Unternehmertum ist Verantwortung

Wertvolles Siebgut

Manche Dinge haben in der Biotonne nichts verloren. Doch auch sogenannte Störstoffe kann man wiederverwenden, ist Jürgen Ludwig, Geschäftsführer des Entsorgerbetriebs Havlog in Heppenheim überzeugt.
Autorin: Sonja Stöhr, 19. April 2021
„Ursprünglich wollte mein Schwiegervater die Havlog GmbH nutzen, um einen Onlineshop für Maschinenbauteile aufzuziehen“, erzählt Jürgen Ludwig. Doch daraus wurde nichts. „Als ich mich nach mehreren Jahren bei verschiedenen Entsorgungsbetrieben und Energieversorgern schließlich selbstständig machen wollte, kam die GmbH wieder ins Spiel.“ „Nimm sie und mach was draus“, riet ihm der Schwiegervater. Seit 2016 ist Jürgen Ludwig Geschäftsführer von Havlog. Die Abkürzung steht für Handel, Verwertung und Logistik. Hinter dem Heppenheimer Betrieb verbirgt sich ein regionaler Zwischenhändler für Abfälle aller Art und Rohstoffe. „Quasi die Vorstufe zum Recycling“, erklärt Jürgen Ludwig. Als sogenannter Stoffstrommanager beschäftigt er sich mit Ressourcenströmen.
„Wir übernehmen Abfall von Kommunen oder aus dem produzierenden Gewerbe, analysieren ihn und schauen, wo dieser am besten eingesetzt werden kann.“ Nahezu jedes Material lasse sich noch einmal verwenden, sagt der Unternehmer. Dafür brauche es nur die passende Technik – und man müsse wissen, wo diese zu finden ist. Ob Klärschlamm oder Sperrmüll: Was früher auf der Deponie landete oder verbrannt wurde, sortieren Jürgen Ludwig und seine drei Mitarbeiter und geben es zur Wiederverwertung weiter. Darum spricht der Geschäftsführer auch ungern von Müll. Für ihn ist Abfall ein Wertstoff, von dem Havlog im vergangenen Jahr 40.000 Tonnen wieder dem Stoffstromkreislauf zuführen konnte.

Für jeden Stoff eine gute Verwendung

Die Kreislaufwirtschaft ist eine Zukunftsbranche im Aufwind. So meldete der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE) für die Recycling- und Entsorgungsbranche im Jahr 2020 ein Umsatzplus von 18 Prozent gegenüber dem Jahr 2010. „Deutschland hat hier weltweit eine Vorreiterrolle inne“, meint auch Jürgen Ludwig. Sich mit Produktionsketten und deren Kreisläufen zu befassen, daran führe kein Weg mehr vorbei. „Wir müssen mit den bestehenden Ressourcen zurechtkommen und Materialien wieder in Stoffströme einbringen können, anstatt sie zu verbrennen oder zu deponieren, wie wir es jahrzehntelang gemacht haben.“ Die Rolle des Gesetzgebers bewertet er hier grundsätzlich positiv, betrachte dieser das Thema doch immer wieder neu und reagiere entsprechend. Doch ausgerechnet die Gesetzgebung macht es ihm bei seinem aktuellen Forschungsprojekt auch schwer.
Die Idee hierzu entstand 2018. Damals kamen Kunden mit einem Problem auf Jürgen Ludwig zu. Kompostierter oder vergorener Bioabfall wird nach sechs Wochen ausgesiebt. In diesem sogenannten Siebüberlauf bleiben Störstoffe übrig. „Das sind die ganzen Fehlwürfe aus der Biotonne“, erklärt der Unternehmer. Dabei handelt es sich zumeist um Glas- und Kunststoffteile, aber auch Batterien, Fernbedienungen, Plastiktüten, ja sogar Schulranzen und Turnschuhe hat er darin schon gefunden. Nichts davon lässt sich bei der Kompostierung des Bioabfalls verwenden und wird, wenn möglich, verbrannt. Auf rund 15 Millionen Tonnen Bioabfälle pro Jahr entfallen eine Million Tonnen Siebüberlauf – und das allein in Deutschland. „Das Zeug muss raus aus den Kompostieranlagen, doch auch die Müllheizkraftwerke haben oft keinen Bedarf dafür. Am Ende gibt es schlicht keinen Platz.“ Für Jürgen Ludwig der Ausgangspunkt, sich diesen Stoffstrom genauer anzusehen.
Das machte er zunächst mit kleinem Gerät und kleinen Mengen. Weil im Siebüberlauf viel Wasser enthalten ist, muss man diesen zunächst trocknen. Im Überlauf fand Jürgen Ludwig unter anderem Holz, Steine und Glasscherben. Tatsächlich muss nur wenig davon vernichtet werden, wie er feststellte. Es folgt ein einjähriger Test auf einem angemieteten Gelände, für den sich der Abfallexperte eine gebrauchte Siebtrommel gekauft hat. Damit lassen sich grobe Materialien aussortieren, etwa große Äste und Kunststoffteile. „Gerade diese beiden sind etwas für die Zementindustrie, die brauchen hochkalorische Abfälle.“ Entsprechend aufbereitet ersetzen sie Gas und Kohle und helfen so, CO2 einzusparen. Und auch für Materialien wie Steine und Glas lassen sich entsprechende Abnehmer und Recyclingbetriebe finden.

Die größte Hürde ist nicht die Technik

Rund 80 Prozent des Siebüberlaufs könnten wieder in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden. Um das im großen Stil umsetzen zu können, braucht es jedoch eine entsprechende Recyclinganlage, die die verschiedenen Stufen von der Trocknung über die Siebung bis hin zum Aussortieren von Materialien vollautomatisch übernimmt. An dieser forscht Jürgen Ludwig. Bei einer Sache hakt es noch: der Trennung von harten und weichen Kunststoffen mithilfe von Nahinfrarottechnologie (NIR). „Das habe ich noch nicht erfolgreich hinbekommen“, schmunzelt der Unternehmer. Manches wird aber auch die perfekte Anlage nicht sortieren können. „Nehmen Sie ein Wurzelballen, in dem sich ein großes Stück Folie verfangen hat. Die kriegen Sie per Hand ja schon kaum raus – da gelangt man an die Grenzen des Machbaren.“
Die größte Hürde für das Pilotprojekt ist nicht die Technik. Eine neue Recyclinganlage muss bestimmte Auflagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz erfüllen – etwa beim Abstand zu Wohn- und Gewerbegebieten. Hier befürchte man zudem oft Belästigungen durch Geruch, Lärm und Staub. „So was will niemand in seiner Nähe haben“, weiß Jürgen Ludwig. Etwa ein bis zwei Hektar Fläche bräuchte er und müsste drei Millionen Euro für die Anlage investieren.
Wirtschaftlich lohnen würde sich die Anlage, ist der Geschäftsmann überzeugt. Er schätzt, dass sie rund 30.000 Tonnen Siebüberlauf pro Jahr aufbereiten könnte. Doch da der Markt für Verwerter eingebrochen ist, weil coronabedingt viel weniger Müll produziert wird, pausiert das Projekt. „Ohne Partner wäre die Investition aktuell ein Wagnis“, sagt Jürgen Ludwig. „Doch das Projekt ist auch ein Schritt zu mehr Nachhaltigkeit in der Kreislaufwirtschaft – und damit auf jeden Fall eine Investition, die sich lohnen wird.“
Zukunftsmut: Ideen für mehr Nachhaltigkeit
Von der Chancengleichheit am Arbeitsplatz über ressourcenschonende, umweltfreundliche Produktion, neue Geschäftsideen, die Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen präsentieren, bis hin zu Sponsoring von Sportvereinen, Kultureinrichtungen und mehr: Unternehmerische Verantwortung hat viele Facetten. In dieser Artikelserie stellen wir Ihnen Good-Practices in Sachen ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit aus der Region Rhein-Main-Neckar und darüber hinaus vor, die beweisen, warum wir auch in Zeiten multipler Krisen mehr Optimismus wagen sollten.

Was macht verantwortungsvolle Teilhabe im Wirtschaftsleben aus?
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Matthias Voigt
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit