"Ich plädiere für die Frauen-Quote"

(08.07.2019) Seit 2001 ist Elisabeth Schweins geschäftsführende Gesellschafterin der Wessmann Bauzentrum GmbH & Co. KG. Das 1960 gegründete Unternehmen, das seit 2015 an die BauXpert-Gruppe angeschlossen ist, bietet an den drei Standorten in Lingen, Salzbergen und Bad Bentheim Produkte für den Wohnungsbau, die Landwirtschaft, das Baugewerbe und die Industrie. Schweins bewegt sich in einer Männerdomäne, die meisten ihrer Geschäftsführungs-Kollegen im Baustoffgroßhandel sowie die Mehrheit ihrer 75 Mitarbeiter nämlich elf - sind männlich. Wir sprachen mit ihr über spezifische Führungsqualitäten von Frauen, gläserne Decken und darüber, wofür sie sich als Mitglied der neuen IHK-Vollversammlung einsetzen möchte.  

von Frank Hesse, IHK
Frau Schweins, Frauen führen anders als Männer, heißt es oft. Wenn Sie auf Ihren Betrieb schauen: ist da was dran?
Jede Führungskraft muss sich beweisen, ob männlich oder weiblich. Aber ich glaube schon, dass bei Frauen etwas genauer hingeschaut wird. Führung heißt ja, dass meine Gedanken in den Kopf meines Gegenübers müssen. Und da ist Führung eine sehr kreative Aufgabe und nie leicht. Wenn wir dann gemeinsam gute Lösungen für die anstehenden Aufgaben finden, alle wissen, wo es hingehen soll und an einem Strang ziehen, dann macht Führung Spaß. Wenn zwei Mitarbeiter miteinander überlegen, was sie tun müssen, damit ein Fehler nicht noch einmal passiert, ist Führung gelungen. Dann muss ich nicht mehr eingreifen.
Als Frau wurde ich zu Beginn meiner Berufstätigkeit schon unterschätzt. Anfangs wurde ich z. B. oft für die Sekretärin meines Vaters gehalten, was bei einigen Männern leider dazu führte, dass sie meinten, mich nicht grüßen zu müssen. Die standen dann stramm, wenn mein Vater sagte: „Darf ich vorstellen: Meine Tochter.“ Das war schon sehr lustig.
Frauen führen nach meiner Erfahrung oft deutlich sachorientierter und näher am Menschen, da sie mehr an Untertönen aufnehmen. Wenn man im Vorbeigehen bemerkt, dass es einem Mitarbeiter nicht gut geht, ist das manchmal sehr gut, aber manchmal auch sehr anstrengend. Ich habe meine Mitarbeiter(innen) immer als Menschen gesehen und auch so geführt. Aber das war bei meinem Vater (als männliche Führungskraft) nicht anders.

Sie haben das Unternehmen 2001 nach dem Tod Ihres Vaters übernommen. Gab es Momente in den gut 18 Jahren, in denen Sie es schwierig fanden, sich in einer Männerdomäne zu behaupten?
Zum damaligen Zeitpunkt war die Situation in der Baubranche angespannt. Und die große Frage war, ob unsere Geschäftspartner mir die Nachfolge zutrauen. Ich glaube, kein Mann wurde von seinem Bankberater schon einmal nach seinen Arbeitszeiten gefragt. Mir ist das passiert. Inzwischen stellt mir diese Frage keiner mehr. Auch beim Gehalt haben alle Juniorinnen, die ich kenne, ihre Ansprüche durchsetzen müssen. Alle haben von ihrem Vater gehört: „Du verdienst doch ganz gut – für eine Frau.“ Das waren dann bei einigen lange – aber letztlich für die Frauen erfolgreiche – Verhandlungen. 
Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass ich einige Dinge eher gewusst hätte. Z. B. ist die männliche Kommunikation oft deutlich anders als die weibliche. Frauen kommunizieren meist deutlich subtiler – was viele Männer nicht mitkriegen und sich dann irgendwann wundern, warum ein Konflikt unter Frauen eskaliert. Männliche Kommunikation ist da direkter, zumindest in der Baubranche. Auch die häufig zurückhaltende Art von Frauen in großer Runde kann den Effekt haben, dass die Frau dann von den Männern nicht ernst genommen wird.
 Für einige Männer sind Statussymbole wichtig (z. B. der Firmenparkplatz oder das Auto). Wenn „frau“ ihren Firmen-Parkplatz nicht verteidigt, wird das als Führungsschwäche ausgelegt.
Als Frau hat man jedoch auch Vorteile: Ich erfahre als Frau in einem Gespräch deutlich mehr von meinem Gegenüber als viele Männer dies tun.  
Jede Führungskraft – egal ob männlich, weiblich oder divers – hat etwas, das sie erfolgreich macht. Welche Erfolgsfaktoren waren oder sind für Sie wichtig?
Ich wollte mich immer um die Menschen kümmern und habe mich nie als Einzelkämpfer verstanden. Ich brauche das Team. Gemeinsam finden wir bessere Lösungen, gemeinsam wissen wir viel mehr. Wir müssen nur die Begabung, die jeder Mensch hat, aus ihm herauskitzeln. So können wir  Mitarbeiter(innen) beim Wachsen helfen. Ich möchte bei aller Arbeit menschlich bleiben. Als Führungskraft kann ich beeinflussen, wie wir miteinander umgehen. Auf dieser Basis kann man erfolgreich arbeiten – und dabei sogar Spaß haben.
Auch in Ihrem Betrieb überwiegt der männliche Anteil. Hätten Sie gern mehr Mitarbeiterinnen? Und wie gehen Sie gezielt auf Mitarbeiterinnensuche?
Ich hätte gerade im Verkauf sehr gerne mehr Mitarbeiterinnen. Leider entscheiden sich junge Frauen aber immer noch eher für den Ausbildungsberuf der Bürokauffrau. Wir versuchen in jedem Vorstellungsgespräch junge Frauen für den Beruf der Groß- und Außenhandelskauffrau zu gewinnen, auch mit dem Hinweis auf spätere bessere Verdienstmöglichkeiten. Leider gelingt das nur sehr selten. Frauen haben da oft Angst vor dem – so glauben sie – recht technisch anmutendem Beruf. Gezielt auf Mitarbeiterinnensuche zu gehen, ist uns nicht möglich, da dies ja schon allein vom Gesetzgeber her nicht erlaubt ist. 
Eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird immer wichtiger – für Frauen ebenso wie für Männer. Wie unterstützen Sie in Ihrem Betrieb Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei?
Zuerst einmal ist wichtig, dass es verlässliche Arbeitszeiten gibt. Bei meinem Vater fanden Besprechungen grundsätzlich nach Feierabend statt, oft auch spontan. Das habe ich abgeschafft. Besprechungen finden jetzt größtenteils innerhalb der regulären Arbeitszeit statt. Und die Erfahrung zeigt, dass es auch ohne abendliche Besprechungen geht. Außerdem werden Besprechungen, die kein Ergebnis haben, bei uns gestrichen.
Wichtig ist auch, den Feierabend zu respektieren. Abends gibt es von mir keine WhatsApp-Nachrichten, dringende E-Mails oder Anrufe. Meine Mitarbeiter müssen auch für Kunden nicht rund um die Uhr erreichbar sein. Und meine Mitarbeiter wissen ganz genau, dass ich dies auch Kunden gegenüber vertrete.
Wir haben immer ein offenes Ohr für die familiären und persönlichen Probleme unserer Mitarbeiter. Wir suchen und finden auch Lösungen. Als bei einem Mitarbeiter die Ehefrau an Krebs erkrankt war, haben die Kollegen es ihm ermöglicht - unterstützt durch die Geschäftsführung -, immer dann bei ihr zu sein, wenn es nötig war. Ich habe auch schon auf Wunsch von Mitarbeiter(innen) Informationen beim Hospiz, Psychologen, Physiotherapeuten, Arzt, Kardiologen oder auch Anwalt eingeholt und Termine gemacht. Manchmal bin ich eher Psychologin als Chefin.
Als mein Mann an Krebs erkrankt war, haben meine Leute mir viel wiedergegeben. Sie haben versucht, viele Probleme von mir fernzuhalten. Von einem Containerbrand habe ich damals aus der Zeitung erfahren. Mir war nichts gesagt worden, schließlich war ja alles gut ausgegangen. Dafür war und bin ich sehr dankbar! Dieses Miteinander im Team trägt uns alle. Für meine Mitarbeiter(innen) ist es aber im Gegenzug auch selbstverständlich, dass sie auch zu ungewöhnlichen Zeiten da sind, wenn es wirklich nötig ist, im Extremfall beim nächtlichen Herausgeben von Ware an das THW nach der Bombenentschärfung in Lingen. 
Schauen wir einmal auf die Region: Unsere IHK-Studie belegt, dass der Anteil von Frauen in Führung zuletzt auf 22,8 % gesunken und immer noch ziemlich gering ist. Wie ist ihre Wahrnehmung, gibt es für Frauen die vielzitierte „gläserne Decke“?
Obwohl ich die Erfahrung mache, dass zunehmend mehr Männer auf Augenhöhe mit Frauen agieren, plädiere ich inzwischen leider für eine Frauen-Quote. Das habe ich bisher immer abgelehnt. Aber ohne Quote ändert sich nichts. Wenn eine junge Frau hören muss, dass sie in einem Unternehmen nur so weit kommt, wie die Männer das „erlauben“, dann ist das ein Skandal. Wenn Gremien gezwungen sind, mehr Frauen einzusetzen, muss jedoch auch hinterfragt werden, warum Frauen das oft nicht wollen. Frauen dürfen nicht auf den Personalvorstand reduziert werden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen z. B. in Finanzen hervorragend aufgestellt sind. Und jetzt mal ehrlich: Wer hat in Gesellschafterversammlungen die Bilanzen vorher gelesen? Mehr Frauen oder mehr Männer? Gemischte Teams funktionieren einfach besser. Und dieser Entwicklung muss man leider mit der Quote etwas auf die Sprünge helfen. 
Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit in unserer Region schneller mehr Frauen in Führung gelangen?
Leider haben junge Frauen relativ wenige Vorbilder. Das ist schade. Ich glaube, dass Frauen gezielt ermutigt werden müssen, sich Führungspositionen zuzutrauen. Führung ist anstrengend, aber auch erfüllend. Man kann es nicht allen Recht machen, damit muss man umgehen können. Viele Frauen haben Angst vor dem Echo, das sie mit einer Entscheidung auslösen. Auch mal anecken, nicht immer lieb sein, wird Frauen nicht beigebracht. Jungs sollen sich durchsetzen, aber Mädchen lieber nicht. Vielen Frauen wird ja ganz subtil vermittelt, wie sie zu sein haben, damit sie gemocht werden. Und plötzlich sollen sie sagen, wo es langgeht. Das kann ja nicht funktionieren. Wenn junge Männer eine Stellenanzeige lesen, bewerben sie sich, obwohl sie von den sechs Anforderungen aktuell nur zwei erfüllen. Junge Frauen bewerben sich auf dieselbe Anzeige erst, wenn sie mindestens vier Anforderungen erfüllen. Da muss man junge Frauen schon ermutigen. 
Ein ganz wesentlicher Faktor für mehr Frauen in Führung ist der Teilzeit-Gedanke – und zwar für Männer und Frauen. Wer definiert eigentlich, dass Führung 40, 50 oder 60 Stunden dauern muss? Warum ist Teilzeit-Führung nicht möglich? In den Familien wird es oft nicht funktionieren, wenn beide Elternteile Vollzeit arbeiten. Ich glaube, dass zukünftig auch Männer zunehmend über Teilzeit sprechen wollen – wenn ihnen signalisiert wird, dass sie das auch dürfen. Denn auch Männer möchten ihre Frauen und Kinder mal sehen und das nicht erst, wenn sie schlafen. Ich bin froh, dass über die Elternzeit, die auch zunehmend Männer nehmen, das „Kinder-Risiko“ auch bei den Männern angekommen ist.  Und es wäre schade, wenn Männer und Frauen auf Kinder zugunsten des Berufes verzichten, denn Kinder sind etwas Wunderbares.
Können aus Ihrer Erfahrungen Netzwerke und Networking Frauen helfen, um Führungspositionen zu erreichen oder sich dort zu behaupten?
Frauen vernetzen sich anders. Zum einen haben sie neben dem Berufs- und Familienalltag oft gar nicht die Zeit sich zu vernetzen. Da nehmen sich Männer – auch in der Familienphase – deutlich mehr Zeit.
Außerdem nutzt es m. E. oft nichts, wenn die Frauen sich untereinander vernetzen und somit „im eigenen Saft“ schmoren. Es sollten keine Parallel-Netzwerke entstehen, sondern Netzwerke mit Männern und Frauen. Frauen sollten viel mehr in die Männer-Netzwerke einbrechen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Männergruppen zuerst sehr irritiert sind, wenn Frauen dort auftauchen und auch noch Interesse an den gleichen Themen haben. Das sind viele Männer nicht gewohnt. Dann gibt es manchmal Rangordnungs-Gerangel unter den Männern (z. T. sehr lustig anzusehen als Zuschauer). Aber wenn sie sich erst einmal wieder beruhigt haben, kann man sehr konstruktiv zusammenarbeiten. Ich mag die Zusammenarbeit mit Männern sehr, weil man sehr direkt zum Thema kommen kann. Männer halten Meinungsverschiedenheiten gut aus und gehen dann – manchmal nach einem „Beruhigungstag“ – wieder zur Tagesordnung über. Leider gibt es immer noch Männerrunden, in denen Frauen unerwünscht sind. Beispielsweise diskutieren die Rotarier dieses Thema in einigen Städten leider immer noch – eigentlich peinlich.
Weitere Infos: www.wessmann.com