"Wir müssen zeigen, dass wir Teil der Zukunft sind"

von Anke Schweda, IHK
Seit Ende 2023 steht die Schottin Paula Wilson an der Spitze der bp Raffinerie in Lingen. Mit ihr haben wir über die Energiewende, die Herausforderungen und ihre Vision für den Standort gesprochen.
Seit über 70 Jahren verarbeitet die bp Raffinerie in Lingen Rohöl zu Kraftstoffen, Kerosin, Heizöl und chemischen Grundstoffen. Heute steht der Standort vor einem tiefgreifenden Wandel. Das traditionelle Raffineriegeschäft muss zukunfts- und wettbewerbsfähig bleiben. Zugleich investiert bp in ein neues Geschäftsmodell: Mit dem Projekt „Lingen Green Hydrogen“ entsteht in Lingen die weltweit größte industrielle Anlage des Unternehmens zur Produktion von grünem Wasserstoff.
_ Frau Wilson, Sie führen die Raffinerie Lingen seit dem 1. Dezember 2023 und bringen über 20 Jahre internationale Erfahrung in der Energiebranche mit. Was war Ihr erster Eindruck von Lingen und wo sehen Sie den Schwerpunkt Ihrer Arbeit?
Mich hat sofort die starke Verbundenheit der Mitarbeitenden mit dem Standort beeindruckt – dieser Teamgeist erinnert mich an meine Zeit auf Offshore-Plattformen, wo man ebenfalls sehr familiär zusammenarbeitet. Meine Rolle in Lingen bietet mir die Chance, Verantwortung für einen Standort zu übernehmen, der mitten im Wandel steckt. Ich sehe es als meine Aufgabe, den sicheren Betrieb zu gewährleisten und gleichzeitig die Transformation mitzugestalten – damit wir auch künftig als verlässlicher Arbeitgeber und Teil der Energieversorgung in der Region bestehen können.
_ Kurz vor Weihnachten 2024 hat bp die finale Investitionsentscheidung für das Projekt „Lingen Green Hydrogen“ getroffen. Was genau steckt dahinter – und wie lässt es sich mit dem klassischen Raffineriegeschäft verbinden?
Wir bauen direkt neben der Raffinerie einen 100-Megawatt-Elektrolyseur – bp‘s bislang größte Anlage für grünen Wasserstoff weltweit. Die Inbetriebnahme ist für 2027 geplant. Der Wasserstoff wird mit erneuerbarem Strom produziert und kann industriellen Kunden zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig kann er auch in unserer Raffinerie zum Einsatz kommen, um den derzeit im Produktionsprozess genutzten grauen Wasserstoff zu ersetzen und so die Emissionen am Standort deutlich zu reduzieren. Das Projekt wurde im Rahmen der IPCEI-Initiative mit Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums und des Landes Niedersachsen gefördert und ist ein wichtiger Baustein für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland.
_ Wie schätzen Sie die politischen Rahmenbedingungen für den Markthochlauf von grünem Wasserstoff in Deutschland ein?
Wasserstoff ist ein zentraler Baustein für das Energiesystem von morgen – aber noch fehlt es an ­stabilen Rahmenbedingungen. Unsere Investitionsentscheidung haben wir trotz bestehender Unsicherheiten getroffen – nun sind die politischen Entscheidungsträger gefragt. Es braucht klare Anreize für den Markthochlauf, insbesondere auf der Nachfrageseite. Auch sollten sowohl grüner als auch blauer Wasserstoff technologieneutral betrachtet und gefördert werden. Wichtig ist aus unserer Sicht außerdem, dass Regularien praxistauglich sind – hier wünschen wir uns mehr Flexibilität.
Wichtig ist, dass die Regularien praxistauglich sind
_ Und mit Blick auf die Region: Welche Chancen sehen Sie für den Einsatz und die Nutzung von grünem Wasserstoff im Emsland?
Das Emsland ist ideal für die Entwicklung einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft. Die Region vereint industrielle Erfahrung, starke Infrastruktur, erneuerbare Energiequellen und ein aktives Netzwerk. Wir arbeiten eng mit der H2-Region Emsland zusammen, die zentrale Plattform für Wasserstoff-Initiativen in der Region. Dass das Emsland 2024 als EU Hydrogen Valley ausgezeichnet wurde, zeigt, wie weit wir hier schon sind. Unser Projekt in Lingen profitiert enorm von diesem Umfeld – und stärkt zugleich die Region als Wasserstoffstandort.
_ Das Raffineriegeschäft steht derzeit unter erheblichem Druck. Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Herausforderungen?
Die Nachfrage nach konventionellen Kraftstoffen wird mittelfristig zurückgehen – das stellt alle Raffinerien in Deutschland vor große Herausforderungen. Hinzu kommt die wachsende Konkurrenz aus Regionen mit günstigeren Produktionsbedingungen. Auch für uns in Lingen verschlechtern sich strukturelle Rahmenbedingungen: Der Rückgang von lokal verfügbarem Rohöl erhöht unsere Logistikkosten, die ländliche Lage erschwert den Zugang zu großen Absatzmärkten. Unsere Antwort darauf ist ein konsequentes Kostenmanagement, um auch künftig wettbewerbsfähig zu bleiben. Eine weitere Herausforderung sind die steigenden CO2-Preise durch das europäische Emissionshandelssystem – hier braucht es dringend faire Lösungen auf politischer Ebene, denn hier haben wir einen enormen Wettbewerbsnachteil durch Kosten, die außereuropäische Raffinerien nicht haben.
_ Die Raffinerie in Lingen ist die letzte verbliebene Kraftstoffraffinerie in Niedersachsen. Welche Rolle spielt der Standort heute noch für die Versorgungssicherheit in der Region – und darüber hinaus?
Lingen ist ein zentraler Bestandteil der Energie- infrastruktur in Nordwestdeutschland. Wir beliefern einen Großteil der Tankstellen in der Region mit Kraftstoffen – ein Ausfall hätte schnell spürbare Auswirkungen, nicht zuletzt in Krisenzeiten. Auch der Flughafen Hannover erhält zum Beispiel von hier Kerosin. Darüber hinaus liefern wir wichtige Vorprodukte für die chemische Industrie. Grundsätzlich sind die Lieferketten in Deutschland robust aufgestellt – und Lingen ist ein Teil davon.
_ Die bp-Gruppe hat im Februar angekündigt, wieder stärker auf fossile Energieträger zu setzen. Kritiker sehen darin einen Rückschritt in der Energiewende. Wie ordnen Sie diesen Schritt ein? Was bedeutet er konkret für Lingen?
Es geht nicht um ein Zurückdrehen der Energiewende, sondern um eine realistische Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten. Die Energiewende verläuft langsamer als ursprünglich erwartet – deshalb fokussiert sich bp künftig stärker auf wirtschaftliche Stabilität und Disziplin bei Investitionen. Für Lingen heißt das: Wir müssen unsere Stärken ausspielen und zeigen, dass wir Teil der Zukunft sind – sowohl im klassischen Raffineriebereich als auch im Rahmen der Energiewende. Unser Wasserstoffprojekt ist dafür ein starkes Signal. Entscheidend wird sein, dass wir als Standort leistungsfähig, kosteneffizient und wettbewerbsfähig bleiben.
_ Ein Blick in die Zukunft: Wenn Sie in zehn Jahren auf das Jahr 2025 zurückschauen – was wünschen Sie sich, wie sich der Standort bis ­dahin entwickelt hat?
Ich wünsche mir, dass wir unsere Ziele erreichen – wirtschaftlich, technologisch und menschlich. Dass wir ein wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell etabliert haben, das Arbeitsplätze sichert und Zukunftsperspektiven bietet. Ich hoffe, dass wir auch unser 80-jähriges Jubiläum 2033 genauso stolz gefeiert haben werden, wie das 70-jährige vor zwei Jahren – und damit ein Zeichen für Kontinuität und Wandel zugleich gesetzt haben. Dafür braucht es gemeinsames Engagement: von Unternehmen, Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Nur gemeinsam gelingt der Kraftakt Transformation.
Anke Schweda
Standortentwicklung, Innovation und Energie
Geschäftsbereichsleiterin, Mitglied der Geschäftsführung