Bundestagswahl ein politisches „Erdbeben“

NOZ-Korrespondentin Rena Lehmann berichtete im IHK-Mittagsgespräch über Koalitionsverhandlungen.

Die Koalitionsgespräche der Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP wurden unter großer Vertraulichkeit geführt. In insgesamt 22 Arbeitsgruppen verhandelten in diesen Wochen rund 300 Politikerinnen und Politiker. Über die aktuelle Lage in Berlin diskutierten jetzt beim IHK-Mittagsgespräch rund 30 Unternehmerinnen und Unternehmer mit Rena Lehmann, der Berlin-Korrespondentin der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ), die einen aktuellen Bericht gab.
„Die Bundestagswahl war ein politisches Erdbeben“, sagte Lehmann. Schon jetzt zeichneten sich umfangreiche, auch personelle Veränderungen ab. Altgediente Politgrößen wie Wolfgang Schäuble träten in den Hintergrund, andere, bisher der breiten Öffentlichkeit eher unbekanntere Personen wie etwa Bärbel Bas, die neu gewählte Bundestagspräsidentin, übernähmen wichtige Posten.
Vor dem Hintergrund des insbesondere zwischen FDP und Grünen teilweise konfrontativ geführten Wahlkampfs wertete Lehmann die bisher nach außen einvernehmlichen Verhandlungen positiv. Zwar gebe es große inhaltliche Gegensätze der Ampel-Parteien, etwa bei wirtschaftlichen, finanzpolitischen, sozialen und ökologischen Fragen. Eine wichtige Gemeinsamkeit sei allerdings, sich in der neuen Legislaturperiode für Modernisierung und Digitalisierung einsetzen zu wollen.
Auch IHK-Vizepräsident Hans-Christoph Gallenkamp bewertete die bisherigen Koalitionsverhandlungen ebenfalls positiv: „Bisher sind aus den Beratungen nur wenige Informationen nach außen gedrungen. Wir können daher festhalten: Nicht nur der Zeitplan bis zur geplanten Wahl des gebürtigen Osnabrückers Olaf Scholz zum Bundeskanzler Anfang Dezember ist ambitionierter als vor vier Jahren. Auch die Gespräche der möglichen Koalitionspartner einer Ampel-Koalition verlaufen bisher deutlich vertraulicher ab als die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen des Jahres 2017.“ Er halte dies für ein gutes Signal.
Die bisherigen Zwischenergebnisse beinhalten nach Auffassung des IHK-Vizepräsidenten positive Aspekte – etwa die Zusage im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP, bei Beibehaltung der Schuldenbremse auf Steuererhöhungen zu verzichten. „Denn höhere Unternehmenssteuern wären in dieser Phase der Pandemie Gift für den konjunkturellen Aufschwung“, so Gallenkamp. Auch die Absicht, die Dauer von Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu halbieren, finde die ausdrückliche Zustimmung der Wirtschaft.
Allerdings wurden im Mittagsgespräch auch kritische Aspekte diskutiert. „Angesichts der nach oben schnellenden Corona-Infektionen droht der Ampel-Koalition ein Fehlstart“, so Lehmann. Sie berichtete, dass es unter den 22 Arbeitsgruppen keine Arbeitsgruppe gegeben habe, die sich fokussiert mit der Corona-Pandemie beschäftige. „Themen wie die Corona- oder aktuell auch die Situation an der polnisch-weißrussischen Grenzen verlangen nach Führung. Insofern wäre es wichtig, dass die neue Regierung möglichst schnell kraftvoll loslegt“, so Lehmann.
Das trifft auch für die Klimapolitik zu, für die die Gesprächsteilnehmer das richtige Maß einforderten. „Natürlich gilt das Bekenntnis der Wirtschaft zu den internationalen Klimaverträgen. Bei der Umsetzung kommt es aber darauf an, den Industriestandort nicht zu gefährden. De-Karbonisierung durch De-Industrialisierung ist kein Zukunftsmodell, das andere Länder bei uns abschauen würden. Die globale Wirkung eines deutschen Alleingangs wäre minimal“, erklärte IHK-Hauptgeschäftsführer Marco Graf.