren. „Wir stellten uns die Fragen: Wofür stehen wir als Unternehmen? Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Wie wollen wir unsere Kundinnen und Kunden, aber auch uns selbst und unsere zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begeistern?“, ergänzt Hagner.

Markenentwicklung als laufender Prozess

Letztendlich sei die Entwicklung einer Arbeitgebermarke ein nie endender Prozess. „Wir müssen andauernd an uns arbeiten und auch Veränderungen zulassen und hinterfragen“, betont Hagner. Dazu hole das Unternehmen auch die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Boot. In verschiedenen Workshops konnten sich alle in die Markenentwicklung einbringen – von den Auszubildenden bis zu den Beschäftigten in der Möbelmontage, im Verkauf oder in der Verwaltung. Das Ergebnis: das FREY-Markenbuch. Auf mehr als 100 Seiten bringt das Unternehmen den Kern der eigenen Marke auf den Punkt, formuliert Ziele und eine gemeinsame Vision.
Auf einem großen Firmenevent, der FREY SEIN NACHT 2019 in Cham, präsentierte das Unternehmen seinen mehr als 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das neue Markenkonzept. „An diesem Abend hörte ich zum ersten Mal Sätze wie ‘Ich bin richtig stolz auf unser Unternehmen‘“, betont Hagner. „Dennoch darf unser Konzept nicht nur eine Marketingidee bleiben, sondern wir müssen es authentisch leben.“
Gerade bei Einstellungsgesprächen zeige Hagner gerne das Buch. Er erzähle dann, was das Team antreibt und was die gemeinsamen Werte und Ziele seien. „Das alles zeigt den Bewerberinnen und Bewerbern, dass wir uns tatsächlich Gedanken machen. Ein wichtiger Schritt, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen“, ist sich Hagner sicher. Indem FREY die eigene Vision nach außen trage, könne das Unternehmen mehr Bewerberinnen und Bewerber begeistern und herausfiltern, wer wirklich bereit ist, am Unternehmensziel mitzuwirken.

Mit Auszeichnungen punkten

Wie wichtig eine Marke und ein guter Ruf für das Recruiting sind, bestätigt auch Christian Fleischmann. Er leitet das Restaurant „Cheval Blanc“ im Hotel „Weißes Roß“ in Illschwang im Landkreis Amberg-Sulzbach. 2021 und 2022 erhielt das Restaurant jeweils einen Stern im Michelin Guide. „Seit wir für unsere Gastronomie ausgezeichnet wurden, hat sich schon einiges verändert.“
Christian Fleischmann vom Restaurant Cheval Blanc
Wenn jetzt jemand beispielsweise aus der Schweiz in den Landkreis Amberg zurückkomme, schaue sie oder er sicherlich darauf, welche Möglichkeiten die Region biete, und suche sich eines der besten Häuser aus, meint Fleischmann. „Hier zählen wir uns mittlerweile dazu. Zum einen, weil wir das Know-how dazu haben, aber auch, weil wir kontinuierlich neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen.“ Diese suche der Gastronomiebetrieb über die sozialen Medien. Vor allem Beiträge auf Facebook oder Instagram seien ein schneller und effektiver Weg, um Stellenanzeigen zu veröffentlichen.
Beim Recruiting auf Rückkehrerinnen und Rückkehrer in die Heimat zu setzen, sei eine erfolgsversprechende Idee, meint auch IHK-Expertin Nicole Scheßl. Es brauche kreative Ideen, um die Aufmerksamkeit potenzieller Bewerberinnen und Bewerber zu wecken. Eine Aktion sei Scheßl besonders im Gedächtnis geblieben: „Ein Unternehmen aus dem ländlichen Raum warb in Münchner U-Bahnen unter dem Motto: Zu voll hier? Dann kommen Sie zurück aufs Land.“

Social-Media-Strategie entwickeln

Auch bei der Bewerberansprache im Netz müssten die Unternehmen kreativ werden: „Ich rate Unternehmen immer, sich eine hohe Reichweite aufzubauen, ihre Website zu pflegen und auch in den sozialen Medien aktiv zu sein“, ergänzt Scheßl. Die klassische Stellenanzeige in der Zeitung verliere an Bedeutung. Vor allem jüngere Zielgruppen seien eher auf Kanälen wie Instagram oder TikTok unterwegs. Dabei sei es wichtig, strategisch vorzugehen. „Unternehmen sollten sich zunächst Gedanken machen: Wer ist überhaupt meine Zielgruppe? Wen möchte ich ansprechen und auf welchen Kanälen kann ich sie erreichen?“, rät Scheßl. Denn davon hänge schließlich ab, mit welchen Inhalten und welcher Tonalität sich die Unternehmen an potenzielle Bewerberinnen und Bewerber wenden.

Unkomplizierter Bewerbungsprozess

Doch nicht nur die Ansprache der Zielgruppe, sondern auch der Bewerbungsprozess läuft heute anders ab. Die FREY Handelsgruppe setzt dabei auf einen schnellen und unkomplizierten Bewerbungsablauf. Über die sozialen Medien schaltet das Unternehmen bezahlte Anzeigen. Interessierte können direkt auf der Website oder auf den Social-Media-Kanälen von FREY einen Fragebogen ausfüllen und sich so innerhalb weniger Minuten bewerben. Damit versuche das Unternehmen bewusst, Barrieren abzubauen. „Das Entscheidende ist jedoch das anschließende Gespräch“, betont Unternehmensleiter Hagner. „Dort wollen wir herausfinden, ob die Bewerberin oder der Bewerber menschlich zu uns passt und ob sie oder er unsere Vision teilt.“ Auch offene Bewerbertage habe das Handelsunternehmen aus Cham bereits organisiert. Auf diesem Weg habe FREY ebenfalls Menschen gefunden, die heute für das Unternehmen arbeiten.
Auch das Restaurant Cheval Blanc in Illschwang legt den Fokus auf ein persönliches Kennenlernen. „Nach einem kurzen Telefongespräch machen wir direkt einen Termin aus. Die Bewerberinnen und Bewerber können unseren Betrieb kennenlernen und Probe arbeiten“, erzählt Geschäftsführer Fleischmann. Dabei merken sie meist selbst, ob sie ins Team passen und ob ihnen die Abläufe gefallen. Heute könne man sich die Bewerberinnen und Bewerber nicht mehr frei aussuchen. Daher sei Flexibilität gefragt. „Work-Life-Balance und ein Job in der Gastronomie schließen sich heute nicht länger aus. Die Zeit, in der man um neun Uhr anfangen, um ein Uhr in die Pause gehen und um vier Uhr wieder anfangen musste, ist vorbei.“ Im Restaurant Cheval Blanc gibt es deshalb nur noch einen „Durchdienst“. Damit will das Unternehmen auf dem Bewerbermarkt punkten: „Mehr Freizeit ist oft ein Grund, warum es unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei uns gefällt und sie uns treu bleiben.“
Ralf Plüschke von der TI.KI GmbH
Bei TI.KI entscheiden hingegen nicht nur die Bewerber und die Geschäftsleitung, ob es zu einer Zusammenarbeit kommt, sondern das gesamte Team. „Die Weiterentwicklung der KI klappt nur im Team“, erläutert CEO Plüschke. „Es gibt daher keine Einzelarbeitsplätze. Bei uns bilden immer mindestens zwei bis drei Mitarbeiter ein Team, manchmal sogar mehr.“ Deshalb sei es so entscheidend, dass alle Teammitglieder die Bewerberinnen und Bewerber kennenlernen. Das dauere meist einen halben Tag. Oft setzen sich die potenziellen Teamkolleginnen und -kollegen gemeinsam an den Computer und programmieren. Sie versuchen, miteinander zu agieren und sich auf Fachebene auszutauschen. Die erste Priorität sei natürlich die fachliche Qualifikation, betont Plüschke. Aber dann komme sofort der menschliche Faktor ins Spiel: „Wir bei TI.KI sind eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft, die sich dieser Hochtechnologie gewidmet hat. Diese Begeisterung springt auf neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schnell über.“
Vor allem dann, wenn Unternehmen qualifizierte und erfahrene Fachkräfte suchen, sei der Auswahlprozess wichtig, bestätigt IHK-Referentin Scheßl. Die Bewerberin oder der Bewerber müsse das gesuchte Spezialgebiet abdecken, aber vor allem auch zum Unternehmen passen. Verlässt der Mitarbeiter das Unternehmen nach kurzer Zeit, sei das mit Kosten verbunden. Zudem gehe viel Wissen verloren. Um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig ans Unternehmen zu binden, sei daher eine gute Einarbeitung entscheidend. Aber auch Benefits – beispielsweise eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Option auf Homeoffice – seien heute gefragt und für viele längst selbstverständlich.

Individuelle Benefits als Anreiz

Auch junge Bewerberinnen und Bewerber mit wenig Berufserfahrung kämen heute schon mit bestimmten Erwartungen und einer selbstbewussten Haltung ins Vorstellungsgespräch, bestätigt Plüschke: „Sie erwarten die üblichen Benefits, die es heute überall gibt. Und die bieten wir natürlich auch.“ Damit zu werben, hebe TI.KI jedoch nicht von anderen Arbeitgebern in der Region ab. Viel wichtiger als beispielsweise eine Zusatzrentenversicherung, sei die Möglichkeit, sich individuell entfalten zu können. „Zu uns kommen Enthusiastinnen und Enthusiasten, die sich verwirklichen möchten. Sie möchten mit hohen Technologien arbeiten und an spannenden Projekten mitwirken.“ Hierarchien und strikte Vorgaben seien fehl am Platz.
Deshalb versuche TI.KI, jedem Mitarbeiter individuelle Benefits zu bieten. Nicht jedes Teammitglied habe dieselben Bedürfnisse und Wünsche. Ein Beispiel: Ein Kollege bei TI.KI ist mit einer Brasilianerin verheiratet und wünschte sich mehr Flexibilität. Nun könne er für einen bestimmten Zeitraum von Brasilien aus arbeiten. Andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit jungen Familien können hingegen mehr von einem Kindergartenzuschuss profitieren. „Solche Entscheidungen treffen wir in unserem Team individuell und immer auf Augenhöhe“, betont Plüschke. Genau das zeichne moderne Arbeitgeber schließlich aus.

Arbeitgebermarke stärken: IHK-Personalmanagement-Award 2023

Die IHK zeichnet in diesem Jahr wieder kreative und innovative Konzepte der Personalentwicklung und -qualifizierung mit dem IHK-Personalmanagement-Award aus. Dabei geht es nicht darum, perfekte Strategien ausfindig zu machen. Vielmehr sollen individuelle Unternehmenslösungen, die zum Betrieb und seinen Mitarbeitern passen, honoriert werden – sei es in den Bereichen Recruiting, Unternehmenskultur, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Personalentwicklung oder beim Thema Familienfreundlichkeit. Eine Fachjury aus Wirtschaftsvertretern und Hochschulexperten bewertet die eingereichten Konzepte. Alle Mitgliedsunternehmen der IHK können sich bis Ende März um den IHK-Personalmanagement-Award 2023 bewerben. Er wird in drei Kategorien – kleine, mittlere und große Unternehmen – vergeben.

Hier gibt’s weitere Infos und die Möglichkeit zur Bewerbung.

Autorin: Iris Jilke