Ausgründung der Uni Potsdam

Ökologischer Pfotenabdruck

Start-ups sind technologiebasierte Unternehmen mit einem neuartigen, innovativen Produkt und ambitionierten Entwicklungszielen. Aber auch grüne Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell auf Nachhaltigkeit und Umweltschonung aufbauen, treten immer stärker in Erscheinung, wie unser heutiges Beispiel zeigt. Die IHK Potsdam unterstützt Start-ups in Brandenburg in der Gründungs- und Wachstumsphase. In einer Serie stellt das Forum solche Unternehmen vor. Heute: Die Marke TENETRIO.

Die Geschäftsidee

TENETRIO in Teltow bietet verschiedene Hundenahrung und –leckerlies aus Insekten an. Diese versorgen den Hund mit Proteinen, gesunden Fetten, Vitaminen und Nährstoffen, die für die Tiergesundheit wichtig sind. Für die meisten Hunde ist die Insektennahrung ein echter Genuss, haben die Gründerinnen bei Probeverkostungen in Hundeschulen herausgefunden. Auch die Tierrettung Potsdam stellt regelmäßig Tester zur Verfügung. TENETRIO gibt es als Nass-, und Trockenfutter, als Vollkost und verarbeitet in Snacks, wie Pops und Keksen.

Der ökologische Faktor

TENETRIO ist ein nachhaltiges StartUp mit ökologischer, ökonomischer und sozialer Komponente. Ina Henkel sagt: „Der Hund hat einen hohen sozialen Stellenwert. Für viele Menschen ist er ein wichtiger Bezugspunkt. Aber als Fleischfresser trägt er auch zum Klimawandel bei. Durch eiweißreiches Futter aus Insekten können wir den ökologischen Pfotenabdruck reduzieren, der mindestens zur Hälfte aufs Hundefutter zurückzuführen ist.“ Geschäftsführerin Dr. Ina Henkel verdeutlicht die Ökobilanz auch gern mit der Wassereinsparung: Durch seine Jahresproduktion – Insektenprotein statt Rindfleisch – hat das Unternehmen 2021 über 260 Millionen Liter Wasser eingespart.

Die Geschäftsführerin

Die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Ina Henkel war vor der Unternehmensgründung Forscherin am Institut für Ernährungswissenschaften an der UNI Potsdam. Sie hatte dort an Wegen aus dem globalen Ernährungsmangel heraus gesucht. „Mangelernährung muss nicht Hunger sein. Nährstoffmangel kann auch mit einem Überangebot mit Kalorien verbunden sein, zum Beispiel bei Fastfood. Die Ernährung der Menschheit mit gesunden, nachhaltig produzierten Lebensmitteln ist eine der größten Herausforderungen, vor denen wir stehen“, erläutert Ina Henkel.

Forschung in Asien und Afrika

Im Institut für Ernährungswissenschaften forscht Prof. Florian J. Schweigert zu Insekten als Eiweißquelle der Zukunft. Eines seiner Forschungsprojekte führte Dr. Ina Henkel und ihre damalige Masterstudentin Katrin Figueroa nach Thailand, Vietnam und Kambodscha sowie nach Südafrika und Namibia. Ina Henkel: „In diesen Ländern sind Garküchen mit Insekten so normal wie bei uns die Pommesbuden.“ Auf einer Reise nach Asien, 2015 kamen die beiden auf die Idee, dass Insekten auch für Hundefutter verarbeitet werden könnten – mit den gleichen positiven Eigenschaften. Dritte Gründerin ist Sabrina Jaap, sie war eine Schulfreundin von Katrin Figueroa. Mit ihr war das rein Brandenburger Gründertrio komplett. Dr. Ina Henkel stammt aus Jüterbog, die beiden anderen sind aus Perleberg.

Der Mehlwurm

Die Zucht und die Verarbeitung von Insekten verlaufen deutlich umweltschonender und effizienter als die von herkömmlichen Nutztieren. Da Insekten kaum Energie für die Erhaltung ihrer Körpertemperatur benötigen, können sie all die Kalorien ihrer Nahrung in das eigene Wachstum stecken. Somit verbrauchen sie nicht nur weniger Futter, sondern auch viel weniger Wasser als herkömmliche Nutztiere wie Rinder.
Zusätzlich scheiden sie kaum Treibhausgase aus und tragen somit weniger zum Klimawandel bei. Da Mehlwürmer zu 100 % verzehrbar sind, ist die Zucht sehr effizient.

Unternehmensgründung

Um herauszufinden, ob zwischen ihnen die Chemie stimmt, haben sich die Gründerinnen zu einem Workshop zurückgezogen. Sie verbrachten drei Tage in einem Raum, haben dort auch gegessen und geschlafen, vor allem aber über die Geschäftsidee diskutiert. „Wir wollten Sabrina als Betriebswirtschaftlerin unbedingt dabei haben“, erzählt Ina Henkel. „Sie hat sich sehr schnell begeistern lassen, in unser Start-Up einzusteigen.“ Erst als sich die drei Frauen sicher waren, dass sie auf Dauer gut zusammenarbeiten würden, stand Ihre Entscheidung fest.
Die drei Gründerinnen überlegten auch gleich noch, welcher Name gut geeignet wäre. TENETRIO ist eine Ableitung des Wortes Tenebrio molitor, was der lateinische Begriff für Mehlwurm ist. TRIO passt in dreierlei Hinsicht: Es steht für die 3 Gründerinnen, für die 3 Entwicklungsstadien des Mehlwurms und für die 3 gesunden Nährstoffe – Protein, ungesättigte Fettsäuren und Mikronährstoffe.

Förderung durch Gründerstipendium

Der Start gelang dann im Frühjahr 2017 als Ausgründung aus der Uni Potsdam mit Hilfe eines Exist-Gründerstipendiums aus EU-Mitteln. Damit konnten die Gründerinnen die Finanzierung für das erste Jahr sichern. „So hatten wir Welpenschutz“, sagt Ina Henkel. „Geld war da und wir konnten Dinge ausprobieren. Es war uns aber auch klar, dass ein Jahr schnell vorbei sein würde.“ Gleichzeitig gehört zum Exist-Stipendium auch eine betriebswirtschaftliche Begleitung mit Seminaren, Beratung zur Businessplanerstellung und eine Präsentation. Ina Henkel: „Wir wurden durch den Gründungsservice sehr gut unterstützt und haben so gut wie jedes Beratungsangebot angenommen.“
Ina Henkel hatte für die Gründung ihre sichere Festanstellung an der Uni gekündigt. Das war der Preis für das Gründerstipendium. „Raus aus der Uni, rein in die Wirtschaft, das war für mich gedanklich ein krasser Prozess. Aber wenn ich etwas mache, will ich es auch richtig machen und nicht nach ein paar Monaten aufgeben. Ich habe heute das Gefühl, dass ich mit meiner Arbeit das Richtige tue, indem ich helfe, Ressourcen zu sparen.“

Hundepop als erstes Produkt

Sie entwickelten in dieser Zeit das erste Produkt, einen Hundepop in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Ein Hundepop ist ein fürs Training gedachtes Eiweiß-Leckerli. Neben dem enthaltenen Insektenprotein wird der Hund auch mit gesunden Fetten, Vitaminen und Mikronährstoffen versorgt. Außerdem bleibt er schlank, da die Pops sehr kalorienarm sind.

Die Insektenfarm

Die Gründerinnen präsentierten sich auf Businessplan-Wettbewerben, hielten Vorträge und schafften es mit ihrer Idee in viele Zeitungen. 2018 stiegen zwei Investoren und eine Risikokapitalgesellschaft ins Unternehmen ein. Damit standen den Gründerinnen jetzt insgesamt 1,1 Millionen Euro für Investitionen zur Verfügung. Sie ersetzten ihr kleines Labor durch eine Insektenfarm, in der sie 400 Kilogramm Biomasse monatlich produzieren konnten. Bei einem Gewicht des Mehlwurmes von 0,01 g sind das mehrere hundert Millionen Mehlwürmer, richtiger gesagt: Mehlkäferlarven. Das Aussortieren anderer Insektenstadien, das Aussieben von Kot, die Regelung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit sowie die Überwachung der Zucht verlangte jetzt nach Automatisierung. Die Entwicklung der Techniken für einen optimalen Zuchtprozess war eine sehr große Investition.

Business Pivot

Dennoch haben sich die Gründerinnen 2020 wieder von der Eigenproduktion von Mehlwürmern verabschiedet. Es war ein „Business-Pivot“, sagt Ina Henkel – eine Neuausrichtung, um den Erhalt des Start-ups zu sichern. „Es gab inzwischen mehrere Großerzeuger von Insekteneiweiß in Europa. Um zu ihnen aufzuschließen, wären ganz andere Investitionen erforderlich. Ein Unternehmen in Frankreich hat über 5     00 Millionen Euro dafür investiert “, erläutert Dr. Henkel. Jedoch bedeutete der Ausstieg aus der Produktion auch den Abbau von vier Arbeitsplätzen, ein notwendiger, aber schmerzhafter Einschnitt. Wenigstens ist durch die Zucht in Europa die Qualität gewährleistet, die den Gründerinnen wichtig ist. Zum Beispiel keine Genmanipulation und keine Antibiotika. „Mit Insekteneiweiß aus China wollten wir nicht arbeiten.“

Vertrieb über Internet

Ab 2019 baute das Start-up den Vertrieb auf. Wichtigster Kanal ist das Internet, die Seite wird täglich von rund 4000 Kunden besucht. Etwa 80 Prozent der Ware wird über Internet verkauft, der Rest geht an den Fachhandel. Die Gründerinnen hatten eine klassische Vertriebstour gestartet und waren auf Messen. Alles Aktivitäten, die in der wichtigen Wachstumsphase nur eingeschränkt möglich waren. „Unsere Produkte sind im gehobenen Preissegment. Da ist es wichtig, sie persönlich vorzustellen. Die für uns wichtigste Messe, die Heimtiermesse in Nürnberg, fand 2020 online statt – das ist dann keine richtige Messe“, sagt die Geschäftsführerin. Es ist das Ziel für die nächsten Jahre, Auslandsmärkte in Europa zu erschließen.
TENETRIO hat viele Kunden in Berlin und Brandenburg, das hat mit der Medienpräsenz und verschiedenen Vorträgen zu tun, die Ina Henkel schon in der Gründungsphase gehalten hat – zum Beispiel bereits 2017 auf dem Jahreskongress des Rates für nachhaltige Entwicklung. Ina Henkel: „Wo die Aufklärung fehlt, müssen wir Basisarbeit machen. Es sind 1000 Dinge zu tun.“

Soziale Komponente

Mit dem Mosaik Unternehmensverbund, einem der großen gemeinnützigen Träger für Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland, haben die TENETRIO-Produkte einen zuverlässigen Logistikpartner gefunden. Der Arbeitsbereich nimmt die Internet-Bestellungen entgegen und packt sie für den Versand.
TENETRIO hat aktiv nach einem sozialen Partner gesucht, der diese Aufgabe erledigen kann, denn das ist Teil der Unternehmensphilosophie.

Wirtschaftliche Komponente

Die Firma hat im vergangenen Jahr bereits 12 Tonnen Hundefutter verkauft, also viel mehr als die eigene Produktion hätte liefern können. 2021 waren es schon 30 Tonnen. In diesem Jahr wird die Firma die Kostendeckung erreichen, ist Ina Henkel optimistisch. Allerdings ist das Teltower Unternehmen nicht allein auf dem Markt. So gibt es in Deutschland weitere Firmen, die Hundefutter auf Eiweißbasis anbieten. Und auch die etablierten Futtermittelhersteller drängen zunehmend in die Nische. Dr. Henkel sieht ihre Chance für TENETRIO in dem bereits sehr breit gefächerten Futtersortiment, immer auf der Basis von Insekteneiweiß.

Gesundheitskost für Hunde

Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, ebenso wie die natürliche Verarbeitung. Die Hundenahrung wird mit so wenig Zutaten wie möglich, aber so vielen wie nötig hergestellt. Die Firma verwendet keinen Zucker und generell keine chemischen oder künstlichen Zusätze, also keine Geschmacksverstärker wie Gluten und keine Farbstoffe. Das hochwertige Eiweiß stammt nur aus einer einzigen Quelle, aus artgerecht gezüchteten Insekten. TENETRIO-Produkte sind dadurch auch für Hunde mit Allergien, sensiblen Mägen oder Vorerkrankungen geeignet.
Die Gründerinnen haben bereits das nächste fleischfressende Haustier im Fokus, die Katze. Eine besondere Herausforderung, wie Katzenbesitzer wissen werden. Katzen sind sehr eigen, was das Fressen anbelangt, und häufig sehr markenbewusst.

Perspektive menschliche Ernährung

TENETRIO ist nicht der Name des Unternehmens, sondern eine Marke für Hundefutter. Das Start-up heißt: EntoNative GmbH – was auf natürliche Inhaltsstoffe verweist und der Phantasie keine Grenzen setzt: Mehlwürmer, Heuschrecken und demnächst auch Grillen sind von der Europäischen Union für die Zubereitung von Lebensmitteln für den Menschen zugelassen. Das Start-up sieht das als Chance für eine neue Produktschiene vielleicht in den nächsten fünf bis sieben Jahren. Dr. Ina Henkel: „Ernährungsgewohnheiten umzustellen braucht eine lange Zeit, aber vielleicht kommt uns ein Trend zugute und die Leute kommen auf den Geschmack. Vielleicht verändern sich Gewohnheiten auch mit der Generation Greta, die ganz bewusst Alternativen zur fleischlichen Ernährung sucht.“ FORUM ONLINE/BB

Interview mit Felix Mohn, IHK Potsdam: Risikofreudige Start-ups

Felix Mohn ist Referent Existenzgründung, Startups und Unternehmensfinanzierung bei der IHK Potsdam. Er erläutert warum ein Start-up nichts für Gründer mit schwachen Nerven ist.
Forum: Was unterscheidet ein Start-up von einer normalen Gründung, zum Beispiel der Eröffnung eines Ladens?
Mohn: Das Spektrum an Existenzgründungen ist riesig: Von der Eröffnung eines Cafés bis hin zum Start einer Hightech-Firma ist alles möglich. Nur ein sehr kleiner Teil davon lässt sich als Start-up einordnen. Diese speziellen Gründungen zeichnen sich durch ihre innovative Geschäftsidee und hohes Wachstumspotential aus, wofür sie häufig auf Wagniskapitalgeber angewiesen sind. Startup-Gründungen sind daher oft risikobehaftet.
Forum: Bis zu 90% der Start-ups scheitern in den ersten drei Jahren. Warum sind die Risiken bei Start-ups so hoch?
Mohn: Es gilt: Wer hoch steigt, kann tief fallen. Zu ambitionierte Wachstumsziele, Fehleinschätzung des Marktes sowie fehlende oder falsche Geldgeber können Start-ups scheitern lassen. Und beim Gründerteam muss alles stimmen. Fehlende Qualifikation, zum Beispiel in betriebswirtschaftlichen Fragen, Organisationsfehler oder Konflikte im Führungsteam können ein Start-up scheitern lassen. Es gilt jedoch auch: Scheitern ist eine Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen.
Forum: Wie sollten Start-ups mit den Risiken umgehen?
Mohn: Einige Risiken des Start-ups können im Vorfeld minimiert werden. Bereits frühzeitig sollten die Gründer ihre Erwartungshaltungen, persönlichen Ziele und zeitliche Verfügbarkeit untereinander klären. Eine sorgfältige Analyse des Marktes und Kundenbedürfnisses verringert zudem das Risiko, das falsche Produkt oder Angebot zu entwickeln. Schließlich kann das Einbinden von erfahrenen Unternehmern dazu beitragen, typische Fehler zu vermeiden und richtige Entscheidungen zu treffen.
Forum: Wo bekommen Start-ups Hilfe?
Mohn: Zum Beispiel bei den Gründungsservices der Hochschulen, den regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaften und natürlich von uns, der IHK. Ansprechpartner sind die Gründungsberater der RegionalCenter und ich als Referent für Start-ups. Wir beraten gern. Es gibt zahlreiche Landes- und Bundesprogramme für innovative Start-ups, zum Beispiel Gründercoachings, Businessplan-Wettbewerbe und Fördermöglichkeiten.
Es fragte: Bolko Bouché