Titel - Ausgabe Juli 2023

Kreativ verbunden

Dekoration oder Kunst? Leerstandsbelebung durch Off-Locations oder arriviertes Filmfestival? Die Ausdrucksformen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind so vielfältig wie ihr Niederschlag im öffentlichen Raum. So begreift sich Kunst nicht nur als schlichter Möblierer einer sonst farbloseren Sphäre, Raumschaffende und Formaterfinder verstehen sich als Mittler und Katalysatoren für Künstler und Innovation. Ein weiter Blick in die Oberpfälzer Kultur- und Kreativwirtschaft und ihre Wechselwirkungen mit Innenstädten, Wirtschaftsprozessen und der Welt.
Jeff Beer, Künstler, Musiker und Komponist
Jeff Beer, das ist der mit den riesigen verrosteten Eisendingern. Jeff Beer, das ist der mit den Ausstellungen in New York, Madrid, Stockholm. Jeff Beer, das ist der in dem alten Gehöft in Gumpen, das abgebrochen werden sollte für das nicht realisierte Stauseeprojekt. Jeff Beer, das ist der, der Kunst im Auftrag vor Oberpfälzer Firmensitzen oder in Marktgemeinden schafft. Jeff Beer, das ist der erste Kunst- und Kulturpreisträger der Stadt Tirschenreuth, in deren Rathaus kein Bild von ihm hängt. Und Jeff Beer ist für diesen Fall der, an dem sich beinahe alles verstehen lässt, was es über die Beziehung von Gesellschaft, Wirtschaft und Kunst zu verstehen gibt.
Sortiert beginnt diese letzte Geschichte in Immenreuth, im Landkreis Tirschenreuth, in einer Werkhalle der Firma Markgraf. Testen wollten sie ihn dort, den Künstler, der jetzt da kommen sollte und mit dem sie an der Realisierung seiner Eisenskulptur arbeiten mussten. Hat er Angst vor Feuer? Respektiert er überhaupt unsere Arbeit? Das waren die unausgesprochenen Fragen der Facharbeiter, an die sich Jeff Beer heute noch erinnert, wenn er an diesen frühen Firmenauftrag denkt. Bei der Differenzierung von Flammrichten und Feuerschweißen, beim gemeinsamen Anpacken schmiedeten sie dann aber bald gleichzeitig mit dem Metall auch den gegenseitigen Respekt.
Heute stehen seine großen Skulpturen bei der IGZ in Falkenberg, auf dem Campus der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden, vor dem Amt für ländliche Entwicklung in Tirschenreuth. Eine ganze Reihe von Projekten wurde aber auch niemals realisiert, blieb im Modellstadium stecken – weil manchmal das Interesse fehlte, die Begeisterung erlahmte, der Wert plötzlich nicht mehr erkannt wurde. „Die Krux ist doch die Frage: Wer hat etwas davon, wenn ich als Unternehmer auf meinem Firmengelände Kunst installieren lasse?“, sagt Jeff Beer. Antworten darauf hat er eine ganze Reihe.

Sammelsurium Kultur- und Kreativwirtschaft

Wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zufolge gibt es nur eine einzige wesentliche: Demnach ist die Ansiedlung von kreativ und innovativ denkenden Menschen für die ökonomische Entwicklung einer Region von besonderer Bedeutung. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich Wirtschaftsregionen und Städte zunehmend mit dem Potenzial beschäftigen, das der sogenannten Kultur- und Kreativwirtschaft zugesprochen wird. Die Zusammensetzung dieser Sammelbranche ist ebenso bunt und vielfältig wie ihre Angehörigen: So zählt die Darstellende Kunst ebenso zu den elf Teilmärkten wie die Architektur, der Buchmarkt, die Design- Film- und Musikwirtschaft, der Kunst- und Pressemarkt, die Rundfunkwirtschaft sowie der Werbemarkt und die Softwareund Games-Industrie.
Die letzten verfügbaren Zahlen zur Branche beziehen sich auf das Jahr 2018: Damals zählte jedes dreizehnte Unternehmen in Bayern zum weitgefassten Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft. Der Gesamtumsatz, den diese knapp 43.000 Unternehmen und Selbstständigen der bayerischen Kultur- und Kreativwirtschaft erlösten, lag bei rund 40 Milliarden Euro. Damit trugen die Unternehmen und Selbstständigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft knapp 3,2 Prozent zum Gesamtumsatz der bayerischen Wirtschaft bei, stellen aber mit 339.805 Erwerbstätigen 3,7 Prozent der Beschäftigten. Blickt man auf Ostbayern, so kann man von 4.000 bis 5.000 Selbstständigen und Unternehmen ausgehen, die in der Branche tätig sind.

Umsätze äußerst unterschiedlich

Der Vergleich der Durchschnittsumsätze bezogen auf Bayern und Ostbayern macht deutlich, wie heterogen die Branche offenbar nicht nur in sich, sondern auch regional ist. Demnach kam ein Unternehmen in Ostbayern bei der letzten Erhebung auf nicht einmal 500.000 Euro durchschnittlichen Umsatz, in Gesamtbayern hingegen auf knapp eine Million. Blickt man auf die regionale Struktur, dann ist klar, woher dieser Unterschied stammt: Ostbayern fehlen die großen Ballungsräume München und Nürnberg, in denen sich die Kultur- und Kreativwirtschaft verstärkt entwickelt.
„Tatsächlich sehen wir auch für die Oberpfalz und den Landkreis Kelheim, dass etwa die Hälfte der Unternehmen in Stadt und Landkreis Regensburg angesiedelt sind“, erklärt Josef Ebnet, Bereichsleiter des Geschäftsbereichs Verkehr, Handel und Stadtentwicklung bei der IHK. Dass bedeutet aber weder, dass dies ein wünschenswertes Phänomen ist, noch dass vom Rest des IHK-Bezirks keinerlei wesentliche Impulse von den Kreativen ausgingen. „Denn darin besteht unserer Ansicht nach die zentrale Aufgabe der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Stadtentwicklung: Sie soll Besuchsmagneten schaffen und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum erhöhen in einer Zeit, in der niemand mehr das Sofa verlassen muss, um die Dinge zu kaufen, die er braucht“, so Ebnet.

Pinke Schirme in der Abens

Wie das jenseits von Regensburg aussehen kann, zeigt die Stadt Abensberg. Dort sorgt seit einigen Jahren ein kultursinniger Bürgermeister dafür, dass nicht nur Institutionen wie das Stadtmuseum und das Kulturzentrum Aventinum mit Musikschule, VHS und Räumen der OTH Regensburg in besonderer Weise saniert wurden, sondern auch neue Formate wie die „Sommerlaune-Konzerte“ oder der „Kunstnachtmarkt“ für eine zusätzliche Belebung der – durch die Hundertwasserbauwerke ohnehin nicht an Besuchermagneten armen – Stadt sorgten.
„Nach der Zwangspause wollten wir mit dem ersten Sommerlaune-Konzert 2021 dafür sorgen, dass nicht nur die Leute wieder Freude daran finden, sich draußen zu treffen, sondern auch die regionalen Künstler schnell Gelegenheit bekamen, wieder aufzutreten“, erklärt Carolin Wohlgemuth vom Stadtmarketing. Mit Weitsicht wurde das Rathaus saniert, beim barrierefreien Eingang gleich an eine kleine, fest integrierte Bühne zum Stadtplatz hin mitgedacht. Das freut die lokalen Künstler, die im Sommer davon regen Gebrauch machen.
Die Verbindung zum Einzelhandel schafft das zweite wichtige Projekt: der Kunstnachtmarkt. Dazu wurden anfangs nur schlichte Schirme über der Lusteckstraße installiert, später Drachen und die Schirme zum Schwimmen in die Abens geschickt. „Das sind Attraktionen, die Besucher anziehen und außerdem unsere Einzelhändler dazu inspirieren, ihre Schaufensterdekorationen solchen Gestaltungen anzupassen“, erklärt Carolin Wohlgemuth.

Sündigen Touch behalten

Dass es nicht immer die öffentliche Hand sein muss, die Innenstadtbelebung anstößt, zeigen zwei Beispiele weiter nördlich, in Schwandorf und Weiden. Letzteres sollte auch die Möglichkeit bieten, coole Konzerte zu besuchen, fand ein Freundeskreis junger Weidenerinnen und Weidener. Deshalb machten sich Lukas Höllerer und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter von das südikat e. V. ab 2015 auf die Suche nach ungenutzten Räumen, um dort Pop-up-Clubs zu initiieren und Auftritte überregional bekannter Künstler zu organisieren.
Lukas Höllerer, das sündikat e.V.
„Dabei sollte das Kulturelle im Mittelpunkt stehen, dazu kamen ganz unprätentiös nur Flaschengetränke aus dem Kühlschrank“, erklärt Höllerer. Nach mehreren anderen Orten bespielt der Verein seit 2023 dauerhaft das ausgediente Weidener Ring-Kino. Auch ehrwürdige Formate wie der Weidener Jazz-Zirkel oder die Max-Reger-Tage würden in diesem Jahr mit Veranstaltungen in der „Off-Location“ gastieren, wie Lukas Höllerer sagt. „Es soll den ‚sündigen Touch‘ nicht verlieren, der Backstage-Bereich ist der ehemalige Vorführraum, da haben wir bewusst den Projektor drin gelassen“, betont er. Das begeistere auch internationale Künstlerinnen und Künstler.
Eine Strahlkraft der „Sünde“ in die Region hinein nimmt er vor allem am Verhalten seiner Stammgäste wahr: Sie bringen regelmäßig Neu-Weidener mit, die bei den größeren Firmen der Stadt als ihre Kollegen angeheuert haben. Dabei betont er auch das eigene Engagement der Vereinsmitglieder, das notwendig sei, um den Laden am Laufen zu halten. Schließlich sei man kein Betrieb, der sich ausschließlich auf öffentlicher Förderung ausruhen könne. „Ohne Professionalität geht das – bei allem Idealismus – nicht“, so Höllerer.

Die Stadt stieg sofort ein

Das sieht auch Anne Schleicher aus Schwandorf ähnlich. Seit sie 2012 das erste „Zwickl“-Dokumentarfilmfestival initiierte, hat sich nicht nur viel getan, sondern sie erfindet das Format auch jedes Jahr ein bisschen neu. „Wir sind immer an einem anderen Ort: Das war schon ein ehemaliges Kino, das inzwischen als ein Blumengeschäft genutzt wurde, eine Müllverbrennungsanlage oder eine säkularisierte Kirche“, berichtet die Festivalleiterin.
Anne Schleicher, ZWICKL.dokumentarfilmfestival
Ihr Projekt hatte aber das Glück, dass die Stadtverantwortlichen sehr schnell bemerkten, „was für eine krasse Belebung der Stadt das ist, als schon 2012 über 1.400 Leute in einer Woche kamen“, sagt Schleicher. Deshalb stieg die Stadt als Veranstalterin ein. Heute organisiert Anne Schleicher alles rund um das Festival fachlich und sachlich und kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit.
Letztere ist durch Social Media zwar aufwendiger geworden, aber die Kernfrage „Wie bekomme ich die Schwandorfer für einen Dokumentarfilm ins Kino?“ sei dieselbe geblieben. Damals funktionierte das über den Preis – den „Zwickl“, angelehnt an die Zwei-Mark-Münze – heute vor allem über die Glaubwürdigkeit, die der Dokumentarfilm in aktuellen Fragen über die Geschehnisse in der Welt genießt.

Regensburger Kreativzentren

Den Wert von Kunst, Kultur und Kreativität im öffentlichen Raum hat selbstverständlich auch die Großstadt Regensburg erkannt. Nicht umsonst zählt die Kreativwirtschaftsförderung dort – neben der bereits etablierten Kulturförderung – mittlerweile sieben Vollzeitstellen. 2015 schufen die Stadtverantwortlichen vor dem Hintergrund eines drohenden, großen Leerstands im Herzen der Altstadt mit dem Degginger ein erstes Leuchtturmprojekt und Kreativzentrum.
Sebastian Knopp, Stadt Regensburg
Als sich die Buchhandelskette Hugendubel und im Anschluss das Möbelhaus KARE aus der Innenstadt zurückzogen, mietete die Stadt die Flächen in der Wahlenstraße an, um dort bezahlbaren Raum für die Kreativwirtschaft zur Verfügung zu stellen. Noch heute lässt sich zum Beispiel für 50 Euro die Woche ein Pop-Up-Raum mieten, um in den Austausch mit dem Innenstadtpublikum zu treten: Dort werden Design gezeigt, zum Sitzmöbeltest eingeladen oder Kunst ausgestellt. „Wir wollten im Erdgeschoss einen Hub für die Kreativen schaffen, eine Bühne, ein Schaufenster – abseits des Schreibtisches – wo sie in den Stadtraum hinaus wirken und sich präsentieren können“, erklärt Sebastian Knopp, Clustermanager Kreativwirtschaft der Stadt Regensburg, das Konzept. Heute sind in den oberen Stockwerken zusätzlich Büros, Studios und Tagungsräume zu finden.
Etwas Ähnliches, jedoch wesentlich größer, entsteht gerade auf einer Industriebrache im Hafen. „Dort liegt der Fokus auf bezahlbarem Arbeitsraum, Werkstätten und der Vernetzung der klassischen Wirtschaft mit den Kreativen“, erklärt Knopp. Geplant seien neben Büros und Ateliers zum Beispiel auch sogenannte Innovationslabore, und das Interesse nicht nur seitens der Kreativen, sondern auch von Unternehmen des produzierenden Mittelstands sei schon jetzt überwältigend. „Die klassische Wirtschaft will Anleihen nehmen, sie will vom Mindset der Kreativen lernen“, so Knopp. Auch die Stadt selbst bittet im Übrigen die Kreativen regelmäßig zum bezahlten Innovationsdialog, um zum Beispiel Fragen der Quartiersplanung und zur Leerstandsentwicklung zu besprechen.

Kunstbetrachtung für die Belegschaft

Während Letzteres für einen Jeff Beer vielleicht zu konkret und einzelnutzenfokussiert wäre, fände der regelmäßige Austausch als beste Form des „Wechseltakts von Industrie und Kunst“, so die Formulierung des mehrfach examinierten Musikers und Komponisten, sicherlich seine vollste Zustimmung. „Es geht darum, die Dinge belebend zu begleiten“, sagt er. „Warum nicht eine Stunde Kunstbetrachtung für die Belegschaft pro Monat?“ Letztlich sei die Bereicherung durch die Anwesenheit und Präsenz von Kunst – vorausgesetzt man hat es mit Qualität zu tun – gewaltig.

Autorin: Alexandra Buba