Wenn die Steckdose keinen Anschluss hat
Das Werk von Rockwool in Gladbeck will seine Produktion dekarbonisieren – doch der Ausbau der Infrastruktur stockt. Während das Schwesterwerk im niederländischen Roermond bereits elektrifiziert wird, kämpft der Standort mit 300 Beschäftigten auf einen Stromanschluss um seine Zukunft.
Der Hochspannungsmast ist gut zu sehen durch die Fenster der Rockwool-Verwaltung in Gladbeck. Er ist Teil der Lösung für die Umstellung des Werks – und Teil der Herausforderung. „Damit wir ausreichend Strom beziehen können, um unsere Produktion zu elektrifizieren, müssen dieser Strommast und die Leitungen ausgebaut werden“, erklärt Frank Weier, kaufmännischer Geschäftsführer von Rockwool Deutschland. Wann das passiert? Er kann es nicht genau sagen. Der Netzbetreiber rechne mit fünf bis sechs Jahren für die Umsetzung. „So lange wollen wir nicht warten.“ Es ist einer der Momente im Gespräch, in denen Weier fassungslos ist – über Hindernisse, die auf dem Weg zu einer klimaneutralen Industrie eigentlich gar nicht existieren dürften.
Rockwool stellt Steinwolle her – hochwertiges Dämmmaterial, das Gebäude energieeffizienter macht. Die Produktion ist energieintensiv: In großen Öfen wird Gestein bei über 1.500 Grad geschmolzen und zu Fasern versponnen. Bisher geschieht das über fossile Energieträger. Das soll sich ändern. „Unser Ziel ist es, unsere Produkte komplett klimaneutral herzustellen“, sagt Weier
Technisch möglich, praktisch blockiert
Die technische Lösung hat Rockwool schon parat: Elektrifizierung. Grüner Strom soll künftig die Schmelzöfen befeuern. Technisch ist das längst machbar. Die Investitionen in die neuen Anlagen sind zwar hoch und der grüne Strom ist teurer als die fossile Energie. Aber dass es geht, beweist das Schwesterwerk in Roermond, keine 100 Kilometer entfernt. Das Werk modernisiert Rockwool bereits nach diesem Prinzip – mit finanzkräftiger Unterstützung der niederländischen Regierung. Bis zu 80.000 Tonnen CO₂ pro Jahr könnte Gladbeck durch die Umstellung einsparen. Doch während Roermond voranschreitet, steht Gladbeck auf der Stelle.
Frank Weier, kaufmännischer Geschäftsführer von Rockwool in Gladbeck, würde ja gerne elektrifizieren - aber es fehlt die Hochspannungsinfrastruktur.
Das Problem ist nicht die Technologie. Es ist die Infrastruktur. „Wir brauchen ein Hochleistungskabel, das wir an die Steckdose anschließen können“, sagt Weier. „Aber dieses Kabel fehlt.“ Die Steckdose hat einen 60-Megawatt-Anschluss, über den ein jährlicher Verbrauch von 200 Gigawattstunden laufen soll. Ein Stromanschluss ist zwar vorhanden, aber nicht annähernd in dieser Größenordnung. Der Spannungsbereich muss angepasst werden, der besagte Hochspannungsmast ertüchtigt, ein neues Umspannwerk gebaut und die Anbindung hergestellt werden.
Die Planungssicherheit für uns liegt bei null.Frank Weier, kaufmännischer Rockwool-Geschäftsführer
Der Antrag für den Anschluss liegt beim regionalen Netzbetreiber Westnetz seit Mitte 2024. Dort wartet er auf Bearbeitung – zusammen mit unzähligen anderen Anträgen, viele davon von Betreibern, die Großbatterien ans Netz anschließen wollen. „Die Westnetz arbeitet im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten, die das Prinzip ‚First in, first out‘ vorgeben“, erklärt Weier. Einen gesetzlichen Vorrang für Unternehmen, die dekarbonisieren wollen, gibt es nicht.
Sechs Jahre von Antrag bis Umsetzung
Von Antragstellung, über das Planverfahren bis hin zur Umsetzung der Stromtrasse sei laut Westnetz mit insgesamt sechs Jahren zu rechnen. Erst dann fließt ausreichend Strom. Sechs Jahre, die Rockwool nicht hat. Denn das Werk braucht finanzielle Unterstützung, um die höheren Kosten für den grünen Strom auszugleichen. „Wir können aktuell die höheren Kosten nicht über Preissteigerungen an unsere Kunden eitergeben“, sagt Weier. Deshalb braucht Rockwool die Klimaschutzverträge, eine von der Bundesregierung verabschiedete Maßnahme, eigentlich genau gedacht für solche Zwecke. Doch ohne Infrastruktur keine Förderung. Ohne Förderung keine Wirtschaftlichkeit. Das Problem: Die Klimaschutzverträge schreiben eine Umsetzung der CO2-Reduktion binnen drei Jahren vor. Selbst wenn die Frist, wie derzeit diskutiert, auf fünf Jahre verlängert würde: Gladbeck fiele raus. Deutschland-Geschwindigkeit in der Energiewende? „Davon ist hier nichts mehr zu spüren“, sagt Weier.
Auch beim Umspannwerk hakt es. Weil die Stadt Gladbeck keine Flächen gefunden hat, stellt Rockwool 5.000 Quadratmeter eigene Lagerfläche zur Verfügung. „Wir gehen in Vorleistung“, sagt Weier. „Planung, Anfragen, alles. Aber erst wenn wir verbindlich wissen, wann das Anschlusskabel liegt, können wir verlässlich die Umstellung unserer Anlagen planen.“ Man hofft noch immer für Ende 2025 auf einen Kostenvoranschlag für den Netzanschluss. Dann muss die Stadt schnell die Genehmigung für die Verlegung einer neuen Leitung erteilen. „Wir gehen ins volle Risiko bei der Investition für die Infrastruktur“, sagt Weier, „in der Hoffnung, dass wir ein Förderregime haben, das uns Wirtschaftlichkeit ermöglicht.“
Die Uhr tickt. Nicht nur wegen der Klimaziele, sondern weil Rockwool im Wettbewerb steht – mit Glaswolle, mit Schaumdämmstoffen. Da wiegt ein infrastrukturbedingter Standortnachteil wie in Gladback schwer. „Das Werk in Roermond und andere Unternehmen können die notwendige Infrastruktur aufbauen und erhalten dazu noch staatliche Fördergelder. Wir derzeit nicht“, sagt Weier. Vor diesem Hintergrund sind politische Rahmenbedingungen wichtig, um Wettbewerbsfähigkeit und industrielle Wertschöpfung in Deutschland zu sichern. Ein Beispiel, bei dem dieser Rahmen nicht ausreichend war, liegt in der Nachbarschaft: Der Chemiekonzern INEOS hat in Gladbeck auch ein Werk. Und eins in Antwerpen. Das Gladbecker Werk soll jetzt geschlossen werden, die Produktion in die Niederlande abwandern.
Planungssicherheit gleich null
„Die Planungssicherheit für uns liegt in diesem Bereich bei null, kurz-, mittel sowie langfristig“, sagt Weier. Das gilt nicht nur für die Infrastruktur. Auch bei den Energiekosten – und hier insbesondere den Netzentgelten – herrscht Unklarheit. Aktuell rechnet Rockwool inklusive Netzentgelten mit 150 Euro pro Megawattstunde. „Damit haben wir in Deutschland die höchsten Strompreise im europäischen Umfeld“, unterstreicht Weier. Worauf sich der von der Bundesregierung Anfang November angekündigte Industriestrompreis bezieht, lässt sich derzeit nicht sagen. Eine weitere Option sei laut Weier eine Reduzierung von Netzentgelten gekoppelt an eine erfolgreiche Reduzierung der CO2-Emissionen. „Ich möchte keine bedingungslosen Subventionen. Aber so wie es jetzt ist, haben wir einfach eine deutliche Wettbewerbsverzerrung.“
Hinzu kommt der Effekt, den die Produkte von Rockwool haben. Die eingebaute Steinwolle spart durch die Dämmung in den Gebäuden ein Vielfaches der CO2- Menge ein, die bei der Herstellung des Dämmstoffs entsteht. „Wenn man die CO2-Einsparungen durch den Einsatz unserer Produkte im Bau und durch unsere Kreislaufwirtschaft, die wir mit dem Recycling der Steinwolle schaffen, anerkennen würde, sähe die Bilanz ganz anders aus", sagt Weier. Das zeigt, dass die Debatte um Emissionen komplexer ist, als es die starren Vorgaben suggerieren.
„Wir kämpfen für die Transformation“
Von den Planungs- und Genehmigungsverfahren bis zu den Klimaschutzverträgen spricht Frank Weier sich für deutlich mehr Augenmaß und Flexibilität aus. „Alle Akteure – Politik, Netzbetreiber, Unternehmen – sollten an einen Tisch kommen.“ Die Unternehmen erklären, was sie brauchen, die Netzbetreiber sagen, wie sie es umsetzen können, die Politik schafft die Rahmenbedingungen. „Die politischen Intentionen im Hinblick auf die Reduzierung der Netzentgelte oder die Festlegung eines Industriestrompreises sind sehr gut, was das aber konkret für die unternehmerische Praxis bedeutet, ist derzeit völlig unklar“, sagt Weier. Die notwendige Geschwindigkeit beim Netzausbau ersticke im bürokratischen Planungsdschungel. „Darauf können wir keinen robusten Business Plan aufbauen.“
Herausforderungen gehören dazu, wenn man ein Unternehmen leitet. Aber in diesem Ausmaß? „Wir kämpfen für die Transformation des Werks und sind bereit, alle Hebel in Bewegung zu setzen, die in unserer Macht stehen“, sagt Weier. Immerhin sei Rockwool ein finanzstarkes Unternehmen. Aber ob finanziell stark aufgestellt oder nicht, für jedes Unternehmen gelte, dass die Rahmenbedingungen passen müssen, damit Investitionen erfolgen können. „Wir haben eine Riesentransformation in diesem Land vor", sagt Weier. „Aber es müssen jetzt auch schleunigst die politischen Weichen gestellt werden und die Umsetzung muss starten, statt sich in administrativen Hürden zu verheddern.“
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