KI hilft Schwimmmeister

Eine Software namens Lynxight sorgt im Aquahaus Ahaus für zusätzliche Sicherheit im Wasser. | Text: Mareike Scharmacher-Wellmann
30 Sekunden – so lange dauert es, bis die Smartwatch an Franz-Josef Bülters Handgelenk brummt und rot leuchtet. Ein Blick auf das Display und er weiß, wo der vermeintlich Ertrinkende im Wasser ist. „Das gibt uns genug Zeit, um zum Becken zu gehen, die Situation zu erfassen, den Schwimmer aus dem Wasser zu ziehen und zu reanimieren“, erklärt der Betriebsleiter der Ahauser Bäder. Denn bei der Wasserrettung kommt es auf jede Sekunde an: „Menschen können bis zu drei Minuten unter Wasser bewusstlos sein und trotzdem ohne bleibende Schäden wiederbelebt werden“, erklärt er.

Schneller Alarm bei Gefahr

Zum Glück sei es soweit noch nicht gekommen. Wenn es nach dem israelischen Start-up Lynxight geht, das eine visuelle KI entwickelt hat, wird es das auch nicht. Denn das System erkennt Momente, die auch erst etwas später brenzlig werden könnten. So springt im Aquahaus ein Voralarm an, wenn sich beispielsweise im Nichtschwimmerbecken eine Gruppe Kinder an einem Punkt aufhält oder jemand im Wasser herumalbert und ungewöhnlich stark mit den Armen und Beinen zappelt. „Das kann schon mal passieren, wenn Schwimmunterricht ist und der Lehrer die Kinder in eine Ecke holt, um Tauchübungen zu machen“, relativiert Bülter.
Ist es ein Fehlalarm, kann Bülter die KI lernen lassen: Über die Smartwatch tippt er entweder auf das Daumen-hoch- oder Daumen-runter-Symbol. „So lernt die KI, die Situationen genauer zu deuten und die Alarme genauer auszuspielen“, erklärt er. Sollte das Personal öfter auf den Daumen-runter-Knopf drücken, obwohl es eine Situation war, auf die Lynxight reagieren sollte, besteht dennoch keine Gefahr, dass echte Ertrinkungsfälle unerkannt bleiben. „Laut Lynxight müsste dies schon in mehreren Bädern gleichzeitig und über längere Zeiträume hinweg geschehen, um das System wirklich negativ zu beeinflussen“, so Bülter.

Erstes Kombibad in NRW

Franz-Josef Bülter ist Betriebsleiter der Ahauser Bäder
Franz-Josef Bülter ist Betriebsleiter der Ahauser Bäder und ist vom Nutzen der KI überzeugt. © Grundmann/IHK Nord Westfalen
Das Aquahaus Ahaus ist nach eigenen Angaben NRW-weit das erste Bad mit Frei- und Hallenbad, das die Lynxight-KI nutzt. „2023 sind wir mit dem Schwimmerbecken in der Halle angefangen. Da wurden vier Kameras installiert“, erklärt Bülter. Mittlerweile sind alle Becken am Netz. Insgesamt 20 Kameras erfassen die Silhouetten der Menschen, die das Becken betreten, und begleiten sie, bis sie wieder aus dem Wasser steigen. „Im Sommer kommen rund 1500 Tagesgäste. An besonders schönen Tagen können es aber auch bis zu 4000 Gäste sein“, weiß Bülter, der schon seit rund 25 Jahren das Aquahaus Ahaus leitet. Viel zu tun für die KI also.

Idee mit Vergangenheit

Die Idee, badende Menschen durch Technik zusätzliche Sicherheit zu geben, ist nicht neu. Schon 2012 hatte das Aquahaus ein Ertrinkendenerkennungssystem im Einsatz. „Das hat aber nicht funktioniert“, so Bülter. Diese Erfahrung habe ihm erstmal gereicht. Im Jahr 2022 wurde Bülter dann auf der Interbad, der Leitmesse für Bäder, auf die Lynxight-KI aufmerksam. „Meines Erachtens schlägt das System das der anderen Anbieter um Längen“, ist er überzeugt. Darum habe er sich bei der Geschäftsleitung des Aquahauses Ahaus und der Stadt Ahaus dafür eingesetzt, dass die neue KI einzieht. „Der Vorteil war, dass wir in Ahaus Digitalisierungs-Themen immer aufgeschlossen gegenüberstanden“, erklärt er.
Schließlich konnte ein Service-Vertrag mit Lynxight abgeschlossen werden. Das 2019 gegründete Start-up aus Yokne’am Illit liefert die Kameras, die Smartwatches sowie die Verbindungsglieder zwischen den Kameras und dem Server. „Der Support-Preis liegt bei rund 11.000 Euro im Jahr“, sagt Bülter.

Technisches Geschick ist gefragt

Um die Installation im Schwimmbad hat sich das Team um Bülter selbst gekümmert. „Wir mussten im Hallenbad ein paar Leitungen ziehen, aber das war relativ problemlos“, resümiert er. Die Kameras für die KI konnten einfach neben die Überwachungskameras gesetzt werden, die das Bad ohnehin aus versicherungstechnischen Gründen seit Jahren betreibt.
„Fürs Freibad sah das schon anders aus“, macht Bülter klar. „Die Masten für die Kameras mussten wir selbst kaufen, aufstellen und auch die Leitungen selbst verlegen.“ Acht Meter sind die Kameramasten hoch. „Ohne Kranwagen ging da gar nichts“, sagt der Betriebsleiter.
Nachdem das System installiert war und die Kameras richtig saßen, ging Bülters Team mit der KI ins Training. „Wir mussten im Wellenbecken Schwimmleinen ziehen und Schwimmbretter reinwerfen, damit die Software die Wassertiefe und -oberfläche analysieren kann“, sagt er. Von der hauseigenen Tauchsportgruppe habe er sich „ein paar Leute extra“ ausgeliehen. „Die sind dann öfter nacheinander ohne Sauerstoffflasche für 30 Sekunden unter Wasser gegangen.“ Die KI musste schließlich lernen, wie das aussieht, wenn jemand im Aquahaus Ahaus ertrinkt – auch wenn das nur simuliert war.

Alles rechtens

„Der Datenschutzbeauftragte hat mit der KI kein Problem“, macht Bülter klar. Außerdem speichere Lynxight keine Bilder. „Im Ernstfall bekomme ich das jeweilige Becken schematisch angezeigt und sehe durch einen roten Punkt, wo der Verunfallte ist“, erklärt er. Das ist auch der einzige Moment, in dem sich die Schwimmmeister echte Live-Aufnahmen ansehen können. „Die bleiben für genau fünf Sekunden und sind dann weg“, so Bülter.
Er ist überzeugt:
Für mich ist das ein System für die Bäder der Zukunft.

Franz-Josef Bülter

Das System verbessere nicht nur die Sicherheit, sondern helfe, Personalengpässe abzufedern – ein wachsendes Problem in der Branche. Denn im Aquahaus Ahaus gibt es einen festen Stamm an Schwimmmeistern. „Wenn überdurchschnittlich viele Gäste ins Bad kommen, brauche ich aber zusätzliche Mitarbeiter, um alle Bereiche gut beaufsichtigen zu können“, so Bülter. Doch das Personal ist rar. „Und wenn ich das dann mit technischen Mitteln lösen kann, ist es doch nur gut.“
Das sieht die deutsche Gesellschaft fürs Badewesen genauso und hat im Frühjahr 2023 eine Richtlinie veröffentlicht. Schwimmbäder dürfen jetzt Erinkendenerkennungssysteme wie das von Lynxight nutzen, um das fehlende Personal zu kompensieren. „Hier wird keiner wegrationalisiert. Das ist absoluter Quatsch“, so Bülter.