Unternehmertum ist Verantwortung

Grüne Kühlung

Bisher sind viele Kühlsysteme schädlich für die Umwelt und das Klima. Das Deep-Tech-Start-up Magnotherm aus Darmstadt hat hierfür eine Lösung entwickelt, die weder problematische Gase freisetzt noch zur Klimaerwärmung beiträgt – und die hohes Marktpotenzial verspricht.
Autoren: Aaron Baur, Matthias Voigt, 12. Juli 2022
Je weiter der Klimawandel voranschreitet, desto größer wird auch die Nachfrage nach Systemen, die Waren oder Gebäude kühlen. „Der Bedarf an Kühlung steigt und wird sich insbesondere bei Gebäudeklimatisierungen bis 2050 versechsfachen“, lautet die Einschätzung von Dr. Max Fries. Der Unternehmer hat 2019 mit drei ehemaligen Kollegen und zwei Bekannten aus seiner Promotionszeit das Start-up Magnotherm Solutions gegründet. Zusammen arbeiten sie an einer Lösung, Kühlsysteme energiesparend und klimaschonend zu machen. Schon jetzt werden Max Fries zufolge fast 20 Prozent der Elektroenergie für Kühlung aufgewendet. „Dabei entstehen acht Prozent aller Treibhausgase.“ Die Tüftler aus Darmstadt wollen dies mit einer technischen Neuerung ändern. In ihren Kühlsystemen werden magnetokalorische Materialien verbaut. Damit sind Festkörper wie Metall gemeint, die per Magnetfeld und mit Wasser als Transfermedium erhitzt werden. Die entstandene Wärme wird dann abgeführt, so dass das Material wieder die Ausgangstemperatur annimmt. Wird nun das magnetische Feld entfernt, kühlt das Material ab und befindet sich auf einem niedrigeren Temperaturniveau als zu Beginn. Somit kann das Material Wärme aufnehmen, bis wieder die Ausgangstemperatur erreicht ist.
Ganz anders läuft es bei herkömmlichen Kühlsystemen. Sie basieren fast ausschließlich auf einem Gas-Kompressions-Zyklus. Dabei werden Gase komprimiert und expandiert. Das Problem: Die Gase verflüchtigen sich und sind hochgradig umwelt- und klimaschädlich. Deshalb werden sie auch derzeit schrittweise von der Europäischen Union verboten.

Mehrere Vorteile gegenüber der Kühlung mit Gas

Die neue Methode von Magnotherm bietet mehrere Vorteile: „Die Umwelt wird nicht geschädigt, denn das Metall und alle anderen Materialien, die zum Einsatz kommen, können recycelt werden“, erklärt Max Fries. Außerdem weise der neue Prozess eine höhere Energieeffizienz auf und verursache weniger Erderwärmung als die Gaskompression. Die Kühlung benötige auch keine brennbaren, toxischen oder explosiven Substanzen wie Ammoniak, Butan oder Propan.
Geforscht wird im Bereich der Magnetokalorik schon lange. Nicht zuletzt von Dr. Oliver Gutfleisch, Professor für Funktionswerkstoffe an der TU Darmstadt. Er hat in 25 Jahren Forschung Wissen angehäuft, über das nur wenige verfügen und das er jetzt in die Arbeit von Magnotherm einfließen lässt. An dieser Aufgabe arbeiten Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und mit unterschiedlichen Hintergründen wie Materialwissenschaft, Maschinenbau und Computersimulation eng zusammen. Neben Max Fries und Oliver Gutfleisch gehören Dr. Tino Gottschall, Postdoc am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf, Dimitri Benke, Jeffrey Pickett und Timur Sirman zum engeren Zirkel von Magnotherm.
Das Start-up hat sich in kurzer Zeit personell fast verdreifacht. Insgesamt beschäftigt das aus der TU Darmstadt heraus gegründete Unternehmen momentan rund 20 Personen, denn das Konzept von Magnotherm hat bereits für Interesse gesorgt. Nach drei Jahren Gründungsphase und Entwicklung eines Geschäftskonzepts hatte sich das Team für den Businessplan-Wettbewerb „Science4Life“ beworben und gewonnen. Zusätzlich haben die Gründer einen Förderantrag für das „Exist“-Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gestellt. Insgesamt flossen 1,23 Millionen Euro aus diesem Förderprogramm in Magnotherm, die das Team in die Entwicklung eines Prototyps für magnetokalorische Kühlsysteme gesteckt hat.

Das Marktpotenzial ist riesig

Seine Komponenten für die Prototypen besorgt sich das Start-up weltweit, denn es ist nicht einfach, an die benötigten Materialien zu kommen – und für die Gründer ethisch auch nicht immer ganz unbedenklich. „Die seltenen Erden für die Magnete kommen aus China, da sind wir ehrlich“, sagt Max Fries. „Aber wir setzen auch auf recyceltes Material aus Europa.“ Hierher kommt derzeit auch der Großteil der Kunden des Unternehmens. Der Verkauf der Produkte geht auch über die EU-Grenzen hinaus. Das internationale Team arbeitet global, denn Länder wie die USA bieten ein riesiges Marktpotenzial und Magnotherm denkt bereits groß. Als Kunden haben die Darmstädter unter anderem Supermärkte gewonnen, die mit dem neuen Verfahren ihren Energieverbrauch senken wollen. „Unsere Systeme können in kurzer Zeit viel Geld einsparen, auch wenn sie teurer in der Anschaffung sind“, sagt Max Fries.
Mittelfristig will sich Magnotherm auch auf individuelle Lösungen für IT- und Elektronikkühlung sowie Klimaanlagen konzentrieren. Aktuell fokussieren sich die jungen Gründer auf Raumtemperatur-Anwendungen. „Da sehen wir auch die größten Marktchancen“, erklärt Max Fries.

Die Finanzierung ist anfangs die größte Hürde

Um diese Marktchancen nutzen zu können, benötigt Magnotherm zusätzliches Kapital. Das stellt für das junge Unternehmen momentan die größte Hürde dar, sagt Max Fries: „Unsere Finanzierung ist sehr teuer, weil wir Hardware bauen und entwickeln. Anders als ein IT-Start-up, bei dem ausschließlich Computer und Personal benötigt werden, haben wir zusätzlich hohe Kosten für Materialien und Infrastruktur.“
Aktuell schließt das Team eine vielversprechende Finanzierungsrunde bei einem Förderprogramm der EU ab, dem sogenannten EIC Accelerator. In Deutschland ist die Lage dagegen nicht annähernd so einfach wie in der Europäischen Union, sagt der Unternehmer. Er hätte sich mehr Unterstützung gewünscht: „Deutsche Investoren sind sehr konservativ, wenn es darum geht, in Geschäftsmodelle zu investieren, die nicht hundertprozentig sicher sind oder sich außerhalb von Digitalisierung bewegen.“
Zwar erhält das Unternehmen viele Anfragen außerhalb der EU. Dennoch setzt es gezielt auf europäische Investoren. „Wir sehen das als strategische Entscheidung an, weil wir letztendlich aus der europäischen Forschungsförderung kommen. Viel Geld fließt aus Europa in unser Start-up und wir denken, die Technologie sollte dann auch in Europa bleiben“, betont Max Fries.
Aus diesem Grund vertraut Magnotherm derzeit auf niederländische und skandinavische Investoren. Der Gründer hat die Erfahrung gemacht, dass diese entschlossener in Nachhaltigkeit investieren, als das etwa in Deutschland der Fall ist. Als Grund vermutet er die dort vorherrschende Denkweise, die dem Selbstverständnis des Start-ups entspricht: Die Themen Verantwortung und Nachhaltigkeit haben für das Team von Magnotherm einen hohen Wert – und das entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Das nächste Ziel von Magnotherm? „Eine fertige Anlage auf den Markt bringen und damit alte Geräte und Technologie ersetzen“, beschreibt Max Fries, „um auf lange Sicht die Energiewende voranzutreiben und grüne, CO2-freie Kühlung anzubieten, die global beachtet wird.“
Zukunftsmut: Ideen für mehr Nachhaltigkeit
Von der Chancengleichheit am Arbeitsplatz über ressourcenschonende, umweltfreundliche Produktion, neue Geschäftsideen, die Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen präsentieren, bis hin zu Sponsoring von Sportvereinen, Kultureinrichtungen und mehr: Unternehmerische Verantwortung hat viele Facetten. In dieser Artikelserie stellen wir Ihnen Good-Practices in Sachen ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit aus der Region Rhein-Main-Neckar und darüber hinaus vor, die beweisen, warum wir auch in Zeiten multipler Krisen mehr Optimismus wagen sollten.

Was macht verantwortungsvolle Teilhabe im Wirtschaftsleben aus?
Im Jahr 2020 haben rund 20 Unternehmerinnen und Unternehmer dazu ein neues Leitbild für verantwortungsbewusste, vertrauenswürdige Geschäftsleute erarbeitet. Dieses Leitbild stellen wir Unternehmen in deutscher und englischer Sprache kostenfrei zum Download bereit.

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Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit