„Das Zentrum ist die Visitenkarte einer Stadt“
Lebendige Innenstädte sind mehr als nur Einkaufsorte: Sie sind Wirtschaftsstandort, Begegnungsraum und Lebensraum – und ein zentraler Standortfaktor im Wettbewerb um Fachkräfte und Unternehmen. Doch der Strukturwandel und ein verändertes Konsumverhalten setzen ihnen zu. Jetzt sind neue Konzepte und Strategien gefragt, um die Zentren fit für die Zukunft zu machen.
„Es geht zukünftig nicht nur um ein attraktives Zentrum, sondern auch um die klimagerechte, digital vernetzte und gut erreichbare Innenstadt mit einem Angebot für alle Altersgruppen.“Anne-Kathrin Tögel, Leiterin des Referats Stadtentwicklung und Flächenpolitik bei der DIHK
Leere Schaufenster, geschlossene Cafés, verwaiste Plätze: Viele Innenstädte sind heute nicht mehr der Anziehungspunkt, der sie einmal waren. Die Gründe dafür sind vielfältig. Der Onlinehandel boomt, die Verkehrsplanung entspricht häufig nicht dem veränderten Mobilitätsverhalten, die Mieten und Energiekosten sind hoch und die Folgen der Coronapandemie noch immer spürbar. Besonders kleinere Städte und ländliche Regionen spüren den Rückzug von Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen deutlich. Immer häufiger schließen auch alltägliche Anlaufstellen wie Post- und Bankfilialen. Gleichzeitig wird der Raum in den Städten knapp, sodass Wohnen und Gewerbe um Flächen konkurrieren.
Multifunktionalität als Schlüssel
„Das Zentrum ist die Visitenkarte einer Stadt“, sagt Anne-Kathrin Tögel, Leiterin des Referats Stadtentwicklung und Flächenpolitik bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Doch was macht eine Innenstadt heute attraktiv – und wie lässt sie sich zukunftsfähig gestalten? „Entscheidend ist die Multifunktionalität, wenn es um die Attraktivität von Innenstädten geht. Viele Menschen wollen den Besuch der Innenstadt mit anderen Erledigungen oder Freizeitaktivitäten verbinden, beispielsweise mit einem Cafébesuch oder einem Behördengang.“ Dass sich die Ansprüche gewandelt haben, zeigt auch die „Deutschlandstudie Innenstadt 2024“, an der die DIHK beteiligt war: Zwar ist das Einkaufen nach wie vor der häufigste Grund für einen Innenstadtbesuch, doch im Vergleich zu 2015 ist seine Bedeutung um rund 20 Prozent gesunken.
Zwar ist das Einkaufen nach wie vor der häufigste Grund für einen Innenstadtbesuch, doch im Vergleich zu 2015 ist seine Bedeutung um rund 20 Prozent gesunken.
Wichtiger geworden ist stattdessen eine hohe Aufenthaltsqualität: Saubere Straßen, gepflegte Grünflächen, ausreichend Sitzgelegenheiten und ein Gefühl von Sicherheit tragen entscheidend dazu bei, dass sich Menschen gerne im Zentrum aufhalten. Auch die Erreichbarkeit spielt eine wichtige Rolle. „Die Diskussion darum wird mitunter sehr emotional geführt. Während die einen auf kurze Wege mit dem Auto und ausreichend Parkplätze setzen, fordern die anderen eine konsequente Priorisierung von Rad- und Fußverkehr“, sagt die Expertin für Stadtentwicklung. „Für viele Kommunen gibt es hier nur ein Entweder-oder, doch wir brauchen ein Miteinander aller Verkehrsarten.“
Erfolgsfaktoren nachhaltiger Stadtentwicklung
Zentral für jede nachhaltige Innenstadtentwicklung sei ein integriertes Stadtentwicklungskonzept, das Akteure aus allen Bereichen zusammenbringt: von Stadtverwaltung, Einzelhandel und Gastronomie über Kultur und Sport bis hin zu den Bürgerinnen und Bürgern, die das Zentrum nutzen. „Nur wenn alle Belange vom Verkehr über Wohnen bis hin zu Lärmschutz gemeinsam gedacht werden, kann ein lebendiger und zukunftsfähiger Stadtraum entstehen“, sagt Tögel, denn: „Es geht zukünftig nicht nur um ein attraktives Zentrum, sondern auch um die klimagerechte, digital vernetzte und gut erreichbare Innenstadt mit einem Angebot für alle Altersgruppen.“ Dabei gelte: Eine Lösung von der Stange gibt es nicht – gefragt sind maßgeschneiderte Strategien, die sich an den jeweiligen Gegebenheiten und Potenzialen vor Ort orientieren.
Beispiele aus Offenbach am Main und Mönchengladbach
Dass eine Transformation von Innenstädten möglich ist, beweisen Städte wie Offenbach am Main und Mönchengladbach. In den kommenden Jahren soll die Offenbacher Innenstadt zu einem einladenden, lebendigen Ort der Kultur, des Wohnens und des Einkaufens für alle werden. Zu diesem Zweck werden zahlreiche Zukunftsprojekte realisiert, darunter der Umbau der ehemaligen Stadtbibliothek zur „Station Mitte“, die als öffentliches Wohnzimmer dienen soll, sowie die „Testraum-Allee“, in der Start-ups Läden auf Zeit testen können. Auch ein Streetfood-Markt, begrünte Dächer, verschiedene Kulturformate und eine Wetter- und Klima-Werkstatt sind Teil des neuen Stadtbilds.
Entscheidend ist die Multifunktionalität, wenn es um die Attraktivität von Innenstädten geht. Viele Menschen wollen den Besuch der Innenstadt mit anderen Erledigungen oder Freizeitaktivitäten verbinden, beispielsweise mit einem Cafébesuch oder einem Behördengang.Anne-Kathrin Tögel
In Mönchengladbach entsteht mit dem Projekt „Seestadt mg+“ ein neues Stadtviertel mit 2.000 neuen Wohnungen, das in eine Mischung aus Handel, Gastronomie und Kultur eingebettet ist. „Beide Städte haben einen Masterplan für die Stadtentwicklung erstellt, ergänzt durch einen speziellen Plan für die Innenstadt, der alle Bereiche – vor allem auch den Verkehr – genau unter die Lupe nimmt“, sagt Tögel. „In Offenbach hat die IHK gemeinsam mit Gewerbetreibenden die Erstellung des Masterplans mitfinanziert. Die Beispiele zeigen eindrücklich, wie erfolgreiche Innenstadtentwicklung gelingen kann.“ Viele weitere Praxisbeispiele, wie Innenstädte aufgewertet werden können, stellt die Projektdatenbank „Stadtimpulse“ bereit.
Forderung nach flexibleren Vorgaben
Für viele Kommunen ist die Entwicklung ihrer Innenstädte nicht zuletzt deshalb eine große Herausforderung, weil sie keine Pflichtaufgabe darstellt. In Zeiten knapper Kassen fließt das verfügbare Geld oft in gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben, während für strategische Stadtentwicklungsprojekte die Mittel fehlen. Laut Tögel haben Förderprogramme wie „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ (ZIZ) des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) hier bereits wichtige Impulse gesetzt. Ob und wie diese Initiative unter der neuen Bundesregierung weitergeführt wird, ist derzeit offen.
Anne-Kathrin Tögel, Leiterin des Referats Stadtentwicklung und Flächenpolitik bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK)
Auch private Eigentümer können sich an der Finanzierung von Stadtentwicklungsmaßnahmen beteiligen, beispielsweise über sogenannte Business Improvement Districts (BIDs). Dabei legen die Beteiligten ein Innenstadtgebiet fest und stimmen darüber ab, ob sie für einen definierten Zeitraum Geld für Maßnahmen zur Standortaufwertung bereitstellen möchten. Die konkrete Umsetzung, etwa in Form eines Maßnahmen- und Budgetplans, erfolgt in Abstimmung mit der Kommune. In Städten wie Hamburg hat sich dieses Modell, das in manchen Bundesländern unter anderen Begriffen läuft, bereits erfolgreich bewährt.
Nur wenn sich unterschiedliche Nutzungen gut miteinander vereinbaren lassen, können lebendige und vielseitige Stadtzentren entstehen.Anne-Kathrin Tögel
Auf Bundesebene sieht der DIHK vor allem bei zwei Punkten Verbesserungsbedarf: Damit große, leerstehende Gebäude – wie ehemalige Kaufhäuser – einfacher umgenutzt werden können, sind flexiblere gesetzliche Vorgaben nötig. Außerdem sollten die Lärmschutzregeln überarbeitet werden, damit sich Wohnen, Arbeiten, Gastronomie und Kultur in Innenstädten besser miteinander vereinbaren lassen. „Nur wenn sich unterschiedliche Nutzungen gut miteinander vereinbaren lassen, können lebendige und vielseitige Stadtzentren entstehen“, sagt Tögel.
Engagement der IHK für zukunftsfähige Innenstädte
Die IHK-Organisation engagiert sich auf verschiedenen Ebenen für lebendige und zukunftsfähige Innenstädte. So bringt sie sich etwa im Beirat Innenstadt beim Bundesbauministerium mit Empfehlungen in den politischen Dialog ein und stößt gemeinsam mit den regionalen IHKs bundesweite Initiativen zur Innenstadtbelebung an. Die IHKs vor Ort entwickeln Konzepte, bauen Netzwerke auf und begleiten die Stadtentwicklung aktiv, beispielsweise durch Stellungnahmen oder durch die Unterstützung lokaler Unternehmen bei Veränderungsprozessen.
Text: Mascha Dinter
Die IHKs positionieren sich
„Digitalisierung und regionale Entwicklung“ ist eine von neun Clustern der „Wirtschaftspolitischen Positionen“ der 79 Industrie- und Handelskammern. Die „WiPos“ der IHK-Organisation beschreiben die wichtigsten Themen der Bundes- und Europapolitik aus Sicht der gewerblichen Wirtschaft und bilden zugleich die inhaltliche Basis für die wirtschaftspolitische Arbeit sowie für Äußerungen und Stellungnahmen der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Abrufbar sind diese Positionierungen auf der DIHK-Website sowie als komprimiertes Verlagsprodukt.
„Digitalisierung und regionale Entwicklung“ ist eine von neun Clustern der „Wirtschaftspolitischen Positionen“ der 79 Industrie- und Handelskammern. Die „WiPos“ der IHK-Organisation beschreiben die wichtigsten Themen der Bundes- und Europapolitik aus Sicht der gewerblichen Wirtschaft und bilden zugleich die inhaltliche Basis für die wirtschaftspolitische Arbeit sowie für Äußerungen und Stellungnahmen der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Abrufbar sind diese Positionierungen auf der DIHK-Website sowie als komprimiertes Verlagsprodukt.
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Anna-Lena Wiese