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Im Titelinterview: Prof. Dr. Norbert Winkeljohann
von Frank Hesse, Christian Weßling, Fabian Ettrich, IHK
Die Wirtschaft im IHK-Bezirk ist im Rezessionsmodus. Insofern ist die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 eine Richtungsentscheidung. Wir sprachen darüber mit Prof. Dr. Norbert Winkeljohann. 1957 im Landkreis Osnabrück geboren, war er vom Jahr 2010 bis zum Jahr 2018 Sprecher der Geschäftsführung der PricewaterhouseCoopers GmbH WPG und ist heute Aufsichtsratsvorsitzender der Bayer AG und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Deutsche Bank AG.
Mit seiner Heimatregion ist Prof. Dr. Norbert Winkeljohann in vielfältiger Weise verknüpft. Ob bei der Sievert SE, der Bohnenkamp SE, der Georgsmarienhütte Holding GmbH oder der heristo ag. Sein Tätigkeitsspektrum reicht dabei vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats bis zum Berater. Zudem engagiert er sich an der Universität Osnabrück, die ihn 2001 als Honorarprofessor für internationale Unternehmensbesteuerung ernannt hat. In 2015 wurde er zum Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt ernannt.
_ Herr Professor Winkeljohann, viele Ökonomen sehen uns in der tiefsten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik. Ist die Talsohle bald erreicht oder müssen wir uns auf eine längere Durststrecke einstellen?
Das hängt ganz davon ab, wie radikal notwendige Reformen von der nächsten Bundesregierung in Gang gesetzt werden. Ich hoffe, die Talsohle wird in 2025/2026 durchschritten. Dazu muss die Wirtschaft, auch die hiesige Wirtschaft, wieder Vertrauen in die Politik gewinnen. Wir brauchen umgehend Planungssicherheit.
_ Man hört immer wieder, externe Schocks wie der Ukraine-Krieg hätten die Krise verursacht. In unseren Umfragen sehen die Betriebe dagegen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen als größtes Risiko. Ist die Krise hausgemacht oder extern verursacht?
Die Krise ist im Inland hausgemacht, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Aber natürlich spielen externe Faktoren wie der Ukraine-Krieg, die neue Weltordnung USA – China – Russland und die Durchsetzungsschwäche Europas in der Welt eine Rolle. Unser altes Geschäftsmodell, billige Energie aus Russland, Sicherheit aus den USA und Abnahme unserer Produkte aus China, funktioniert nicht mehr.
_ Beim „Zukunftsdialog Mittelstand“ der heristo ag haben Sie erst kürzlich gesagt „Planungsunsicherheit ist das Schlimmste, was dem Mittelstand passieren kann“. Wo braucht es mehr Planungssicherheit?
Wirtschaft funktioniert über Vertrauen, das entsteht, wenn die Unternehmen einige Jahre Planungssicherheit haben. Diese ist nicht gegeben. Die Rahmenbedingungen sind unsicher. Das betrifft Energie, überbordende Bürokratie, sehr schlechte Infrastruktur, mangelnde Digitalisierung.
_ Auf die Krise reagiert die Politik häufig mit ad-hoc-Rettungsaktionen, vielfach für Großunternehmen. Was sagen Sie als Aufsichtsrat großer DAX-Unternehmen, müssen die Großen gerettet werden? Und wo bleibt da der Mittelstand?
Ich bin ein klarer Verfechter der (sozialen) Marktwirtschaft. Der Markt muss es richten. Wir können nur Unternehmen retten, ob große oder kleine, die unverschuldet zum Beispiel durch schlechte Rahmensetzungen der Politik, in eine Krise gekommen sind. Losgelöst davon sollte der Staat aber allen Unternehmen helfen, die aus Gründen, die unsere Politik zu verantworten hat, in Bedrängnis kommen. Beispiele sind hier die zwei- bis dreifach höheren Energiepreise bei uns im Vergleich zu USA oder China.
_ Welche konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen empfehlen Sie der neuen Bundesregierung, um dem Mittelstand wieder aufzuhelfen?
Unter anderem diese: Investition in Schulen und Bildung – Stichwort: Fachkräftemangel –, stabile Energiepreise, Impulse setzen für den Wohnungsbau, die Bahn entpolitisieren und sanieren, massive Investitionen in unsere Infrastruktur tätigen, radikale Schritte in Richtung Digitalisierung initiieren. Wenn das nicht passiert, finden Innovationen und Investitionen, auch die des Mittelstands, in den USA und China statt.
_ Bisher hat sich jede Regierung an einem spürbaren Bürokratieabbau, der Unternehmen wirklich entlastet, die Zähne ausgebissen. Warum nur ist der Abbau so schwer und wie kann er dennoch gelingen?
Ganz einfach, die Regierung versucht den Bürokratieabbau von innen. Niemand sägt den Ast ab, auf dem er sitzt. Bürokratieabbau kann nur von außen gelingen. Es bedarf hierzu erheblicher externer Kompetenz, die übergreifend wieder ein Bürokratieniveau herstellt, das wir vielleicht in den 1990er Jahren hatten.
_ Sie führen auch viele Gespräche mit ausländischen Unternehmen. Wie wird der Standort Deutschland dort gesehen und wie könnte er attraktiver für ausländische Investoren werden?
Ausländische Unternehmen schauen einerseits noch mit Hochachtung auf unsere starke deutsche Wirtschaft. Andererseits machen sie sich Sorgen, wie lange dieser Zustand noch zu halten ist. Mangelnde Innovationen, kaputte Infrastruktur, wenig wettbewerbsfähige Energiepreise, übertriebener Datenschutz, sinkende Leistungsbereitschaft. Stichwort Arbeitszeit: Deutschland arbeitet pro Jahr 480 Stunden weniger als Polen. Das sind die Baustellen, die unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen.
_ Unsere Wirtschaftsregion ist – trotz Krise – immer noch gut aufgestellt. Wo sehen Sie die spezifischen Stärken unserer Wirtschaftsregion?
Wir haben eine großartige mittelständische Wirtschaftsstruktur mit einem breiten Industriemix und einer ganzen Reihe von Hidden Champions. Unsere Unternehmen sind resilient, das heißt, sie können sehr schnell Reformen einleiten, sich umorientieren, weil sie entscheidungsfähig sind.
_ Und abschließend: Wie lautet Ihr persönlicher (Werbe-)Slogan für unsere Region?
Belassen wir es bei Slogan. Die Region in und um Osnabrück ist äußerst lebenswert. Sie hat eine beneidenswerte Wirtschaftsstruktur. Allerdings droht erheblicher Kaufkraftabfluss nach Bielefeld, Münster oder in andere Städte, weil die Verkehrssituation unerträglich geworden ist. Osnabrück hat relativ gesehen deutlich mehr Staus als Frankfurt.
Kontakt

Christian Weßling
Öffentlichkeitsarbeit, Wirtschaftspolitik, International
Projektleiter Wirtschaftspolitik und -statistik