Fachkräfte/Bildung im Landkreis Grafschaft Bentheim
Der Fach- und Arbeitskräftemangel wird immer stärker spürbar und bremst die wirtschaftliche Entwicklung an vielen Stellen. Regelmäßig gehört der Fachkräftemangel in den IHK-Konjunkturumfragen zu den Top-Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung – auch im Landkreis Grafschaft Bentheim. Besonders eng ist der Markt in Bezug auf Mitarbeiter mit einer abgeschlossenen dualen Ausbildung beziehungsweise einer höheren Berufsbildung.
- Vorhandene Potenziale der Region besser nutzen
- Rückkehrer und Andere für die Region sowie den Arbeitsmarkt (wieder-) gewinnen
- Zuwanderer und Flüchtlinge besser in den Arbeitsmarkt integrieren
- Berufsorientierung verbessern
- Duales Bildungssystem attraktiver machen
- Höhere Berufsbildung stärken
- Gleichwertigkeit der Bildungssysteme herstellen
- Duales Studienangebot ausbauen
Zentrale Voraussetzung dafür, dass den Unternehmen weiterhin betrieblich qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen, ist die Attraktivität der international anerkannten dualen Berufsausbildung. Gute Ausbildungs- und Arbeitsplatzangebote, aber auch familienfreundliche Rahmenbedingungen oder zielgerichtete Serviceangebote für zugewanderte Menschen sowie betriebliche Gesundheitsförderung oder Weiterbildung können helfen, den Fachkräftebedarf zu sichern.
Um die regionale Fachkräfteversorgung zu sichern und das duale Bildungssystem weiter attraktiv zu halten, sind der regionalen Wirtschaft folgende Positionen wichtig:
Vorhandene Potenziale der Region besser nutzen
Angesichts der demografischen Entwicklungen stellt die Rekrutierung von Fach- und Arbeitskräften im Landkreis Grafschaft Bentheim eine zunehmend größere Herausforderung dar. Obwohl sich die Beschäftigungsquoten beispielsweise bei Frauen und Ausländern in den letzten Jahren erhöht haben, besteht weiterhin das Potential, sowohl die Beschäftigungsquote als auch das durchschnittliche Arbeitsvolumen zu erhöhen.
Dabei kann das Erwerbspotenzial in der Region noch ausgeschöpft werden. Zielgruppen sind dabei insbesondere Frauen, ältere Menschen, Langzeitarbeitslose oder Studienabbrecher.
Damit die Potenziale zur Fachkräftesicherung besser genutzt werden können, sind folgende Maßnahmen wichtig:
- Anreize schaffen zur Ausweitung von Arbeitszeiten bei Teilzeitbeschäftigten, beispielsweise durch den weiteren Ausbau von Angeboten im Bereich Ganztagsschulen sowie Pflege
- Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur fortsetzen (s. auch Handlungsfeld Standortattraktivität)
- Einsatz eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements zum Erhalt der psychischen sowie physischen Arbeitsfähigkeit fördern
- Anreize zur Beschäftigung von Rentenbeziehern steigern; rechtliche Rahmenbedingungen besser kommunizieren (z. B. Fördermöglichkeiten)
- Ältere stärker an Weiterbildungsmaßnahmen beteiligen
- Programme zur Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt fortführen und mit einer entsprechenden Finanzierung unterlegen
- Öffentliche Beschäftigungsprogramme nur übergangsweise nutzen, keine Konkurrenz zu bestehenden Angeboten von privaten Unternehmen schaffen
- Perspektiven für Langzeitarbeitslose im ersten Arbeitsmarkt schaffen
Rückkehrer und Andere für die Region sowie den Arbeitsmarkt (wieder-) gewinnen
In den letzten Jahren war das Wachstum der Beschäftigung teils auf die vermehrte Erwerbstätigkeit insbesondere von Frauen und älteren Menschen sowie teils auf externe Ressourcen zurückzuführen. Da im Landkreis Grafschaft Bentheim bereits viele lokale Potenziale genutzt wurden, wird die regionale Wirtschaft zukünftig noch stärker als bisher auf Rückkehrer und Zuwanderer angewiesen sein.
Dafür müssen nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Region für Berufseinsteiger und erfahrene Fachkräfte attraktiv sein. Die Kommunen haben dabei zahlreiche Möglichkeiten, die Attraktivität ihrer Standorte zu fördern, beispielsweise durch Verbesserungen im Bereich Wohnraum, Bildungs- und Sozialeinrichtungen sowie Freizeitmöglichkeiten (siehe Handlungsfeld Standortattraktivität).
Zur Gewinnung von Rückkehrern und Anderen sind folgende Maßnahmen wichtig:
- Kooperationen zwischen den Kommunen im Landkreis Grafschaft Bentheim ausbauen und überregionales bzw. internationales Standortmarketing forcieren, beispielsweise im Rahmen der Ems-Achse
- Zusammenarbeit bei Fachkräfteinitiativen weiter ausbauen, etwa im Rahmen des Regionalen Fachkräftebündnisses Ems-Achse
- Städtepartnerschaften zur Anwerbung von Fachkräften nutzen
- Unternehmen einerseits sowie Rückkehrer und Zugezogene andererseits als „Botschafter“ für die Region einsetzen
- Gezielte Maßnahmen für Rückkehrer – zumal von Absolventen von Universitäten und Hochschulen – entwickeln und spezielle Angebote für diese Gruppe bereitstellen
- Fokus auch auf nicht-akademische Fachkräfte richten
Zuwanderer und Flüchtlinge besser in den Arbeitsmarkt integrieren
Zur Fachkräftesicherung ist neben der höheren Beschäftigung inländischer Personen auch die Zuwanderung aus dem Ausland sowie die Integration hier lebender Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt wichtig. Zukünftig dürfte die Bedeutung von Ausländern für das Beschäftigungswachstum weiter zunehmen. Auf kommunaler Ebene wurde in den vergangenen Jahren in den Aufbau von Willkommens- und Begleitstrukturen investiert, beispielsweise im Rahmen des Regionalen Fachkräftebündnisses Ems-Achse oder der Wirtschaftsvereinigung Grafschaft Bentheim.
Anknüpfungspunkte bieten auch die zahlreichen gesellschaftlichen Initiativen zur besseren Integration. Ineffizienzen im administrativen Prozess der Zuwanderung behindern hingegen eine schnelle Integration.
Zur Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt sind folgende Maßnahmen wichtig:
- Kommunale Willkommens- und Begleitstrukturen sowie Welcome Center flächendeckend ausbauen und dauerhaft fördern
- Ehrenamtliche Strukturen und Integrationsinitiativen unbürokratisch unterstützen
- Bearbeitungszeiten in Ausländerbehörden reduzieren (insb. durch Digitalisierung und eine „ermöglichende“ Prüfung) und Entlastungen durch eine zentrale Ausländerbehörde auf Landesebene anstreben
- Fremdsprachenkompetenz (mindestens englisch) der Mitarbeiter der Ausländerbehörden sicherstellen
- Regelungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und Möglichkeiten der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse bekannter machen
- Den Integrationsprozess beschleunigen, insbesondere durch frühzeitigen Zugang zum Arbeitsmarkt und parallel „on the Job“-Sprach- und Qualifizierungsangebote
- Ausbildungs- und Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen fördern und den „Job-Turbo“ der Arbeitsagenturen stärker nutzen
- „Kennenlernangebote“ zwischen Flüchtlingen und regionaler Wirtschaft ausbauen
Berufsorientierung verbessern
Viele Betriebe beklagen unklare Berufsvorstellungen bei den Schulabgängern. Hohe Abbruchquoten im Hochschulbereich zeigen, dass der Trend zur Akademisierung auch unerwünschte Folgen hat. Umso wichtiger wäre eine strukturierte Berufsorientierung, insbesondere auch an den Gymnasien. Berufsorientierung ist dabei allerdings nicht immer an den Anforderungen und Angeboten der Wirtschaft ausgerichtet.
Zur Verbesserung der Berufsorientierung und zur Senkung der Abbrecherquote sind folgende Maßnahmen wichtig:
- Berufsorientierungsangebote am Campus Berufliche Bildung vorhalten
- Kooperationen von Unternehmen mit Schulen voranbringen, etwa durch Betriebspraktika für Schüler oder Gastvorträge von Unternehmen in Schulen
- Jugendliche auf Augenhöhe über die berufliche Ausbildung informieren, z.B. über IHK-/HWK-Projekt „Erfolgsbegleiter“
- Unternehmerische und berufsnahe Inhalte an den Schulen lehren
- Angebote für Schüler entwickeln, um für MINT-Berufe zu begeistern
- Elterninformationen zur Berufsorientierung ausbauen
- Bessere Berufsorientierung in den allgemeinbildenden Schulen, v. a. an den Gymnasien
- Beratung von Studienzweiflern und -abbrechern intensivieren
Duales Bildungssystem attraktiver machen
Das duale Ausbildungssystem ist ein Garant für die geringe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland. Es ist nicht zuletzt deshalb politischer Konsens, dass berufliche und akademische Bildung gleichwertig ist. In der Praxis wird die berufliche Bildung jedoch gelegentlich von Schülern und Eltern als „Notlösung“ oder „Bildung zweiter Klasse“ mit geringen Karrierechancen gesehen.
Die Betriebe im Landkreis Grafschaft Bentheim sind für ihre Fachkräftesicherung darauf angewiesen, dass die duale Berufsausbildung wieder eine höhere gesellschaftliche Anerkennung erfährt. Mit dem Campus Berufliche Bildung wird ein innovatives Bildungsangebot geschaffen, das in dieser Hinsicht einen deutlichen Mehrwert für die Unternehmen sowie die jungen Menschen der Region schafft. Darüber hinaus sind z. B. hohe schulische und betriebliche Ausbildungsstandards, eine moderne Schulausstattung sowie standortnahe Berufsschulen, die zudem gut mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sind, wichtige Bausteine für die Qualität der dualen Berufsausbildung.
Zur Attraktivitätssteigerung des dualen Bildungssystems sind folgende Maßnahmen wichtig:
- Wohnortnahe Beschulung durch Erhalt der Schulstandorte und möglichst auch der Fachklassen sichern
- Erreichbarkeit der Berufsschulstandorte mit dem ÖPNV verbessern, insbesondere bei Kooperationen von Berufsschulen bei weniger nachgefragten Ausbildungsberufen
- Unterrichtsversorgung an den Berufsbildenden Schulen verbessern (Land)
- Schulgebäude und technische Ausstattung, inklusive IT-Support, vordringlich an aktuelle Standards in Unternehmen und Hochschulen anpassen und die Digitalisierung in den Berufsschulen weiter vorantreiben
- Begeisterung für Zukunftstechnologien wie 3D-Druck, Robotik, Virtual Reality und das Internet der Dinge entfachen, Neue Lehr- und Lernkonzepte wie Smart Factories in den Berufsschulen erproben
- Campus Berufliche Bildung als Leuchtturmprojekt vermarkten
- Eigenverantwortung der Berufsschulen stärken (Land), Qualitätsmanagement in den Berufsschulen unterstützen
- Azubi-Ticket landesweit einführen bzw. umsetzen (Land)
- Angebote für leistungsstärkere Schulabgänger und Studienabbrecher entwickeln, zugleich aber auch leistungsschwächere Schulabgänger besser fördern
- Top-Ausbildungsbetriebe identifizieren und bekannt machen
Höhere Berufsbildung stärken
Aufgrund immer schnellerer technischer und inhaltlicher Entwicklungen gewinnt das lebenslange Lernen von Mitarbeitern für die Wirtschaft an Bedeutung. Das gilt insbesondere für ländliche Regionen, in denen die formale Weiterbildungsbeteiligung weniger ausgeprägt ist. Auch im Landkreis Grafschaft Bentheim ist die Weiterbildungsbeteiligung vergleichsweise gering.
Sowohl von Seiten der Betriebe als auch von den Belegschaften im Landkreis Grafschaft Bentheim bestehen Potenziale für ein stärkeres Weiterbildungsengagement. Dabei wird der Weiterbildungsbedarf in der Region bisher nicht regelmäßig und strukturiert erhaben.
Zur Stärkung der sog. „Höheren Berufsbildung“ sind folgende Maßnahmen wichtig, die sich insbesondere an die beteiligten regionalen Akteure wie die Agentur für Arbeit oder Weiterbildungsträger richten:
- Kampagne zur Weiterbildung entwickeln (z. B. Agentur für Arbeit)
- Weiterbildungsangebote bedarfsgerecht weiterentwickeln, insbesondere im Hinblick auf die Digitalisierung
- Marke „Höhere Berufsbildung“ etablieren
- Innovative Qualifizierungsformate und -standards entwickeln
- Kompetenzen zum Verständnis und zum reflektierten Umgang mit KI-basierten Anwendungen aufbauen
- Finanzielle Unterstützung für Weiterbildungsteilnehmer verstärken (z. B. „Meister-Bonus“ und weitere Maßnahmen auf Landesebene)
Gleichwertigkeit der Bildungssysteme herstellen
Eine bessere Durchlässigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung ist wichtig, um die Idee des lebenslangen Lernens umzusetzen und den Anforderungen einer modernen Arbeitswelt Rechnung zu tragen. Die Höhere Berufsbildung hat hierbei für viele Betriebe einen hohen Stellenwert. Zudem bieten die Abschlüsse, die dabei erlangt werden können, gleichwertige Alternativen zu akademischen Abschlüssen an Hochschulen (gem. Deutschem Qualifikationsrahmen DQR).
Das Wissen über die Chancen und Möglichkeiten der Höheren Berufsbildung ist allerdings vielfach gering. Ihre Bedeutung sollte deshalb noch klarer herausgestellt werden, um sowohl die Nachfrage nach solchen Weiterbildungen als auch deren Förderung seitens der Unternehmen zu verbessern. Im Rahmen einer stärkeren Berufsorientierung könnten diese Informationen bereits in den Schulen vermittelt werden. Die faktische Durchlässigkeit zwischen Hochschulen und Berufsschulsystem ist wegen bürokratischer Hürden und der nicht immer möglichen Anrechnung erbrachter Vorleistungen nicht immer gegeben.
Zur Herstellung der Gleichwertigkeit der Bildungssysteme sind folgende Maßnahmen wichtig:
- Höhere Berufsbildung finanziell und qualitativ gleich attraktiv wie die Angebote von Hochschulen gestalten
- Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung durch gegenseitige Anerkennung bereits erbrachter Leistungen fördern
- Durchlässigkeit von beruflicher und akademischer Bildung klar kommunizieren
- Hochschule und Universität enger mit Ausbildungsbetrieben bzw. Auszubildenden verknüpfen
- Austausch zwischen Lehrpersonal an Hochschulen sowie in Unternehmen und Berufsschulen intensivieren
Duales Studienangebot ausbauen
Das duale Studium verbindet die Vorteile des beruflichen Bildungssystems mit denen des akademischen Systems. Die Hochschule Osnabrück bietet zurzeit – vor allem am Standort Lingen, aber auch in Osnabrück – bereits verschiedene duale Studiengänge an. Absolventen dieser Studiengänge werden auch von den Unternehmen im Landkreis Grafschaft Bentheim stark nachgefragt. Ein duales Studienangebot leistet insofern einen Beitrag, junge Nachwuchs-Fach- und Führungskräfte an die Region zu binden.
Die dualen Studienangebote sollten dem Bedarf der Wirtschaft im Landkreis Grafschaft Bentheim folgend weiterentwickelt werden. Hierzu gehört auch die Verständigung auf Qualitätskriterien für die Praxisphasen. Im Rahmen des schon jetzt guten Miteinanders bietet die regionale Wirtschaft an, sich bei der Konzeptionierung und Akkreditierung der Studiengänge einzubringen. Ziel sollte sein, die Verbindung von Theorie und Praxis systematisch zu stärken.
Zum Ausbau des Angebots an dualen Studiengängen sind folgende Maßnahmen wichtig:
- Ausbildungsintegrierte duale Studiengänge weiter fördern
- Neue duale Angebote am Standort Lingen schaffen
- Duale Studienangebote am Bedarf der Wirtschaft ausrichten, auf Qualitätskriterien für die Praxisphasen verständigen und Praxisanteil erweitern
- Wirtschaft bei Konzeptionierung und Akkreditierung der Studiengänge beteiligen