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"Berufliche Weiterbildung muss selbstverständlich werden"
von Juliane Hünefeld-Linkermann, IHK
Für unser Titelinterview im April 2025 sprachen wir mit Tina Heliosch, die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Osnabrück.
Seit dem 1. Oktober 2024 ist Tina Heliosch die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Osnabrück. Erklärtes Ziel von Heliosch ist es, die Transformation, die auch in der Region Osnabrück stattfindet, erfolgreich mitzugestalten. Bereits seit 2016 leitet sie als Vorsitzende der Geschäftsführung die Agentur für Arbeit Vechta. Wir sprachen mit Tina Heliosch über Transformationsprozesse und aktuelle Trends in der beruflichen Bildung.
_ Frau Heliosch, was sind aktuell die größten Herausforderungen, vor denen die berufliche Bildung in Deutschland steht?
Zu den größten Herausforderungen zählt ganz sicher die Fachkräftesicherung. Angesichts der Transformation in der Arbeitswelt entstehen viele neue Anforderungen, für die wir heute schon nicht genügend Fachkräfte haben. Wir sehen stattdessen einen hohen Anteil an Menschen, die keinen Berufsabschluss haben. Es muss uns gelingen, diese einzubinden. Mit Blick auf die Zukunft müssen wir für alle das Thema systematische Weiterbildung etablieren.
_ Welche Rolle spielt die Agentur für Arbeit bei der Unterstützung und Weiterentwicklung der beruflichen Bildung?
Wir sind eine verlässliche Partnerin vom Einstieg in das Berufsleben bis zum Ruhestand, also in allen Phasen des Berufslebens. Beschäftigten bieten wir mit unserer „Berufsberatung für Erwachsene“ Orientierung bei der Karriere- und Entwicklungsplanung. Da kann es um die Aktualisierung und Erweiterung des vorhandenen Wissens durch Weiterbildung gehen oder auch eine berufliche Neuorientierung. Gerade bei Qualifizierungsfragen beziehen wir dann auch die Unternehmen mit ein. Unser Ziel ist es, Beschäftigte und Unternehmen bei ihrer Zukunftsperspektive zu unterstützen.
Wir sprachen mit Tina Heliosch (die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Osnabrück) zum Thema berufliche Weiterbildung und Trends der beruflichen Bildung.
_ Wie beeinflussen aktuelle Trends die berufliche Bildung und welche Fähigkeiten werden in Zukunft besonders wichtig sein?
Wir sind mitten in einer großen Transformation, die Tätigkeiten verschwinden lässt, neue Tätigkeitsinhalte definiert oder gänzlich neue Berufe schafft. Im Alltag müssen wir uns zunehmend mit digitalen Inhalten, „Augmented Reality“ und Künstlicher Intelligenz (KI) auseinandersetzen. Diese Umgebung verlangt nach anderen Fertigkeiten als unsere frühere, rein analoge Welt. Es braucht eine grundsätzliche digitale Kompetenz, die Fähigkeit zur Interaktion mit einer KI und zunehmend technologische Kenntnisse. Und auf der anderen Seite braucht es Kompetenzen wie eigenständiges, kreatives Arbeiten, Lernbereitschaft sowie Kollaborations- und Adaptionsfähigkeit. Die berufliche Bildung muss die Vermittlung dieser „Future Skills“ im Blick haben.
_ Gibt es Berufe, die in den nächsten Jahren besonders an Bedeutung gewinnen? Welche Ausbildungen werden dann die Zukunft sein?
Sie können die „Berufe der Zukunft“ im Prinzip an den drei großen „D“ festmachen: Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung. Je älter die Menschen werden, umso wichtiger werden Pflege- und Gesundheitsberufe. Digital orientierte Berufe, wie beispielsweise im Digital-Marketing und Onlinehandel, werden boomen. Weiter Profile, die sich – in welcher Form auch immer – mit dem Einsatz von KI beschäftigen. Beim Thema Klima werden viele Berufe wichtiger werden, die dabei helfen, die Energiewende voranzubringen – das wird handwerkliche Tätigkeiten betreffen und auch das Wirken in technologischen Thinktanks.
_ Angesichts des Fachkräftemangels: Welche konkreten Maßnahmen müssen wir ergreifen, damit die berufliche Bildung den Bedarf an qualifizierten Fachkräften decken kann?
Vorweg: Berufliche Aus- und Weiterbildung sind zwar wesentliche Elemente, um systematisch und in größerem Umfang viele Fachkräfte zu entwickeln. Allerdings wird das nicht reichen. Auch die höhere Beteiligung am Erwerbsleben von Frauen, Älteren, aber auch qualifizierte Rekrutierung aus dem Ausland sind beispielsweise wichtige Hebel. Zu Ihrer Frage: Es muss uns gelingen, Weiterbildung so zu realisieren, dass uns keine Potentiale verlorengehen.
Für Unternehmen muss das Thema Weiterbildung im Zentrum der Unternehmensentwicklung stehen. Die Frage muss lauten: Wie entwickelt sich mein Geschäftsfeld, und welches Personal brauche ich dafür? Die Notwendigkeit für regelmäßige Weiterbildung muss auch bei den Beschäftigten ins Bewusstsein. Nicht zu vergessen: Wir benötigen natürlich die entsprechenden Weiterbildungsangebote. Die Arbeitsagentur begleitet Unternehmen, Beschäftigte und Arbeitslose bei diesen Fragen.
_ Wie hilft die Agentur für Arbeit dabei, junge Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen? Gibt es spezielle Programme für benachteiligte Gruppen?
Die jungen Menschen und auch deren Eltern brauchen Unterstützung dabei zu verstehen, wie der Arbeitsmarkt funktioniert und welche Wege in den Beruf erfolgversprechend sind. Dafür gehen wir in die Schulen, laden zu Elternabenden, ins Berufsinformationszentrum oder zu Beratungsgesprächen ein. Für den Einstieg gibt es Möglichkeiten wie ein vorgeschaltetes Betriebspraktikum, die sogenannte Einstiegsqualifizierung, oder auch die assistierte Ausbildung, die diverse Unterstützungsangebote während der eigentlichen Ausbildung umfasst. Bei Jugendlichen, die besondere Unterstützungsbedarfe haben, bieten wir individuelle Fördermöglichkeiten.
_ Wie kann die berufliche Weiterbildung dazu beitragen, dem Fachkräfteengpass bei den beruflich Qualifizierten entgegenzuwirken?
Auch die berufliche Weiterbildung befindet sich in einer Transformationsphase. Sie muss, sozusagen, selbst Adaptionsfähigkeit beweisen und für mehr Beschäftigte zugänglich werden. Das Thema Weiterbildung kann perspektivisch nicht mehr nur eine Option sein, sondern muss ein selbstverständlicher Teil des Berufslebens werden. Und den Unternehmen sollte bei dem zurückgehenden Erwerbspersonenpotential bewusst sein, dass die Investition in das eigene Personal die sinnvollste Alternative ist. Wer in den eigenen Reihen motivierte Kräfte hat, die nach einer Weiterbildung vakante Positionen besetzen können, der hat es leichter, dem Fachkräfteengpass aktiv zu begegnen.
_ Was würden Sie der Politik und Gesellschaft an Anregungen mit auf den Weg geben, um die berufliche Bildung in Deutschland zu stärken?
Es muss gelingen, als Gesellschaft zu verinnerlichen, wie wichtig eine gute Bildung für alle in der Jugend ist, und dass diese im Berufsleben nicht aufhören darf. Es muss unbedingt deutlich mehr in Bildung und Weiterbildung investiert werden, damit wir die vorhandenen Potentiale besser einbinden können. Wichtig ist, dass wir es schaffen, für Chancengleichheit bei der Bildung zu sorgen und diese allen zugänglich zu machen.
Kontakt

Juliane Hünefeld-Linkermann
Aus- und Weiterbildung
Stv. Hauptgeschäftsführerin, Geschäftsbereichsleiterin