Industrie statt Acker

von Dr. Thomas Brakmann, Leiter des Nd. Landesarchivs, Abteilung Osnabrück
Im Jahr 1950 wurde der „Emslandplan“ ausgerufen und es begann die beispiellose ­Entwicklung einer ganzen Region. Die Jubiläumspublikation „75 Jahre Emslandplan“ gibt interessante Einblicke in die Emslanderschließung. Mitautor ist Dr. Thomas Brakmann, Leiter des Nds. Landesarchivs, Abteilung Osnabrück. Lesen Sie einen Text­auszug, wie auf Ackerland eine hoch dynamische Wirtschaftsregion wuchs.

Am Anfang stand die Emsland AG

MEPPEN | Zwei Fakten vorab: Der „Wirtschaftsraum Emsland“ – anders als der 1977 gegründete Landkreis – erstreckte sich über das Gebiet der damaligen Landkreise Aschendorf-Hümmling, Grafschaft Bentheim, Lingen und Meppen. Nachdem der Plan initiiert war, wurde 1951 die Emsland GmbH gegründet, die bis 1989 auf der Basis des Bundestagsbeschlusses vom 5. Mai 1950 den Plan betreute. Von ihrer in Meppen eingerichteten Geschäftsstelle aus führte sie die vielfältigen Arbeiten wie die Entwässerung, die Schaffung neuer Siedlerstellen sowie neuer landwirtschaftlicher Nutzflächen koordinierend durch.

Ab den 1960ern: Gewerbe und Industrie im Fokus

Ab den 1960er Jahren zeichnete sich eine Akzentverschiebung in der Erschließungspolitik der Emsland GmbH ab: von der landwirtschaftlichen Erschließung hin zur stärker auf die Einbeziehung von Industrie, Gewerbe und Infrastruktur gerichteten Strategie. Bei ­einer Aufsichtsratssitzung verdeutlichte auch der damalige IHK-Präsident Dr. Rudolf Beckmann, warum sich das Emsland nicht allein auf Torf, Öl und Textil stützen durfte: „Es müssten Gewerbe und Industrie angesiedelt werden“, forderte er pointiert, um die Beschäftigten aus der Landwirtschaft aufzunehmen.

Kernfrage: Wohin gehen die Fördermittel?

Parallel dazu entbrannte eine politische Debatte über die Verwendung der Sondermittel: Während die Landwirtschaftsressorts auf agrarische Förderungen pochten, drängten Landkreise und kommunale Vertreter auf einen flexibleren Mitteleinsatz zugunsten gewerblicher und infrastruktureller Projekte. Erst mit der Aufhebung der strikten Zweckbindung 1972 gewann die Industriepolitik spürbar an Zulauf: Flossen zwischen 1951 und 1965 noch rund 60 % der Mittel in Agrarmaßnahmen, sank der Anteil in den Folgejahren auf 38 %. Infrastrukturprogramme wuchsen von 30 auf 50 %, und die Industrie- sowie Gewerbeförderung stieg von 3 auf über 12 %.

Anfang 1972: Starkes Wachtum des Beschäftigtenzahlen

Die Neuausrichtung zeigte Wirkung: Bereits Anfang 1972 war die Zahl der Industriebetriebe mit mehr als zehn Beschäftigten von 456 (1963) auf 540 (1970) gestiegen. Die Beschäftigtenzahl stieg hier von knapp 50 000 auf über 57 000, während sie im Bereich der Landwirtschaft von 49 auf 22 % sank. Ein besonders anschau­liches Beispiel für den Branchenaufschwung ist die Ansiedlung der Nordland Papier GmbH 1969 in Dörpen. Mit einer Förderung von fast 6 Mio. DM für Wasser- und Abwasseranlagen sowie den Aufbau der Infrastruktur beteiligte sich die Emsland GmbH zu 50 % an den Erschließungskosten. Schon im ersten Ausbauschritt rechnete man mit 400 Arbeitsplätzen, darunter 80 für Frauen, und setzte bewusst auf die Qualifizierung von Quereinsteigern aus der Region.

Studie bestätigt dynamisches Wachstum

Der Erfolg machte Schule: Eine Studie der Ruhr-Universität ­Bochum bestätigte 1972, dass Landwirte vermehrt Nebenerwerbsstellen in der Industrie suchten. Anfang der 1980er Jahre bezeichneten Politiker wie Hans-Gert Pöttering das Emsland gar als Blaupause für die Entwicklung strukturschwacher Regionen in Europa. Heute gilt das Kerngebiet des Emslandplans als wirtschaftlich gesund und dynamisch gewachsen – ein Beleg dafür, wie viel Potenzial in einer klugen Mischung aus Agrar-, Industrie- und Infrastrukturförderung liegt.

IHK: “2025 gibt es auch ein ´Aber´”

„Die positive Entwicklung hat sich bis in das neue Jahrtausend fortgesetzt – nicht zuletzt gefördert durch Infrastrukturmaßnahmen wie den Bau der A 31“, sagt Frank Hesse, IHK-Geschäftsbereichsleiter Öffentlichkeitsarbeit, Wirtschaftspolitik, International. Es gäbe aber auch ein Aber, denn: „Aktuell steht die Industrie durch negative Entwicklungen wie die Energiekrise, die Bürokratieüberlastung oder die Zollpolitik der USA deutlich unter Druck. Insofern ist die Fortsetzung der Erfolgsstory kein Selbstläufer, sondern muss durch politische Reformen flankiert werden.“
Frank Hesse
Öffentlichkeitsarbeit, Wirtschaftspolitik, International
Stv. Hauptgeschäftsführer, Geschäftsbereichsleiter