Diversität fördern

Eine Bereicherung fürs Team

Das Vinocentral am Darmstädter Hauptbahnhof beschäftigt zwei Menschen mit Beeinträchtigung. Dafür hat es 2020 den Hessischen Landespreis erhalten. Inklusion ist für die beiden Macher ein wichtiger Teil im Gesamtkonzept ihrer unternehmerischen Verantwortung.
Autor: Stephan Köhnlein, 9. September 2021
Gäste sitzen bei Wein und Kaffee an den Tischen vor dem Vinocentral, im Hintergrund der Darmstädter Hauptbahnhof, von Zeit zu Zeit rumpelt eine Straßenbahn vorbei. Seit 1993 führt Michael Bode-Böckenhauer mit Alexander Marschall das Ladengeschäft - eine Kombination aus Wein- und Spezialitätenhandel mit Gastronomie und einer Kaffeerösterei.
Für seine „beispielhafte Beschäftigung und Integration schwerbehinderter Menschen“ erhielt das Unternehmen den Hessischen Landespreis 2020. Doch Inklusion ist für Michael Bode-Böckenhauer nur ein Teil eines auf Nachhaltigkeit ausgelegten Gesamtkonzepts. Während er einen Schluck von seinem Kaffee nimmt, hält wie zum Beleg hinter ihm das Lastenfahrrad, mit dem das Vinocentral inzwischen den größten Teil seiner Logistik in der Darmstädter Innenstadt abwickelt.

Kulturbetrieb und Inklusion gehen gut zusammen

Junger Mann mit Down-Syndrom als Servicekraft in einem Cafe
© Vinocentral
Die beiden Geschäftsführer sind bekannte Darmstädter Gesichter. In den vergangenen Jahrzehnten führten sie prominente Orte der Club- und Ausgehszene wie das CaféKesselhaus, den Hillstreet Club oder das Weststadtcafé. In der Centralstation, dem von ihnen gegründeten Kulturbetrieb im Herzen der Innenstadt, ist ihnen dann besonders deutlich geworden, „dass Kultur und Inklusion zwei Themen sind, die wunderbar zusammenpassen“, erklärt Michael Bode-Böckenhauer.
Zunächst habe man dort einen Mitarbeiter im Rollstuhl an die Kasse gesetzt – doch das Thema entwickelte schnell eine eigene Dynamik. Eltern von Kindern mit Beeinträchtigungen fragten nach, ob man auch Praktikumsplätze vergebe. Der Bedarf war da. Also entschlossen sich Michael Bode-Böckenhauer und Alexander Marschall, den Weg weiterzuverfolgen.
Das Konzept wurde ausgeweitet auf das Café Rodenstein im Hessischen Landesmuseum und schließlich auf das Vinocentral. Im Service arbeitet dort heute Lukas, der das Down-Syndrom hat. Musa, der Probleme mit dem lautsprachlichen Ausdruck hat, ist vor allem in der Logistik im rund einen Kilometer entfernten Zentrallager beschäftigt.

Unternehmen werden Fördermittel bereitgestellt

„Wenn man so ein Projekt angeht, bekommt man sehr viel Unterstützung“, sagt Michael Bode-Böckenhauer. Das Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft biete eine umfassende Begleitung nicht nur in der Einführungsphase. Hinzu kämen nicht unerhebliche Fördermittel beim Schaffen der Stellen sowie als Lohnzuschüsse. „Betriebswirtschaftlich kann ich das nur empfehlen, das hat nur Vorteile“, meint er.
Aber auch für die Arbeit im Team habe das Inklusionskonzept viel gebracht. „Es hat uns alle in unserem Tun ein Stück weit entschleunigt und sorgt für gute Stimmung“, so der Unternehmer. Für viele der 25 Festangestellten und der etwa zwölf freien Mitarbeiter sei es eine neue und zugleich bereichernde Erfahrung, mit Menschen mit Beeinträchtigung zusammenzuarbeiten. „Auch viele unserer Kunden schätzen das sehr und sagen uns das auch.“
Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Ich bin hinter der Käsetheke auch nicht zu gebrauchen.

Michael Bode-Böckenhauer

Ein Risiko bei der Beschäftigung sieht Michael Bode-Böckenhauer nicht. Bevor Lukas und Musa sozialversicherungspflichtig eingestellt wurden, absolvierten sie ein längeres Praktikum. Natürlich passe es nicht immer, und nicht jeder könne überall eingesetzt werden. Aber das sei bei Menschen ohne Beeinträchtigung auch der Fall. „Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Ich bin hinter der Käsetheke auch nicht zu gebrauchen“, schmunzelt der Geschäftsführer.
Trotzdem will er das Vinocentral nicht nur auf die Inklusion beschränkt sehen. „Es ist natürlich schön, dass das im Moment so hervorgehoben wird und uns große Aufmerksamkeit beschert. Davon profitiert unser Ladengeschäft. Insgesamt ist Inklusion nur ein Baustein, um das Konzept einer unternehmerischen Verantwortung mit Leben zu füllen. Irgendwo fängt man an und guckt dann, wo man noch weitergehen kann. Wir versuchen, unsere Verantwortung in allen Bereichen umzusetzen.“
So will das Vinocentral in wenigen Jahren sein Sortiment weitgehend auf Bioware umgestellt haben. Nicht nur beim Wein, sondern auch bei den Produkten der Frischetheke arbeite man dabei vor allem mit kleinen, inhabergeführten Unternehmen zusammen.

Transporte bis 300 Kilo mit dem Lastenrad

Lastenlad des Vinocentral als Wein-Transporter
© Vinocentral
Manchmal sind Alexander Marschall und Michael Bode-Böckenhauer selbst überrascht, was alles möglich ist – zum Beispiel beim Verzicht auf ein Auto. Nur bei größeren Catering-Aufträgen müsse man noch hin und wieder auf ein Carsharing-Angebot zurückgreifen. Ansonsten wird alles mit dem E-Lastenfahrrad erledigt. Mehrfach am Tag pendelt es zwischen dem Vinocentral und dem Zentrallager hin und her, bringt vor allem Weine und Nudeln, aber auch Frischware.
Bis zu 300 Kilo können in die Container des E-Bikes geladen werden „Wir haben zunächst selbst nicht gedacht, dass wir das logistisch schaffen“, meint Michael Bode-Böckenhauer. „Das war für uns noch mal ein Meilenstein. Gerade für das Liefern in der Stadt hat das Fahrrad zudem unschätzbare Vorteile. So kommen wir zum Beispiel in der Fußgängerzone jederzeit überall hin.“
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Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit