Unternehmen und Fastnacht – für beide Seiten unbezahlbar

Die ehrenamtlich geführten Vereine könnten ohne Unterstützung nicht überleben, die Betriebe profitieren vom Imagegewinn.
Ruft man bei der Mainzer Metallsysteme GmbH an und landet in der Warteschleife, läuft das Lied „Im Schatten des Doms“. Kein Wunder, ist doch Thomas Neger der Inhaber. Sein Großvater, die Fastnachtslegende Ernst Neger, hatte einst einen eigenen Wagen auf dem Rosenmontagszug. Thomas Neger wurde im Dezember bei der Prinzengarde für 50 Jahre Mitgliedschaft geehrt – einfach nur, weil erst ab dem dritten Lebensjahr gezählt wird.
Die Mainzer Fastnacht lebt von ihren Aktiven und Ehrenamtlichen ebenso wie von ihren Sponsoren und Unterstützern, und für alles das steht Thomas Neger, dessen 2010 eingespieltes Warteschleifen-Lied den Rang eines Fastnachtsklassikers erlangt hat. Dass die Prinzengardisten am Rande des Rosenmontagszugs in Opas Wohnzimmer mit Erbsensuppe versorgt wurden, hat der 53-Jährige noch in lebhafter Erinnerung. Weihnachten, Neujahr, Fastnacht, erst danach gewann das normale Leben wieder Oberhand. Sein Vater war Generalfeldmarschall der Prinzengarde. Dass der Opa etwas Besonderes in Mainz und Rheinhessen ist, begriff er früh. Ebenso, dass alle rote Uniformen trugen und sein Vater eine weiße.
Die Unternehmenswelt in Mainz wandelt sich. Es wird, wenn man sich bei den Macherinnen und Machern umhört, immer schwieriger, Sponsoren zu gewinnen, je mehr Ketten sich etablieren und je mehr Ladenbetreiber ohne originären Bezug zu Mainz, Rheinhessen und deren Lebensart sich ansiedeln. Umso wichtiger sind die vielen traditionsreichen Betriebe und deren Nachfolger, die sich in der närrischen Jahreszeit engagieren. Zwei Beispiele: die Ernst Neger ÜberdachungsGmbH und das familiär wie unternehmerisch verwandte Metallsysteme-Unternehmen nebenan. Thomas Negers Schwester als Darstellerin in der Fastnachtsposse, sein Bruder im Finanzierungsausschuss des MCV – das närrische Gen ist nicht zu verleugnen.

Dämmstoffe für Wagenbau

Logisch, dass beide Unternehmen auch als Sponsoren in der Fastnacht aktiv sind. „Ich sehe das als Geben und Nehmen“, sagt Neger. „Meine Präsenz auf der Bühne und über das Fernsehen bedeutet einen unglaublichen Werbefaktor für das Unternehmen. So wie beim Opa als singendem Dachdeckermeister auch. Diese Werbung könntest du nie bezahlen. Von meinem Opa zehrte ein ganzer Berufsstand – und unsere Firmen – bis heute.“ Immer wieder rufen Kunden mit Verweis auf die närrischen Aktivitäten an. Und wissen in der Warteschleife gleich, dass sie richtig liegen. „Das Sympathieplus musst du dann in den Verhandlungen halten“, sagt Neger lachend. Was bei Thomas Neger und seinen Vorfahren wie im Brennglas ersichtlich wird, gilt auch im Allgemeinen. „Wenn man als Unternehmen in Mainz erfolgreich sein will, ist die Verbindung über die Vereine exorbitant wichtig. In den Karnevalsvereinen treffen sich die Leute, das ist als Wirtschaftsfaktor gar nicht zu überschätzen.“ Zudem lassen sich praktische Symbiosen herstellen. Veraltetes Dämmmaterial fährt Neger zum MCV, damit es beim Wagenbau verwendet wird. „Mainz ist eine Großstadt mit Dorffaktor“, sagt der Unternehmer, „jeder Handwerker in einem Karnevalsverein ist gefragt. Es gibt immer was zu bauen.“ Hinzu komme die Logistik, allein schon was Lagerflächen für Aufbauten und Wagen, aber auch Zugmaschinen betrifft.
Die 51,6 Millionen Umsatz, die die Mainzer Fastnacht einer Studie zufolge erwirtschaftet, genügen nach Negers Ansage bei weitem nicht, um die tatsächliche Wertschöpfung abzubilden. Erst recht nicht, wenn man den Imagegewinn addiert. „Und wenn alles das, was als Eigenhilfe dazu kommt, extern vergeben würde – das wäre gar nicht zu bezahlen.“

Jeder Ton muss sitzen

Bei der Flo Service GmbH ist die Fastnacht das ganze Jahr über Thema, wie Geschäftsführer Tim Sandrock berichtet. Um Beschallungs- und Beleuchtungstechnik, Bühnenbau und Multimedia kümmert sich der 40-Mitarbeiter-Betrieb, in Mainz, national, international. Stets gilt es an der Qualität zu schrauben und sich nach der Kampagne für die nächste zu rüsten. Gerade die tontechnischen Ansprüche sind gestiegen, je musikalischer das Bühnenprogramm wird.
„Die Fastnacht hat ein ewiges Gedächtnis“, sagt Sandrock schmunzelnd. Da muss jeder Ton sitzen, bei dem Herzblut, das die Ehrenamtlichen hineinstecken. 60 Indoor-Veranstaltungen im närrischen Kontext deckt die GmbH ab, unter 1.200 bis 1.600 Events im Jahr. In der Rheingoldhalle beispielsweise brauche es ein halbes Dutzend Techniker für Licht, Video und Ton, damit die Veranstaltung gut funktioniert. Der Abspracheaufwand ist immens, wenn alle 2.000 Gäste alles sauber hören sollen und sich zugleich unterhalten wollen. Und zwar auf jedem Platz gleich.
Etwa drei Tage dauere der Aufbau, zwei Tage der Abbau. So wird in den städtischen und stadtnahen Veranstaltungshallen auf feste Dienstleister gesetzt – ständiger Ab- und Aufbau wäre unwirtschaftlich. Und die Nebenkosten steigen auch so schon erheblich. „Für uns ist die Fastnacht hoch interessant“, sagt Sandrock, „der Umsatzanteil entspricht in etwa dem Anteil an Veranstaltungen.“ Dass viel über die Kostensteigerungen geklagt wird, findet er nachvollziehbar. Der Unternehmer sagt: „So komplex, wie unser Telefon geworden ist, ist auch die Beschallungs- und Beleuchtungstechnik geworden. Die Marge ist nicht größer geworden.“

Gastro-Flaute ausgeglichen

Januar und Februar, auf die sich meist die närrischen Tage ballen – außer Ostern liegt, wie dieses Jahr, besonders spät – ist in der Regel die Zeit, in der im Tagungsgeschäft weniger los ist. Daher kommt die Kampagne der Mainzer Schlossgarten Catering äußerst gelegen. Was an Sitzungen im Kurfürstlichen Schloss stattfindet, bewirten Unternehmer Ata Delbasteh und sein Team auf Selbstzahlerbasis, unabhängig von den Vereinen. So hat das Personal durchgängig zu tun. „Und da ist immer gute Laune. Unser Personal bucht sich sehr gern vorab diese Arbeitstermine. Aber die Arbeit ist auch sehr anstrengend, ein logistisch großer Aufwand.“ Das drückt die Gewinnmarge etwas unter das ansonsten Betriebsübliche.
Delbasteh ist selbst im MCC-Vorstand, Prinzengardist und aktiver Fastnachter. „Die Fastnacht ist für Mainz ein wichtiger Wirtschaftsmotor, und ich wage zu behaupten, dass sie der Grund ist, warum wir eine größere Resilienz haben im Rest des Jahres.“ Doch auch in seinem Gewerbe schlage die Kostensteigerung durch. „Wir kommen der Fastnacht schon entgegen, auch weil man aufgrund der Masse mehr machen kann und weil die Fastnacht der Stadt viel bringt. Zudem entsteht ein Marketingeffekt, die Leute sehen die Leistung und kommen im Laufe des Jahres wieder.“

800.000 Orden in 41 Jahren

Fastnacht, das ist auch die Zeit der Orden. Niemand, weder Redner noch Tänzer, verlässt die närrischen Bühnen, ohne ein Ehrenabzeichen um den Hals gehängt zu bekommen. Allein 20.000 Orden stellt das Mainzer Unternehmen „Creatives in Metall“ von Petra Wagner-Behrendt her. Jeden davon habe sie mindestens einmal selbst in der Hand, auch wenn aus wirtschaftlichen Gründen und mangels Lieferanten mittlerweile in China produziert werde. Doch die Endfertigung, die hübschen Details, die Kordel, das alles findet in Mainz statt, wo natürlich auch die Entwürfe gezeichnet sowie Gussformen hergestellt werden.
Seit 41 Jahren, also seit der Betriebsgründung, ist Wagner-Behrendt in diesem Geschäft tätig. Macht in Summe 800.000 Kampagnenorden. Fastnacht findet bei ihr ganzjährig statt, etwa durch Restaurierungsarbeiten oder beim Erstellen neuer Entwürfe. Man versuche die Orden so günstig wie möglich anzubieten. „Aber Sie haben natürlich Grundkosten und Löhne, und verdienen müssen wir auch etwas.“ Von einem Prestige-Objekt spricht Wagner-Behrendt, genauso wie bei den Präsidentenketten und -stäben. Gute drei Viertel ihres Jahresumsatzes, sagt die ehemalige Aktive, mache die Fastnacht aus. Auch, weil seit der Pandemie manch anderes weniger geworden ist.
TORBEN SCHRÖDER, FREIER JOURNALIST

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