UNTERNEHMERTUM IST VERANTWORTUNG

Nachhaltiges Füllmaterial für den Versand

Luftpolsterkissen aus Kunststoff sind vor allem im Versandhandel noch die Regel. Eine nachhaltige Alternative entwickelt das Darmstädter Start-up Ceres – und greift dabei auf einen Reststoff zurück, der sonst als Nebenprodukt aus der Landwirtschaft zu einem beträchtlichen Teil verrottet oder verbrannt wird: Stroh.
 Autor: Stephan Köhnlein, 7. Februar
Mit dem ersten Lockdown während der Corona-Pandemie erlebte der Online-Handel einen gewaltigen Schub. Die sichtbare Folge: Vielerorts quollen die Mülltonnen über, weil so viel Verpackungsmaterial anfiel. „Da haben wir uns gedacht: Das sollten wir verbessern“, erzählt Moritz Lenhardt. Er ist einer von vier Gründern des Darmstädter Start-ups Ceres. Die vier Freunde besuchten zu dieser Zeit an der TU Darmstadt ein Seminar im Masterstudiengang Wirtschafsingenieurswesen, bei dem die Studierenden eine Geschäftsidee entwickeln sollten. „Wir fanden das spannend, weil wir alle schon im Kopf hatten, einmal ein Unternehmen zu gründen“, sagt er.
Während es bei den Umverpackungen für Waren bereits einige nachhaltige Ansätze gegeben habe, sei das beim Füllmaterial anders gewesen. Das Material wird im Paketversand zum Ausfüllen von Hohlräumen verwendet, um ein Verrutschen der Ware zu verhindern und sie vor Beschädigungen zu schützen. „Um dieses Material so nachhaltig wie möglich zu gestalten, wollten wir auf Reststoffe zurückgreifen. Dabei sind wir auf Stroh gekommen“, erklärt Moritz Lenhardt. Das Stroh stand dann auch Pate bei der Namensgebung für ihre Firma: Ceres ist die römische Göttin des Ackerbaus und Fruchtbarkeit.

Bis zu 13 Millionen Tonnen Stroh bleiben jedes Jahr ungenutzt

Rund 30 Millionen Tonnen Stroh fallen jedes Jahr bei der Getreideernte in Deutschland an. Zwei Drittel davon werden verarbeitet, dienen als Tierstreu oder landen in Biogasanlagen. Übrig bleiben bis zu 13 Millionen Tonnen, die meist auf den Feldern verrotten. „Stroh hat perfekte Eigenschaften und wurde auch früher schon als Füllmaterial verwendet“, sagt Moritz Lehnhardt. „Aber wir wollten das in die Neuzeit holen.“
Ziel war es, ein Produkt zu liefern, mit dem möglichst schnell und in großem Umfang abgepackt werden kann. Deswegen füllten die Studenten das Stroh in kleine Kissen, wobei sie sich an den weit verbreiteten Luftpolsterkissen orientierten. Die etwa 20 mal 10 Zentimeter großen Kissen sind in einer Endloskette aneinandergereiht, mit einer Perforation zum Abtrennen. Bei den ersten Prototypen habe man noch mit Teefilterpapier als Umhüllung experimentiert, erklärt Moritz Lehnhardt. Doch inzwischen verwende man ein Material auf Stärkebasis, denn das Produkt soll am Ende vollständig kompostierbar sein.
Wichtig war den Studenten auch, sich von anderen kompostierbaren Materialien abzugrenzen. Man sei davon überzeugt, dass man Lebensmittel wegen der sozialen Gerechtigkeit eher als Nahrungsmittel verwenden solle. Deswegen seien Verpackungschips aus Maisstärke kein Thema gewesen. Und auch Heu könne als wertvolles Tierfutter verwendet werden und falle deswegen weg. Stroh besitze dagegen keinen nennenswerten Mehrwert für die Ernährung von Mensch und Tier.

Viel Zuspruch und ein Rückschlag

Das Seminar an der TU war als Wettbewerb aufgebaut, den Moritz Lenhardt und seine Mitstreiter mit ihrer Idee gewannen. Zur Belohnung gab es eine „Highest“-Förderung, mit der die Universität Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende und Unternehmen unterstützt, wenn es um den Transfer von Ideen und Know-how in Wirtschaft und Gesellschaft geht. Später kam auch noch eine Förderung durch das „Hessen Ideen“-Stipendium dazu. „Da haben wir gesehen, dass unser Thema Potenzial hat“, sagt Moritz Lenhardt. Aber es gab auch Rückschläge. So wurde der Antrag auf ein „Exist“-Stipendium zur Ausgründung aus der TU vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz abgelehnt. Das Team sei noch nicht genug geschärft, die Geschäftsidee zu wenig innovativ, habe es in der Begründung geheißen.
„Doch wo sich eine Tür schließt, öffnet sich oft eine andere“, sagt Moritz Lenhardt. „Ein paar Tage später haben wir die Zusage für das „Futury“-Programm erhalten, wo wir drei Monate unterstützt und vor allem mit der Industrie vernetzt wurden. Das hat uns sehr viel gebracht, auch dafür, wie wir nach außen auftreten.“ Weitere Förderungen folgten. Im Herbst 2022 erhielt Ceres den Hessischen Gründerpreis in der Kategorie „Gründung aus der Hochschule“. Das gab dem Start-up weiteren Rückenwind, der in mehreren Anfragen von möglichen Partnern spürbar wurde.
Zunächst wollte Ceres nur mit ökologischen Anbietern zusammenarbeiten. Pilotkunden sind unter anderem Firmen, die Naturkosmetik verschicken, aber auch Werkzeug, Pflanzen, Seifen und Putzmittel. Doch diesen Vorsatz habe man wegen der vielen Anfragen etwas aufgeweicht, konzentriere sich nun zunächst nur auf die Rhein-Main-Region, sagt Moritz Lenhardt. Das Interesse an nachhaltigem Verpackungsmaterial ist groß – kein Wunder bei mehr als vier Milliarden Sendungen von Kurier-, Express- und Paketdiensten in Deutschland allein im Jahr 2021.

An die Knotenpunkte der Logistik gehen

Aktuell befindet sich Ceres noch in der Pilotphase, experimentiert bei der Optik der Päckchen, ihren Formaten und den Auslieferungsformen. Die Maschine dafür, die gerade mal 1000 Stücke pro Tag produziert, steht noch bei Moritz Lenhardt im Keller. „Die ist schon zwar nicht laut, macht aber viel Dreck“, erzählt er. Inzwischen sei man daran, die Produktion auszulagern, zu automatisieren und Personal einzustellen – „damit wir nicht mehr selbst die Strohballen auf das Band legen müssen“, wie der Gründer schmunzelnd erzählt.
Perspektivisch will Ceres dezentral wachsen. „Wir wollen an die Knotenpunkte der Logistiker gehen, dort Werke aufbauen und mit Stroh aus der Region betreiben“, sagt er. „Wenn man Lkws durch die Gegend schickt, bei denen die Ladung viel Raum einnimmt, aber fast nichts wert ist, dann ist das ziemlich sinnlos.“ Der große Vorteil von Stroh sei: Es fällt überall an, wo Getreide angebaut wird. Und bis zum nächsten Getreidefeld muss man in Deutschland nicht weit fahren.
Dass nachhaltig dabei auch durchaus edel sein kann zeigen die leicht durchsichtigen Säckchen von Ceres. „Die Menschen sollen sehen, dass da auch wirklich Stroh drinnen ist. Das Ganze soll eine natürliche Anmutung haben und den Kunden auch ein besonderes Auspackerlebnis bescheren“, sagt Moritz Lehnhardt. „Hochwertige Produkte werden in etwas eingepackt und verschickt, was ebenfalls hochwertig aussieht. Damit erzählen wir die Geschichte dieser Produkte bei den Kunden stimmig bis zum Ende.“
Zukunftsmut: Ideen für mehr Nachhaltigkeit
Von der Chancengleichheit am Arbeitsplatz über ressourcenschonende, umweltfreundliche Produktion, neue Geschäftsideen, die Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen präsentieren, bis hin zu Sponsoring von Sportvereinen, Kultureinrichtungen und mehr: Unternehmerische Verantwortung hat viele Facetten. In dieser Artikelserie stellen wir Ihnen Good-Practices in Sachen ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit aus der Region Rhein-Main-Neckar und darüber hinaus vor, die beweisen, warum wir auch in Zeiten multipler Krisen mehr Optimismus wagen sollten.

Was macht verantwortungsvolle Teilhabe im Wirtschaftsleben aus?
Im Jahr 2020 haben rund 20 Unternehmerinnen und Unternehmer dazu ein neues Leitbild für verantwortungsbewusste, vertrauenswürdige Geschäftsleute erarbeitet. Dieses Leitbild stellen wir Unternehmen in deutscher und englischer Sprache kostenfrei zum Download bereit.

Sie möchten Ihr Unternehmen nachhaltiger aufstellen?
Hilfreiche Informationen rund ums Thema Corporate Responsibility haben wir Ihnen auf unserer Website zusammengestellt. Über aktuelle Infos zum Green Deal und Themen wie Energie, Umwelt oder Circular Economy halten wir Sie außerdem über unseren Newsletter auf dem Laufenden.

#VerantwortungfüreinestarkeRegion
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit