"Wo Krieg ist, kann Wirtschaft nicht gedeihen“

Ein Interview mit DIHK-Präsident Peter Adrian zum Krieg in der Ukraine
von Dr. Beate Bößl, IHK
Weltweit zeigen sich die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine. Als Interessenvertretung bündelt der Deutschen Industrie- und Handelskammertag e.V. (DIHK) in Berlin, Spitzenverband der bundesweit 79 IHKs, die Interessen der Mitgliedsunternehmen. Wir fragten nach bei DIHK-Präsident Peter Adrian. Der Unternehmer (Triwo AG, Trier) übernahm das Amt im März 2021.
Die Pandemie ist noch nicht vorbei, da bringt die russische Invasion die Weltwirtschaft ins Wanken. Wie erleben Sie als DIHK-Präsident die Dynamik seit dem 24. Februar 2022?
Seit Kriegsbeginn werden wir Zeugen erschreckender Entwicklungen. Viele Menschen verlieren ihr Zuhause und werden Opfer von Gewalt und Zerstörung. Ihnen gilt unser uneingeschränktes Mitgefühl. Und wir wollen helfen. Zahlreiche Unternehmerinnen und Unternehmer engagieren sich, indem sie etwa Hilfe organisieren, Menschen aus dem Krisengebiet bringen und spenden. Mit der Aktion #WirtschaftHilft informieren wir mit den anderen Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft über Spendenaktionen, klären über Hilfsangebote für Unternehmen auf und geben Tipps für die Integration von Geflüchteten – in einem späteren Schritt auch in den Arbeitsmarkt, wenn gewünscht.
Welche Rückmeldungen erfahren Sie als DIHK-Präsident?
Wo Krieg ist, kann Wirtschaft nicht gedeihen. Wir erfahren aus zahlreichen Rückmeldungen, dass viele Unternehmen mit Ukraine- und Russland-Aktivitäten große Unsicherheiten erleben und Einbußen zu verkraften haben. Frieden und gegenseitiges Vertrauen sind die Grundlage für jede wirtschaftliche Verbindung. Deswegen unterstützt die Wirtschaft in der Breite die von der westlichen Staatengemeinschaft verhängten Sanktionen – auch, wenn sie zum Teil drastische negative Folgen für betroffene Betriebe mit sich bringen. Mir als DIHK-Präsident zeigt das, wie sehr Unternehmerinnen und Unternehmer sich gerade in dieser Situation ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind und diese auch wahrnehmen.
Der DIHK vertritt die gesamte gewerbliche Wirtschaft in Deutschland, wird über die IHKs von mehreren Millionen Unternehmen getragen. Worin besteht gerade jetzt, in der zweiten Krise in Folge, der Mehrwert einer gemeinsamen, bundesweiten Interessenvertretung?
Krisen sind Bewährungsproben. Schon während der intensiven Corona-Zeit haben wir gezeigt, was eine Organisation mit hohem Vernetzungsgrad leisten kann. Gerade in solchen unübersichtlichen Lagen sind wir als regional verankerte und jenseits von Einzelinteressen engagierte Organisation ein wichtiger Gesprächspartner für Politik und Verwaltung. Die IHK-Organisation funktioniert wie ein Trichter, der über den DIHK in der Bundespolitik ankommt. Wir sammeln in der Breite, was wir zügig und gebündelt an politische Entscheidungsträger weitergeben können. Und das wirkt: Zahlreiche Entscheidungen der Politik – etwa zu den Überbrückungshilfen – waren von uns angeregt. Wir haben viele konkrete Gestaltungsideen eingebracht, so konnte vielen Unternehmen in der Krise geholfen werden.
…wie gestaltet sich das jetzt?
Auch jetzt, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, stehen wir im engen Kontakt mit Unternehmen und Politik. Die Wirtschaftsbeziehungen zur Ukraine sind weitgehend zum Erliegen gekommen. Derzeit geht es darum, die ukrainische Belegschaft der deutschen Unternehmen bestmöglich zu schützen und den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen, sofern das irgendwie geht. In Deutschland stellen sich derweil Fragen, die weit in die Zukunft der Wirtschaft hineinreichen – von der konkreten Umsetzung der Sanktionen gegen Russland bis zu den exorbitant steigenden Energiepreisen.
Zum IHK-Netzwerk gehören auch die weltweit über 90 Auslandshandelskammern (AHKn) mit über 140 Standorten. Welche Rolle fällt hier dem DIHK zu, welche besonderen Herausforderungen sind zu bewältigen?
Für die deutsche Wirtschaft sind die AHKn als Türöffner in aller Welt sehr wichtig. Denn die deutsche Wirtschaft ist weltweit so stark vernetzt wie keine andere. Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt direkt vom Export ab, in der Industrie sogar jeder zweite. Mittelständische Betriebe aus Deutschland mit grenzüberschreitenden Handelsverbindungen sind im Durchschnitt in 17 anderen Ländern aktiv. Die Lage im globalen Handel wird dabei immer schwieriger und komplexer. Nicht nur, dass wir derzeit mit einer Krise nach der anderen konfrontiert sind – es nehmen auch andere Handelshemmnisse zu, wie etwa staatlicher Protektionismus, Zölle oder immer neue gesetzliche Vorgaben. Als DIHK können wir durch die Bündelung der AHK-Erfahrungen wichtige Impulse geben, wo Politik auf europäischer und internationaler Ebene nachsteuern muss. Gerade wenn jetzt Länder und Gesellschaften auseinanderzudriften drohen, können wir über das AHK-Netz versuchen, gemeinsam mit Unternehmen Brücken zu bauen.
Der DIHK setzt sich nicht nur für einen freien Handel ein, sondern auch für weniger Bürokratie, schnelles Internet oder die Digitalisierung. Was passiert gerade mit all diesen Themen, die für so viele Unternehmen von größter Relevanz sind?
Akute Ereignisse wie Krieg oder Krisen haben zwar immer Priorität. Dennoch kümmern wir uns parallel intensiv und ohne Unterbrechung um die Themen, die unsere Unternehmen hierzulande beschäftigen. Will die deutsche Wirtschaft nicht an Wettbewerbsfähigkeit in einer sich ständig wandelnden Welt verlieren, müssen wir immer wieder neu über ihre Bedingungen verhandeln: Wie können wir den Klimawandel so gestalten, dass er mit Wohlstand einher geht? Wie wollen wir einen echten digitalen Aufbruch schaffen im Spannungsfeld von Innovation und Datenschutz? Und wie schaffen wir es, trotz Alterung und Fachkräftemangel auf einem Wachstumspfad zu bleiben?
Die Fragen stehen für einen Umbruch…
Wir erleben, um den Bundeskanzler zu zitieren, eine Zeitenwende. Das gilt nicht nur geo- und sicherheitspolitisch, das gilt auch für die Weltwirtschaft. Die globale Wirtschaft befindet sich in vielerlei Hinsicht im Umbruch. Als Deutschland und als Europäische Union wollen wir diese wirtschaftspolitischen Entwicklungen aktiv gestalten – klug, innovativ und fair. Damit das gelingen kann, brauchen wir eine weitsichtige und trotzdem flexible Wirtschaftspolitik, die es jungen und bestehenden Unternehmen erlaubt, sich zu entfalten und mit Mut und Zuversicht die Herausforderungen in dieser Zeitenwende anzunehmen. (März 2022)