Doch eines Tages im Juni 2021 blieb der Stand leer. Anton Bratschko hatte sich den Arm gebrochen. „Zu der Zeit hatten wir eh schon ans Aufhören gedacht“, sagt Rosi Bratschko, die ihren Mann gerne als „Tofu-Visionär“ bezeichnet. Lisa Hug hatte „die Nachricht in der Instagram-Story des Ravensburger Unverpackt-Ladens gelesen“. Und so saß sie mit ihrem Freund Rico Gärtner auf der Couch und schrieb eine Mail. „Ich war unzufrieden in meinem Job und offen für Neues“, sagt sie. Vom Produkt sei sie ohnehin schon überzeugt gewesen: „Das war ein Nobrainer.“ Es folgten zwei Wochen Probearbeiten, anschließend intensive Gespräche. „Wir hatten rund 15 Anfragen“, erinnert sich Anton Bratschko, „doch mit Lisa und Rico hat es gleich gepasst.“ Rosi Bratschko, nebenberuflich Astrologin, konnte dies anhand von Lisa Hugs Geburtsdaten bestätigen. „Als klar war, dass wir es uns alle vorstellen konnten, ging der Prozess los“, sagt Lisa Hug. Business-Plan schreiben, Markt analysieren: „Wie viel Umsatz brauchen wir, um davon leben zu können?“ Es folgten Gespräche mit Anwalt und Steuerberater, ein sogenannter Letter of Intent, der Kaufvertrag. Lisa Hug kündigte ihren Job in Hamburg, Rico Gärtner ist nach wie vor Manager bei Vetter Pharma in Ravensburg. Im Februar 2022 gründeten die beiden die Soma Manufaktur GmbH. Mit einem „ziemlich überzeugenden Business-Plan“ hätten sie einen Kredit der Sparkasse bekommen, so Hug
Wir sind sehr stolz auf die beiden, wie engagiert und konsequent sie das anpacken
- Rosi Bratschko
Doch wie ermittelt man eigentlich den Wert einer Tofurei? „Wir sind beide Betriebswirte und haben das Ertragswertverfahren als Basis genommen“, sagt Gärtner. Die Bratschkos hatten sich externe Hilfe geholt. Dann habe man sich „Schritt für Schritt angenähert“. Ihren Business- Plan allerdings konnten Hug und Gärtner gleich wieder schreddern. Der Boom der Corona- Zeit – „bis zu 200 Kilo Tofu pro Woche“ – war vorbei, der Ukraine-Krieg ließ die Preise für Sonnenblumenöl und andere Zutaten explodieren. „Das war herausfordernd“, sagt Hug.
Drei Jahre später ist SomaTofu auf einem guten Weg. Nachdem die ersten beiden Jahre weiter bei Bratschkos in Friedrichshafen produziert wurde – „wir konnten das ganze Wissen aufsaugen, dafür sind wir sehr dankbar“, so Hug –, ist man 2024 in eine leerstehende Molkerei in Berg bei Ravensburg gezogen. Drei Festangestellte und mehrere Minijobber arbeiten hier. „Ein Meilenstein waren kürzlich 500 Kilo an einem Tag“, freut sich Gärtner. Man hat eine „Lohnproduktion“ aufgebaut, beliefert per Pfandsystem Unverpacktläden in ganz Deutschland und ist mit Restaurants im Gespräch. Als neue Produkte sind Seidentofu, Sojamilch und „vielleicht auch Sojasauce“ geplant. Dazu Rosi Bratschko: „Wir sind sehr stolz auf die beiden, wie engagiert und konsequent sie das anpacken.“ Nach wie vor holen sich die Alteigentümer ihren Tofu in Berg ab: „Eine schöne Gelegenheit zu schauen, wie sich unser Baby entwickelt.“
Den richtigen Nachfolger im dritten Anlauf gefunden
Etwas länger lief die Nachfolgersuche bei Joachim Lang, Gründer der Technologieberatung cigus GmbH in Ulm. Eigentlich hatte der heute 65-Jährige bereits vor zehn Jahren damit begonnen: „Das ist nichts, was man von heute auf morgen realisieren kann.“ Doch beim ersten Kandidaten habe es „fachlich und menschlich nicht geklappt“, der zweite habe einen Rückzieher gemacht.
Nun also der dritte Versuch. „Der funktioniert vermutlich deshalb so gut, weil ich die Fehler vorher gemacht hatte“, so Langs Erkenntnis. Er ist froh, so früh dran gewesen zu sein: „Wenn man zwei oder drei Jahre in eine solche Planung investiert und es dann nicht funktioniert, ist das verlorene Zeit.“ Wer zu spät mit der Suche anfange, „könnte gegen die Wand laufen“. Heute sitzt Lang mit Jens Feuerlein, seit Januar 2025 Alleingeschäftsführer, entspannt beim Interview. Der 42-jährige Maschinenbauingenieur ist vor drei Jahren zu cigus gekommen. Bei seinem vorigen Arbeitgeber war er als Leiter der Business Unit für 180 Mitarbeiter verantwortlich. Dass er bei cigus erst einmal nur Projektleiter war, nahm er in Kauf, denn die Stimmung im Unternehmen war deutlich besser, wie Feuerlein berichtet. Wichtiger als ein Titel ist für ihn „ein Chef, der deine Werte teilt“. Und Lang hat offenbar schnell erkannt, dass der Neue Potenzial hat. Zuvor hatte er mehrere Mitarbeiter durch die „Nachfolgebrille“ beobachtet: „Ich hatte zwei Varianten, entweder außen suchen oder in der eigenen Mannschaft.“ Auch für Lang ist klar: „Am Ende ist das Persönliche der entscheidende Faktor.“ Denn Persönlichkeit sei schwer veränderbar, das Fachliche könne man lernen. Oder anders ausgedrückt: „Mitarbeiter werden oft wegen der Fachlichkeit eingestellt und wegen der Persönlichkeit gefeuert.“
Dennoch war der Anfang auch für die beiden nicht leicht. Als Lang vor Weihnachten seinen Schreibtisch räumte, sei in ihm zunächst „eine große Leere“ entstanden. „Der Machtentzug, das war das Schlimmste“, sagt er rückblickend. „Ich kriege mit, was läuft, habe aber nichts mehr zu sagen.“ Und Feuerlein, der über fast zwei Jahre bei Mitarbeitern und Kunden als neuer Chef eingeführt wurde, hatte plötzlich niemanden mehr über sich. „Das war für mich neu und die größte Herausforderung“, sagt er. Ein Jahr zuvor hatten beide bereits einen Coach engagiert, mit dem sie Strategien für die Überleitung erarbeitet haben. „Ohne den hätten wir es vermutlich nicht so gut hingekriegt“, gesteht Lang. Mit ihm haben sie sich auch danach getroffen, als der Ex-Chef offenbar nicht ganz loslassen konnte und sich Feuerlein dadurch manchmal übergangen fühlte. Heute sehen beide die Übergabe als vollen Erfolg.
Ohne Coach hätten wir es vermutlich nicht so gut hingekriegt
-Joachim Lang
Und was ist ihr Rezept, dass es nun doch so gut klappt? „Wir gehen einmal die Woche zusammen essen“, sagt Lang, „ohne Agenda“. Manchmal gebe es „überhaupt kein Problem zu besprechen“, da sei es „einfach nur entspannt“. So wachse man auch menschlich zusammen und „es fällt leichter, sich auch dann zusammenzusetzen,
wenn es mal schwierig ist“, so Lang un blickt noch einmal zurück: „Vor zehn Jahren habe ich jemanden gesucht, der so ist wie ich.“ Doch das sei falsch gewesen. „Ich muss akzeptieren, dass mein Nachfolger das Unternehmen anders führt, es aber trotzdem erfolgreich ist.“ Das ist auch für Feuerlein wichtig: „Ich schätze es, von seiner reichen Erfahrung zu profitieren und gleichzeitig sein volles Vertrauen zu genießen.“ Noch ist Lang Alleineigentümer von cigus, kann sich aber durchaus vorstellen, seinen Nachfolger zu beteiligen. „Das muss die Zeit zeigen“, sagt er, „das Angebot steht jedenfalls.“
Kein Problem mit der Nachfolgersuche hatten indes Beate Brendel und Monika Dölle. Die beiden Unternehmerinnen haben ihre traditionsreichen Geschäfte jeweils an die eigene Tochter weitergegeben. Im ersten Fall die Bettenund Textilmanufaktur Fricker in Blaustein, die seit 2020 von Tochter Miriam Pracki geführt wird, im zweiten die 1938 gegründete Buchhandlung Rieck in Aulendorf, deren Geschicke seit Juli 2025 Tochter Stefanie Dölle bestimmt.
Vom Familienerbe zur eigenen Handschrift
Bei Miriam Pracki war es „eigentlich auch schon immer irgendwie klar“, dass sie einmal ins Familienunternehmen einsteigen wird, wie die heute 42-Jährige rückblickend sagt. Ihre Großeltern hatten das Geschäft 1950 gegründet, mit Aussteuer- und Bettwaren. Ihr Opa wurde kurz danach krank. Er starb, als Prackis Mutter
16 war. Die habe keine Wahl gehabt: „Sie musste nach der 10. Klasse das Gymnasium mit einem Realschulabschluss verlassen, um nach dem Besuch der Handelsschule eine Ausbildung zu machen und ins Geschäft einzusteigen.“ Miriam Pracki dagegen hatte die Wahl. Sie hätte sich auch vorstellen können, Sportwissenschaft zu studieren: „Sport ist meine absolute Leidenschaft.“ Stattdessen wurde es Innenarchitektur, ihre Alternative. „Ich bin total zufrieden“, stellt sie schnell klar. Doch wie das eben in Familienunternehmen so sei, es gebe „unausgesprochene Erwartungen“. Ihr Bruder hatte zuvor bereits das Dachdeckergeschäft des Vaters in Ulm übernommen. „Ich komme eben aus einer Unternehmerfamilie.“
Wobei Miriam Pracki niemand ist, der sich fügt. „Meine Oma, meine Mama und ich, wir sind alle starke Frauen“, sagt sie selbstbewusst. Und so hat sie nach der Übernahme dann auch ihre eigenen Vorstellungen gegen die Bedenken der Mutter durchsetzen müssen. Als sie etwa das Logo ändern wollte, vom „Sparkassen-Rot“ auf Dunkelblau-Weiß-Rosé, sei ihre Mutter „aus allen Wolken gefallen“. Doch sie habe es begründen können: „Das bin nicht ich. Und wenn die Firma über mich wahrgenommen werden soll, müssen wir es ändern.“ Gleiches mit den Öffnungszeiten, die sie radikal reduzierte. Nachmittags müssen Kunden nun Termine machen. „Niemals“ hätte sie dies allerdings „einfach so“ gegen die Bedenken der Mutter gemacht. Vorherige Kundenbefragungen gaben ihr Sicherheit. Rückblickend sage auch ihre Mutter, „dass es die beste Entscheidung war“. Doch wie löst man Konfliktthemen, grenzt sich ab, ohne dass der Familienfrieden leidet?
„Wir sind alle lernwillig“, sagt Pracki, „und lassen nichts unausgesprochen.“ Das sei zwar „manchmal etwas hart“, aber es löse Probleme sofort, ohne dass „jemand tagelang beleidigt ist“: Deshalb „brauchen wir auch keinen Coach“. Letztlich habe man ja das gemeinsame Ziel, „dem Leben Inhalt zu geben, unseren Lebensunterhalt zu verdienen und morgens gern zur Arbeit zu gehen“.
Miriam Pracki ist seit 2012 im Geschäft, 2020 übernahm sie die Mehrheit der GmbH, seit Anfang 2024 hält sie 100 Prozent. Dieses Jahr feiert Fricker 75-jähriges Jubiläum. Natürlich wäre es schön, auch noch das Hundertste zu feiern. „Falls meine Kinder einmal Interesse haben, gerne“, sagt sie. Doch Einfluss üben möchte sie nicht: „Es gibt auch andere tolle Berufe.“
Zwei Generationen, eine Leidenschaft für Bücher
Bei Monika und Stefanie Dölle lief die Geschichte etwas anders: Mutter und Tochter sind quasi gemeinsam in die Buchhandlung Rieck in Aulendorf eingestiegen. Monika Dölle war dort angestellt, als der Laden 2010 verkauft werden sollte, weil die Inhaberin in Rente ging. Doch der Käufer sprang kurzfristig ab, es drohte die Schließung. So kam es, dass die Mitarbeiterin innerhalb weniger Tage entschied, die Buchhandlung zu retten, die einst vom Pfarrer Joseph Rieck aus der Taufe gehoben wurde und sich mit Literatur gegen das Nazi-Regime sowie geistlichen Werken international einen Namen machte.
Wir verstehen uns gut – das ist die beste Voraussetzung für eine Übergabe
- Stefanie Dölle
Eigentlich war Monika Dölle das Ganze aber eine Nummer zu groß. Daher hatte sie damals gleich ihre Tochter Stefanie mit ins Boot geholt. Die hatte gerade ihr Politikstudium beendet und war auf Jobsuche. „Sie hat ja einen Großteil ihrer Kindheit hier verbracht“, sagt die Mutter, „da habe ich sie einfach gefragt.“ Allein, da ist sie sicher, „hätte ich das nicht gemacht“. Und so „arbeiten wir jetzt schon 15 Jahre zusammen“, lacht die mittlerweile 68-Jährige.
Zum 1. Juli hat Stefanie Dölle den Laden übernommen, genauer gesagt gekauft. Denn auch wenn keine Immobilien im Spiel waren – „wir sind hier zur Miete“ –, wollte sie eine glatte Regelung: „Ich habe noch eine Schwester, die aber kein Interesse hatte.“ Ein Gutachter des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels schätzte den Wert von Einrichtung und Inventar. Und wie fühlt es sich an, nun die Chefin zu sein? „Eigentlich nicht viel anders als vorher“, sagt Stefanie Dölle, „ich habe ja auch bisher schon den Einkauf und vieles andere gemacht.“ Nur dass es jetzt „mein eigenes Geld ist“. Zudem spüre sie stärkere Verantwortung für die Mitarbeiter, drei Teilzeitangestellte und vier Minijobber. Den Generationenwechsel hat Stefanie Dölle auch genutzt, um etwas Ballast abzuwerfen. Aus der früheren überdimensionierten GmbH & Co. KG wurde ein Einzelunternehmen. Unterschätzt habe sie dabei aber, „wie lange es dauert, bis auf einem neuen Konto alle Sepa-Mandate wieder laufen“. Es vergehe kaum ein Tag, an dem sie nicht fragen müsse, „Mama, schaust Du bitte mal auf dein Konto?“ Aber das ist kein Problem. Denn Monika Dölle gehört zu den Minijobberinnen, steht nach wie vor im Laden, macht Urlaubsvertretung und hilft beim Ausfahren der Schulbücher. „Das hält nicht nur geistig fit, sondern auch körperlich“, sagt sie. Aus Sicht ihrer Tochter kann sie „das machen, solange sie Lust hat“. Denn „wir verstehen uns gut“ – selbst die harte Corona- Zeit habe man zusammen gut überstanden. Für Stefanie Dölle „beste Voraussetzungen für eine gute Übergabe“.
Jürgen Baltes lebt und arbeitet als freier Journalist in Überlingen