Buch vorgestellt: Lingen in der NS-Zeit
von Frank Hesse, IHK
LINGEN | Auf gut 480 Seiten wird erstmals die Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 in Lingen umfassend dargestellt. Die Beiträge beleuchten u. a. die Gleichschaltung städtischer Institutionen, die Ausgrenzung und Verfolgung von Minderheiten sowie die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf die Stadtgesellschaft. Zwei zusätzliche Kapitel richten den Blick zudem auf die Vor- und Nachgeschichte des Nationalsozialismus in Lingen.
“Lang bestehende Forschungslücke”
Oberbürgermeister Dieter Krone betonte die historische Bedeutung der Veröffentlichung: „Mit diesem Werk schließen wir eine lange bestehende Forschungslücke. Die nationalsozialistische Vergangenheit Lingens schien lange Zeit im Schatten der Erinnerung zu liegen – das 1975 zum 1 000-jährigen Jubiläum erschienene Stadtbuch ließ diese Zeit gänzlich außen vor. Dass wir uns nun in einem wissenschaftlich fundierten Rahmen mit diesem dunklen Kapitel auseinandersetzen, ist ein wichtiger Schritt für unsere Stadt.“
Auch wirtschaftliche Aspekte werden beleuchtet
In der Dokumentation spielen neben politischen und gesellschaftlichen auch wirtschaftliche Aspekte eine Rolle. So wird etwa die Entwicklung des Eisenbahnausbesserungswerks, des damals größten und im Wesentlichen einzigen industriellen Betriebes der Stadt, im Detail nachgezeichnet. Ebenso wird die Vorgeschichte des im Jahr 1950 beschlossenen Emslandplans beleuchtet. Die IHK findet ebenfalls Erwähnung – etwa in dem Beitrag „Der Holocaust in Lingen“, in dem der Autor Frank Wolff an Beispielen die systematische Zerstörung jüdischen Lebens dokumentiert.
So berichtet er u. a. über die „Arisierung“ des Unternehmens des jüdischen Kohlenhändlers Alfred Hanauer im Jahr 1935. Dieser musste sein Geschäft im Zuge des staatlichen „Schutzes des Einzelhandels“ verkaufen. Nachdem trotz erheblicher Schwierigkeiten ein Käufer gefunden wurde und Oberbürgermeister Plesse dem Kauf zustimmte, stellte sich die IHK quer. Sie bezweifelte, dass „eine getarnte Beteiligung des bisherigen Inhabers sicher auszuschließen sei“ und ordnete eine genauere Prüfung an. An diesem Beispiel zeigt sich die unrühmliche Rolle der IHK bei der Vernichtung der wirtschaftlichen Grundlagen der jüdischen Kaufleute – ein Sachverhalt, den bereits die Festschrift der IHK zum 150-jährigen Jubiläum herausgearbeitet hatte.
Buch steht im Kontext weiterer Initiativen
Das Buch-Projekt steht im Zusammenhang mit weiteren Initiativen der Stadt zur kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, etwa der Diskussion um belastete Straßennamen oder dem Gedenken an die Opfer durch Stolpersteine und Gedenkorte. „Wer sich mit der Geschichte befasst, kann frühzeitig erkennen, wenn sich gefährliche Tendenzen wiederholen“, so Krone.
Kontakt
Frank Hesse
Öffentlichkeitsarbeit, Wirtschaftspolitik, International
Stv. Hauptgeschäftsführer, Geschäftsbereichsleiter