Das Startup-Ökosystem Osnabrück

„Hätten wir vor fünf Jahren gewusst, wo wir heute stehen, wären viele Diskussionen und Überzeugungsversuche unnötig gewesen.“ Mit diesen Worten fasst  Florian Stöhr, Geschäftsführer der Seedhouse Accelerator GmbH die entscheidenden Monate zusammen,  in denen das begann, was heute ist.
Als Stadt und Landkreis Osnabrück gemeinsam mit einigen mutigen Unternehmen aus der Region im Jahr 2018 das Seedhouse aufstellten, hätte sich wohl keiner der Beteiligten vorstellen können, was nur fünf Jahre später, trotz Corona, Inflation und Ukraine-Krieg in Osnabrück entstanden ist. Ein Ökosystem, das sich nicht etwa nur selbst bespielt, sondern bis Bremen, Paderborn, Dortmund und Berlin ausstrahlt. Inzwischen sogar bis ins Ausland. „Wir erhalten immer mehr Anfragen von Startups, etwa aus Frankreich, Israel oder Kanada, die gerne zu uns nach Osnabrück kommen wollen“, sagt Stöhr. Das Seedhouse hat bis jetzt fast 50 Startups in den Bereichen Agrar, Food und Digital gefördert und begleitet. Und es werden beständig mehr.

„Hightech-Inkubator“

2022 kam mit dem Growhouse ein Hightech-Inkubator für eben diese Bereiche Agrar, Food und Digital hinzu. Ein Konsortium aus dem Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik e. V. (DIL), der Aloys und Brigitte Coppenrath Stiftung und der Seedhouse Accelerator GmbH ermöglicht so eine noch intensivere Förderung erfolgversprechender Startups. Während die Zeit im Seedhouse auf sechs Monate begrenzt ist, wird im Growhouse bis zu zwei Jahre begleitet. Positiver Nebeneffekt: Durch die Beteiligung des DIL wirkt das Startup-Ökosystem in-zwischen bis in den Landkreis Osnabrück. So sind beim DIL in Quakenbrück nun ebenfalls Startups angesiedelt. Und Florian Stöhr denkt weiter: „Wir wollen in Kürze auch im Emsland eine Dependance des Seedhouse etablieren, um auch diese Region an das Startup-Ökosystem zu binden.“ Was mit dem Seedhouse Accelerator, der Startup-Kaderschmiede für Geschäftsideen in den Bereichen Agrar, Food und Digital begann, erhielt zudem 2021 mit dem Osnabrück Healthcare Acce lerator (OHA) ein Pendant im Bereich Gesundheit und Pflege. Halbjährlich finden nun auch dort je sechs Startups finanzielle Unterstützung, Coworking-Space und das Know-how, um die eigenen Ideen zu formen und bis zur Marktreife voranzutreiben. Bereits 2022 folgte dann mit dem Smart City House der dritte Accelerator, der sich auf die Förderung von Startups mit Ideen für die Stadt der Zukunft konzentriert. Dies können angehende Unternehmer mit Ideen zu Themen wie Verkehr, Energie oder auch nachhaltiger Stadtentwicklung sein.
Den Unterbau dieser drei Acceleratoren, auch: Beschleuniger, bilden zum großen Teil private Gesellschafter. Beteiligt sind u. a. die Q1 AG, Grimme, Krone und die Berentzen-Gruppe. Das Seedhouse ist inzwischen aus der ursprünglichen Public-Private-Partnership herausgewachsen, die Gesellschafterstruktur ist rein privat. Am OHA und dem Smart City House ist die öffentliche Hand noch mittelbar über WFO oder die Stadtwerke Osnabrück beteiligt. Aber inzwischen wird immer klarer, dass sich das Startup-Ökosystem von selbst trägt. Die Anschubfinanzierung ist geglückt.

„Kooperation hat Tradition“

Bei den Gründen für den Erfolg des Startup-Ökosystems sticht ein Grund heraus. „Kooperation hat in Osnabrück Tradition. Die verschiedenen Akteure im Startup-Ökosystem arbeiten vertrauensvoll zusammen, um die Startups zu unterstützen. Das umfasst gemeinsame Seminare und Workshops, die wir zu Themen wie Pitch-Training, Fördermitteln oder rechtlichen Themen geben, aber auch unsere Plattform startup-osnabrueck.com, auf der sich das Ökosystem präsentiert“, sagt Lars Brendler, bei der Wirtschaftsförderung Osnabrück für Innovation, Gründungen und Startups zuständig. „Als WFO, an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung, verstehen wir es als Aufgabe, die Zusammenarbeit zu moderieren und auszubauen. Ideen gibt es auf jeden Fall genug“. Und so wächst mit jedem Batch – den halb-jährlichen Entscheidungen in den Acceleratoren, welche Startups gefördert werden – die Zahl der Startups, die sich der Region Osnabrück verbunden fühlen. Im Seedhouse steht aktuell Batch 11 an. Es können erneut sechs Startups aufgenommen werden. „Wegen der vielen überregionalen Teams, die im Seedhouse, OHA oder Smart City House gefördert werden, macht sich Osnabrück auch deutschlandweit einen Namen als Startup-Hotspot mit hervorragenden Rahmenbedingungen“, sagt Brendler.

20 starke Investoren

Aber auch beim Thema Geld könnte sich in Zukunft etwas ändern. Seit August 2022 ist mit einem neuen Venture-Fonds, der Scalehouse Capital Management GmbH, ein neues finanzielles Schwergewicht im Startup-Ökosystem entstanden. In diesem engagieren sich 20 starke Investoren aus einschlägigen Bereichen wie Agrar und Ernährung, Logistik, aber auch Erneuerbaren Energien. Auch das Land Niedersachsen ist beteiligt. Der Deal geht so: Das Land gibt 10 Mio. Euro Kapital, wenn die Investoren zuvor die gleiche Summe vorstrecken. Dies ist geschehen und sogar noch übertroffen worden. Aktuell plant das Scalehouse mit 24 Mio. Euro Kapital über die kommenden drei Jahre.
Erst vor wenigen Wochen verkündete die Scalehouse Capital Management GmbH mit dem OHA und der BMH Beteiligungs-Managementgesellschaft Hessen den millionenschweren Einstieg in das Startup Ankaadia GmbH. Insgesamt stellt das Konsortium 1,8 Mio. Euro zur Verfügung. Die Gründer der Ankaadia GmbH stammen aus Hessen und sind im aktuellen Batch #2 im OHA ansässig. Die Investoren haben die Hoffnung, dass Ankaadia die Erwerbsmigration in Industrienationen entscheidend beschleunigen kann. Das Startup entwickelte hierzu eine Software-Lösung, um den Prozess der Anwerbung, Berufsanerkennung und Integration von internationalen Fachkräften – angefangen bei Pflegefachkräften – im Austausch mit Bundes- und Landesbehörden zu digitalisieren und zu automatisieren. Weitere Fachberufsgruppen sollen folgen.

desk.ly GmbH wächst weiter

Vor Ankaadia hatte das Scalehouse bereits in die desk.ly GmbH aus Osnabrück investiert, die zeigt, dass die Startup-Szene nicht nur aus den Acceleratoren, sondern auch aus der heimischen Wirt-schaft direkt erwächst. Noch 2021 war Amir El Sayed Business Unit Director bei der basecom GmbH & Co. KG aus Osnabrück. Sein Geschäftspartner Felix Mohr war dort Produktmanager. Sie verantworteten die Cloud-Lösungen im Bereich Desksharing, sprich, die digitale Organisation innerbetrieblicher Büro- und Konferenzraumflächen. Ein gerade in Corona-Zeiten boomendes Geschäft. Aber Cloud-Lösungen sind teuer und Corona nicht dauerhaft. Als sich Ende 2021 zeigte, dass der Geschäftsbereich ausgegründet und verkauft werden könnte, schlagen El Sayed und Mohr zu. Sie gründen im Einvernehmen mit ihrem Arbeitgeber im Rahmen eines Management Buy Outs aus und wechseln gemeinsam mit den am Projekt beteiligten Mitarbeitern in eine andere Etage des Firmensitzes. Das Scalehouse unterstützt dies mit dem nötigen Kapital und wird Minderheitsgesellschafter der neu gegründeten desk.ly GmbH. El Sayed und Mohr entwickeln das Desksharing-Konzept derweil wei ter zu einer Hybrid Work-Plattform. „Heute, knapp 18 Monate später, haben wir uns am Markt etabliert“, sagt Amir El Sayed. „Wir haben unsere täglichen Nutzerzahlen um den Faktor 30 gesteigert und 60 % mehr Mitarbeiter.“ Neben lokalen Unternehmen, finden sich unter den Kunden auch national wie international bekannte Unternehmen wie Audi und das ZDF.
Dass ihre Geschäftsidee auch bei eher konservativ auftretenden Unternehmen ankommt, sieht auch Felix Mohr. „Viele alteingesessene Unternehmen sind zunächst zwar interessiert, aber auch überzeugt, dass sie keinen Handlungsbedarf haben. Ich frage dann meist, ob das Unternehmen nicht wissen will, wie viel Prozent der Bürofläche tatsächlich genutzt werden. Dann beginnen viele, das Einsparpotential zu berechnen.“ Mit steigenden Nutzerzahlen entwickelt sich desk.ly so immer mehr zu einem datengestützten Feldforschungstool, das für Konzerne, Immobilienunternehmen sowie Stadtplaner interessant werden kann. „Wir ergänzen unser Angebot weiter und können inzwischen viel zu Büro- und Flächenbedarfen, aber auch zu Bewegungsströmen sagen“, so Mohr. „Vielleicht ist dieses datengetriebene Wissen in einem lernenden System bald die nächste Stufe der Entwicklung von desk.ly“, sagt Amir El Sayed. Beide sind sich sicher: „Hybrides Arbeiten ist gekommen um zu bleiben. Viele Arbeitskräfte, besonders aber auch die Jüngeren, können sich ein anderes Arbeiten nicht mehr vorstellen.“
Eine Binse sagt, dass knapp neun von zehn Startups vor der Profitschwelle scheitern. Umso mehr strahlen jene, die es geschafft haben. Die Akteure im Startup-Ökosystem von den Acceleratoren über die als Gesellschafter engagierten Unternehmen bis hin zu WFO, Stadt und IHK arbeiten hart dafür, dass der Prozentsatz erfolgreicher Startups in unserer Region deutlich höher liegt.

“Events wie die innovate! stärken die Startup-Szene“

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Mit der innovate!osnabrück im Sommer (S. 38) und der innovate!convention im Herbst organisiert Felix Willert die zwei wichtigsten Events der regionalen Startup-Szene. © SIMONE REUKAUF FOTOGRAFIE
Das sagt Felix Willert, Prokurist der Innovate GmbH, der maßgeblich die Organisation dieser Events übernommen hat. „Das Startup-Ökosystem ist in der Region Osnabrück in den vergangenen Jahren immer stärker und schneller gewachsen. Es gibt viele neue Startups, die sich hier gebildet haben oder nach Osnabrück gekommen sind. Für diese Teams und alle Akteure, die in das Netzwerk eintauchen wollen, ist die innovate!osnabrück. Sie ist eine Plattform für neue Ideen, neue Kontakte und alle, die sich und ihr Unternehmen weiterentwickeln wollen.“ Dass eine Osnabrücker Version der bereits länger durchgeführten innovate!convention sinnvoll ist, begründet Willert mit folgenden Zahlen: „Die innovate!convention ist überregional aufgestellt. Wir wollten daher eine speziell auf das Ökosystem vor Ort zugeschnittene Alternative schaffen. Die innovate!osnabrück, hat in diesem Jahr erst zum zweiten Mal stattgefunden. Dennoch haben wir mit mehr als 400 Teilnehmern fast doppelt so viele Interessierte mobilisiert wie im letzten Jahr. Diese Resonanz ist überwältigend gut und zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Robert Alferink
Recht und Steuern
Projektleiter

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