Europäische Industriepolitik

Die deutsche und europäische Industrie steht vor einer Reihe von Herausforderungen, zu denen die Corona-Krise aktuell hinzukommt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie haben insbesondere die Verletzlichkeit von europäischen und globalen Wertschöpfungsketten aufgezeigt, die zukünftig adressiert werden sollte. Jenseits der aktuellen Krise stellt der Wettbewerb mit den USA und China und der durch neue Technologien verursachte wirtschaftliche Wandel europäische Industrieunternehmen vor große Herausforderungen.

Weltweiter Wettbewerb

Aus den USA sind es vor allem die Internetgiganten, die weltweit die Digitalisierung, insbesondere im B2C Bereich, anführen und viele Märkte dominieren. Chinesische Unternehmen wiederum schaffen mit starker staatlicher Unterstützung mehr und mehr den Weg an die Weltspitze. Beide Wirtschaftsgiganten, aber auch viele andere Länder weltweit nutzen dabei – schon vor der Corona-Krise – protektionistische Maßnahmen, um sich Vorteile im internationalen Wettbewerb zu ergattern. Hinzu kommt, dass die Europäische Union (EU) vergleichsweise ambitionierte Klimaschutzziele verfolgt – die einerseits Chancen bieten können, sich international zu differenzieren, aber andererseits die Industriestandorte in Europa in der weltweiten Konkurrenz zusätzlich unter Druck setzen. Im Wettbewerb mit den beiden anderen großen Wirtschaftsräumen USA und China müssen gemeinsame Antworten seitens der EU gefunden werden, nationale Anstrengungen der einzelnen Mitgliedstaaten stellen lediglich eine Grundvoraussetzung dar.

Europäische Industriestrategie

Vor diesem Hintergrund hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Jahr 2020 eine europäische Industriestrategie vorgelegt. In 2021 legte die EU-Kommission als Reaktion auf die Corona-Pandemie ein Update vor.
Diese aktualisierte europäische Industriestrategie wurde von der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie dem Ausschuss der Regionen mitgeteilt. Die Strategie will aufzeigen, mit welchem industriepolitischen Rahmen die EU die europäischen Industrieunternehmen für den weltweiten Wettbewerb wappnen will – wenn verbindliche globale Regeln („Level Playing Field“) in Bereichen wie der Digitalisierung, dem Klimaschutz sowie zunehmend auch der Handelspolitik Mangelware sind. Mit dem vorliegenden Papier gibt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) Hinweise zur Ausgestaltung der europäischen Industriepolitik.

Die fünf wesentlichen Herausforderungen

Abgesehen von den Auswirkungen der Corona-Krise sind fünf Herausforderungen für das Umfeld der europäischen Industrie prägend:
  1. Unternehmen aus den USA und China haben sich im Rahmen der Digitalisierung im B2C Bereich bereits einen großen Vorsprung erarbeitet. Für die europäische Industrie geht es nun darum, ihre Stärken, insbesondere im B2B-Bereich, in die digitale Welt zu überführen und an der Spitze mitzuwirken, um Wertschöpfung, Arbeitsplätze aber auch die digitale Souveränität in der EU zu erhalten. Hierzu bedarf es auf EU-Ebene abgestimmter und gebündelter Anstrengungen.
  2. Der Klimawandel macht eine weltweite und sehr weitgehende Reduktion des Ausstoßes an CO2 notwendig. Dies zieht umfangreiche und kostenintensive Anpassungen bei bisherigen Produktionsprozessen gepaart mit beträchtlichen Investitionen in die Energieinfrastruktur, insbesondere durch den Umstieg auf erneuerbare Energien und den Netzausbau, nach sich. Gleichzeitig muss die europäische Industrie gegenüber anderen Weltregionen mit geringeren Klimaschutzzielen wettbewerbsfähig bleiben und bei zukünftigen Technologien zur Reduktion des CO2 Ausstoßes Vorreiter sein können.
  3. Der demografische Wandel sowie der anhaltende Trend zur Akademisierung bringen eine Verknappung des Angebots an Fachkräften mit sich. Das Arbeitskräftepotenzial in der EU sollte insofern noch besser ausgeschöpft und in den Mitgliedstaaten eingesetzt werden – und zwar innerhalb der EU, wo Arbeitsplätze vorhanden sind und neue entstehen.
  4. Hohe bürokratische Belastungen, unterschiedliche nationale Regulierungen, unterschiedliche Um- und Durchsetzung von EU-Regulierungen und Sprachbarrieren führen in einigen Bereichen zu einem fragmentierten EU-Binnenmarkt. Im Vergleich zu anderen Weltregionen bedeutet das eine mangelnde Skalierbarkeit von Produkten und Dienstleistungen sowie verlangsamte Innovationsprozesse, die in einer globalisierten und digitalisierten Welt mit kürzeren Innovationszyklen zu einem wachsenden Wettbewerbsnachteil werden. Gleichzeitig stellen sich Fragen nach der Krisenfestigkeit und Souveränität von innereuropäischen, aber auch von global eingebundenen Wertschöpfungsketten.
  5. Das Infrage stellen der multilateralen Handelsordnung und der tendenziell zunehmende Protektionismus gefährden ein internationales Level-Playing-Field sowie den Zugang zu internationalen Märkten.
Um diese fünf Herausforderungen zu bewältigen hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Zusammenarbeit mit den Industrie- und Handelskammer in Mecklenburg-Vorpommern (IHKs in MV) Lösungsansätze formuliert und in einem Positionspapier zusammengefasst.