Das steckt dahinter | 07.03.2024

Freiheit für die Normen

Für Unternehmen ist es oft schwer genug, einen Überblick über alle gesetzlichen Regelungen zu behalten, die notwendig sind, um ein Produkt auf dem europäischen Markt platzieren zu dürfen. Während große Unternehmen oft Spezialisten für die verschiedenen Regelungen beschäftigen, lohnt sich dies für kleinere Unternehmen und Start-Ups in der Regel nicht. Auch die bekannten großen technischen Dienstleister sind hier oft zu teuer. Es bleibt also eines der Themen, die von irgendeinem Mitarbeiter mitgemacht werden müssen. Von Kai Plambeck
Wer seinen Weg durch den Dschungel von frei zugänglichen Richtlinien, Verordnungen und Gesetzen gefunden hat, stand bisher vor einer Paywall. Denn die Normen konnten in Deutschland nur kostenpflichtig über den Beuthverlag bezogen werden oder man versuchte den Weg über die Einsicht in einer Auslegestelle, was für viele zu aufwendig ist und in Zeiten digitaler Medien nicht mehr zeitgemäß erscheint.

Es kommt darauf an

Während die Richtlinien, Verordnungen und Gesetze oft nur allgemeine Hinweise enthalten wie: „Ein Schutz nach Stand der Technik ist einzuhalten“, was einem so viel weiterhilft wie die Aussage bei einem Juristen „es kommt darauf an“, beschreiben die Normen genau, wie dieser Schutz aussehen kann. Wer die entsprechenden Normen einhält, ist also auf der sicheren Seite. Je nach Produkt kommen hier einige Normen zusammen und dazu noch regelmäßig Neuerungen, insgesamt durchaus ein Kostenpunkt, da mitunter auch verschiedene Abteilungen Einsicht benötigen. Für unerfahrene Unternehmen auf diesem Gebiet kann das Thema Normen neben der Paywall schnell zu einer großen Hürde werden. Bei erfahrenen Unternehmen liegt oft ein großer Teil des Know-hows in der Interpretation der Normen oder in einem alternativen Weg, z.B. „den Schutz nach Stand der Technik“ nachzuweisen, um so günstigere Produkte oder innovative Technik auf den Markt zu bringen.

Sicherheit geht vor

Dabei sind Normen per se nicht als Hürde für junge Start-Ups gedacht, sondern sie dienen der Transparenz, Kompatibilität, Sicherheit, Qualität und einem einheitlichen Wirtschaftsraum. Dies kommt sowohl Verbrauchern als auch Unternehmen zugute. Vor der europäischen Normung mussten für jedes Land in der EU mitunter eigene Kriterien erfüllt werden, also ist sie ein großer Schritt zur Vereinfachung. Gleichzeitig setzen die Normen einen Stand der Technik und damit eine Hürde, die es „billigen Anbietern“ mit älterer Technik und unsicheren Produkten schwerer macht, auf den europäischen Markt zu kommen. Nicht zuletzt kann sich jedes Unternehmen bei der Entstehung von Normen einbringen.

Ein lachendes und ein weinendes Auge

Eine Offenlegung der Normen bzw. die freie Verfügung, wie dies bei den europäischen und deutschen Gesetzestexten bereits passiert, senkt die Hürde und Last für viele Unternehmen, die sich auch trotz Offenlegung immer noch einen Weg durch den Dschungel bahnen müssen. Das wirkt prinzipiell zeitgemäß, transparent und gut.
Was allerdings nicht berücksichtigt wird, auch wenn die Normen kostenlos zur Verfügung stehen sollen, ist die Erstellung und Pflege der Normen nicht kostenlos. Und wie sich dies künftig finanziert, ergibt sich nicht aus dem aktuellen Urteil (EuGH Rechtssache C-588/21 P), nach dem harmonisierte Normen Teil des EU-Rechts sind und deshalb nach dem Rechtsstaatsprinzip frei und kostenlos zugänglich sein müssen.
Hier finden Sie Weitere Informationen zur Entscheidung des EuGH: 
EUR-Lex - 62021CJ0588 - EN - EUR-Lex (europa.eu)
Kai Plambeck
Referent Regionalpräsenz & Organisationsentwicklung