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IHK-Präsident Michael Matt: „Wir sind keine Abnick-Veranstaltung“
Vor fünf Jahren wurde Michael Matt zum IHK-Präsidenten gewählt. Im Interview spricht er über Ehrenamt und Engagement, Herausforderungen für die Wirtschaft und beeindruckende Erlebnisse.
Früher habe er das Ehrenamt in der IHK tatsächlich mit einem Amt eher entfernt vom Unternehmertum verglichen, sagt der Präsident der IHK Regensburg für Oberpfalz / Kelheim, Michael Matt. Seit er selbst an der Spitze steht, weiß er es besser, und betont, wie wichtig es ist, dass die IHK nah an den Unternehmen agiert. Krisen, Fachkräftemangel und Bürokratie sind dabei nur einige Handlungsfelder, auf die Michael Matt seinen ganz eigenen Blick hat.
Herr Matt, lassen Sie uns zunächst zurückschauen: Wie haben Sie die Arbeit in den regionalen IHK-Gremien und der Vollversammlung in den letzten fünf Jahren erlebt?
Michael Matt: Da Beschlüsse oft mit 100 Prozent Zustimmung getroffen werden, habe ich ganz zu Anfang tatsächlich gedacht, das ist hier eine Abnick-Veranstaltung. Allerdings wurde ich sehr schnell eines Besseren belehrt, als die Themen kontroverser wurden. Der geschlossene Konsens wird nämlich erst nach intensiven Debatten erreicht. Denn im Grunde geht es darum, nicht die Probleme einzelner Unternehmen zu lösen, sondern das Gesamtinteresse aller Betriebe in der Region zu berücksichtigen.

Dazu zählt aber oftmals im ersten Schritt genau die Auseinandersetzung mit den speziellen Fragestellungen einzelner. So hat ein Verzinkungsbetrieb andere Herausforderungen beim Thema Energie als der Einzelhandel. Das gilt es abzuwägen, um am Ende des Prozesses das Positionspapier anpassen zu können – dem dann hoffentlich eine möglichst große Gruppe oder gar die gesamte Vollversammlung der IHK zustimmen kann.
Was hat Sie in den vergangenen fünf Jahren im Zuge Ihrer Tätigkeit als IHK-Präsident am nachhaltigsten beeindruckt?
Das waren zwei Dinge: Zum einen hat mich fasziniert, wie stark der Zusammenhalt innerhalb der IHK-Organisation ist. Während meiner Amtszeit sind gravierende Dinge passiert, Situationen entstanden, in denen auch hier niemand genau wusste, wie es weiter geht.
Zum anderen hat mich beeindruckt, wie sehr unsere regionale Stimme in der Politik gehört wird. Insbesondere während der Anfangszeit der Corona-Pandemie wurden auch manchmal Entscheidungen getroffen, die am Markt vorbei gingen. Hier konnten wir als IHK dahin wirken, dass im Sinne der Unternehmen nachreguliert wurde.
Inwiefern haben Sie unternehmerisch und persönlich von Ihrem Amt profitiert?
Unser Unternehmen konnte viele der hier gesammelten Erfahrungen im Bereich Videokonferenzen und der digitalen Zusammenarbeit nutzen. Das hat uns sehr schnell sehr viel weitergebracht. Für mich persönlich habe ich es als Stärke des Amts empfunden, mit unterschiedlichsten Menschen zusammenzutreffen, vollkommen andere Perspektiven und Meinungen kennenzulernen.
Ganz ehrlich, anfangs habe ich mir manchmal gedacht: Schon wieder ein IHK-Termin... Doch nach einiger Zeit habe ich gemerkt, wie sehr es einen persönlich weiterbringt, mit verschiedensten Standpunkten konfrontiert zu sein.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Vielleicht das eines kleinen Busunternehmens, das war einer meiner ersten Betriebsbesuche. Eigentlich aufgrund seiner Größe in einem schwierigen Wettbewerbsumfeld, machten Flexibilität und Ideenreichtum das wett: Als auf der Donau zu einer Zeit des Niedrigwassers die Kreuzfahrtschiffe festlagen, bot sich die Firma kurzfristig an und übernahm den Transport der Gäste per Bus zu den nahen Ausflugzielen. Dieser Unternehmergeist, in einem Problem anderer die eigene Geschäftsmöglichkeit zu sehen, hat mich sehr beeindruckt.
Michael Matt
ist Geschäftsführer der Optik Matt GmbH & Co. KG in Regensburg. Bereits seit 2011 engagiert er sich ehrenamtlich bei der IHK – als Mitglied der Vollversammlung, des IHK-Gremiums Regensburg und des IHK-Handelsausschusses. Seit 2018 setzt sich Michael Matt als IHK-Präsident für die Belange der regionalen Wirtschaft ein.
ist Geschäftsführer der Optik Matt GmbH & Co. KG in Regensburg. Bereits seit 2011 engagiert er sich ehrenamtlich bei der IHK – als Mitglied der Vollversammlung, des IHK-Gremiums Regensburg und des IHK-Handelsausschusses. Seit 2018 setzt sich Michael Matt als IHK-Präsident für die Belange der regionalen Wirtschaft ein.
Unternehmergeist ist das eine, Rahmenbedingungen sind das andere. Gerade im Moment ist die Politik besonders gefragt, letztere zukunftsfähig zu gestalten – Stichwort Energie. Wie schätzen Sie hier die aktuelle Situation ein?
Nun, der Wind weht auch bei uns, vielleicht nicht so stark wie in Norddeutschland, aber er weht. Um Unternehmen und Haushalte nachhaltig mit erneuerbarer Energie zu versorgen, müssten wir täglich sechs Windräder aufstellen, wir schaffen aber allenfalls nur zwei. Das Problem sind natürlich die Genehmigungsverfahren, die gesetzlich geforderten Einzelabnahmen der Anlagen, obwohl sie alle mehr oder weniger gleich funktionieren. Hier müssen wir viel unbürokratischer und schneller werden. Tatsächlich passiert in dieser Richtung schon etwas, aber immer noch deutlich zu wenig, auch in anderen Verwaltungsbereichen. So sollte meiner Ansicht nach künftig kein Amtsbesuch in Präsenz mehr notwendig sein. Die Perspektive zudem weg von den Sachverhalten hin zu den Menschen zu lenken, muss auch in der Verwaltung das Ziel sein.
Warum fällt es der Politik so schwer, jenseits von Extremsituationen schnell zu Entscheidungen zu kommen?
Wenn die Politik argumentiert, Entscheidungen könnten in einer Demokratie nicht so einfach getroffen werden wie in der Wirtschaft, dann kann ich dem nicht zustimmen. Auch in der Wirtschaft herrscht mittlerweile kein autoritativer Geist mehr, mit einem allmächtigen Inhaber, der alles lenkt und weiß. Das war in den 50er und 60er Jahren ganz anders, da brauchte es die klare, stringente Führung, sonst wäre man vielleicht gescheitert. Heute aber sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter längst keine Befehlsempfänger mehr, sondern tragen ein wahnsinniges Potenzial in sich. Die Leute wollen gestalten, und dabei kommt wirklich etwas heraus. Schon allein aus diesem Grund gibt es in der Wirtschaft längst demokratische Strukturen.
Den neuen demokratischen Geist in der Wirtschaft dürften vielen Unternehmen immer stärker spüren – vor allem im Hinblick auf den Fachkräftemangel, oder?
Ja, das ist richtig. Bei der Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern und Auszubildenden sind heute die Arbeitsweise und das Umfeld, das ich anbieten kann, elementar wichtig. Da gibt es allerdings noch eine Menge Potenzial, und einige Unternehmen müssen sich vielleicht schon auch an die eigene Nase fassen, wenn sie Probleme bei der Mitarbeitersuche haben. Vielleicht müssen wir aber künftig auch lernen, mit weniger Personal auszukommen.
Wie kann das gelingen?
Zum Beispiel durch eine Justierung der Prozesse. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Wir haben bei Matt Optik seit Ende Februar eine vollkommen neue Technik im Einsatz, die komplett fertige, in Form geschliffene Gläser mit einem unglaublichen Ausstoß produziert. So, wie wir bislang organisiert waren, entsteht dadurch aber auch ein Nadelöhr mit einem Berg an fertigen Gläsern, die in die Brillenfassungen eingepasst werden müssen.
An dieser Stelle müssen wir umdenken und die Kapazitäten flexibler einsetzen: So ist es sinnvoll, zu Beginn des Prozesses zunächst vielleicht nur zwei Mitarbeiter zur Weiterverarbeitung der Gläser nach der Produktionsmaschine zu beschäftigen. Wenn mehr Gläser da sind, werden dies dann vier, später sechs und so weiter.
Welche Voraussetzungen sehen Sie, damit auch Zuwanderung ein Weg aus der Fachkräftemisere sein kann?
Hier muss ich noch einmal positiv auf unsere Arbeit verweisen: Die IHK hat es geschafft, darauf hinzuwirken, dass die Politik auch die Anerkennung nicht akademischer ausländischer Abschlüsse in den Blick nimmt. Denn darum geht es letztlich, Menschen, die ohne formale Qualifikationsnachweise hierherkommen, gemäß ihren Kompetenzen zu beschäftigen. Wichtig ist auch hier vor allem der Bürokratieabbau. Die Erfahrungen in den Unternehmen zeigen, dass vieles immer noch zu kompliziert ist, zu lange dauert oder sogar scheitert.

Junge Menschen ziehen oft noch ein Studium der beruflichen Ausbildung vor – zu Recht?
Man muss nicht studieren, um Karriere zu machen. Ich bin davon überzeugt, dass die Wahl einer Ausbildung mit anschließender Weiterbildung sogar besser als ein Studium sein kann. Dank jahrelanger Beharrlichkeit der IHKs wurden die IHK-Weiterbildungen Fachwirt/Meister und Betriebswirt mit den Abschlüssen „Bachelor“ und „Master“ im neuen Berufsbildungsgesetz von 2020 verankert. Das veranschaulicht endlich, dass die berufliche und akademische Weiterbildung gleichwertig ist.
Allerdings bremst auch hier wieder die Bürokratie. Nur wenige IHK-Abschlüsse dürfen bereits den Titel „Bachelor“ oder „Master“ tragen, weil die Überarbeitung der Rechtsverordnungen stockt oder noch nicht einmal begonnen hat. Aber wir bleiben dran – genauso, wie die IHKs auch laufend Berufsbilder weiterentwickeln. Was Sinn macht, denn sie kennen den Bedarf der Wirtschaft am besten. Vor kurzem wurde zum Beispiel eine große Neuordnung bei den Ausbildungsberufen in der Gastronomie und Hotellerie auf den Weg gebracht. Damit wird die Branche als attraktiver Arbeitgeber gestärkt und junge Menschen haben viel mehr Möglichkeiten, dort ihre Karriere zu starten.
Sie betreiben mit Ihrem Unternehmen rund 80 Filialen in ganz Deutschland. Wie sehen Sie die Zukunft des stationären Handels?
Der stationäre Einzelhandel befindet sich in den vergangenen Jahren in einem enormen Wandel – was auch am veränderten Kundenverhalten liegt. Produkte sind online jederzeit und mit allen Informationen verfügbar. Im Geschäft müssen Händlerinnen und Händler also mit anderen Aspekten punkten als der reinen Beratung, denn Kunden kommen meist schon sehr gut informiert in den Laden. Es geht also darum, vor Ort Mehrwerte zu schaffen. Dazu gehört ein Ambiente, in dem sich der Kunde wohl fühlt oder digitale Elemente wie Tablets für die Mitarbeiter. Einkaufen muss ein Erlebnis sein, in dem ich Produkte haptisch erleben kann – verbunden mit den Mehrwerten aus der Online-Welt.
Händler dürfen sich diesem Umbruch, der gerade stattfindet, meiner Meinung nach nicht verschließen. Ein guter Online-Auftritt – egal ob auf der eigenen Homepage oder in den sozialen Medien – gehört heute zum Standard und ist eine Investition, die sich schon nach kurzer Zeit auszahlt. Ich glaube fest an die Zukunft des stationären Handels – auch als grundlegender Bestandteil attraktiver Innenstädte.
Ein weiterer Aspekt, den die vergangenen Jahre sehr präsent haben werden lassen, ist die krisensichere Gestaltung der Lieferketten. Brauchen wir wirklich mehr Produktion im Inland? Und ist das überhaupt realistisch?
Im Grundsatz geht es ja um Abhängigkeiten. Und ich glaube zum Beispiel nicht, dass es für eine Volkswirtschaft langfristig vorteilhaft ist, wenn sie Zölle erhebt. Allerdings, ohne fatalistisch wirken zu wollen, denke ich, dass am Ende wieder der Preis entscheiden wird. Die Abhängigkeiten von Gütern aus bestimmten Ländern sind dadurch natürlich gegeben und schwierig, aber es hat sich eben auch gezeigt: Die Wirtschaft findet einen Weg. Unter Nachhaltigkeitsaspekten ist alles am besten, was ich selbst herstelle. Aber auch wir tun das im Unternehmen nicht immer. So kommen in unserer Branche die Gläser oft gerandet von den Lieferanten – nicht ideal. Im Übrigen ist das einer der Gründe, warum wir in die neue Technik investiert haben, das macht uns unabhängiger.

Was, glauben Sie, wird die Unternehmerschaft in Zukunft am meisten bewegen?
Das Thema „Veränderung“ wird uns immer stärker beschäftigen. Das betrifft alle Ebenen und Bereiche wie zum Beispiel die oben beschriebenen Prozessanpassungen. Die Unternehmerinnen und Unternehmer sind gefordert, sich immer stärker auf diese Veränderungen einzulassen. Dabei hilft ein Netzwerk wie das der IHK ungemein. Die Erfahrungen fremder Branchen sind oft viel hilfreicher als die der eigenen. Denn der zentrale Erfolgsfaktor wird immer stärker die Kommunikation des einzelnen Unternehmens werden: mit seinen Kunden, aber auch mit seinen Mitarbeitern.
Lassen Sie uns am Ende nochmals über Ihre Sicht auf Ehrenamt und Engagement sprechen. Was können Sie anderen Unternehmerinnen und Unternehmern als Motivation mit auf den Weg geben?
Als Unternehmer ist man ja relativ einsam, genauso wie als Politiker übrigens. Das ändert sich schlagartig, sobald man sich bei der IHK engagiert. Denn die Regionalität unserer IHK ist einzigartig in der deutschen Kammerlandschaft – keine andere Vertretung ist so dezentral organisiert. Einer meiner Aufgaben ist es, die einzelnen IHK-Geschäftsstellen in unserer Region regelmäßig zu besuchen. Einmal im Jahr bin ich in jeder unserer Geschäftsstellen vor Ort, um mit drei bis vier Unternehmerinnen oder Unternehmern zu sprechen. Das schätze ich sehr, nicht weil ich dort als IHK-Präsident aufschlagen will, sondern weil es wahnsinnig wertvoll für beide Seiten ist, einander zuzuhören.
Das Gespräch führte Alexandra Buba.