„Ich hoffe, KI kann perspektivisch zum Kopiloten werden“

von Dr. Beate Bößl, IHK
Der Hirnforscher Prof. Dr. Tim Christian Kietzmann hat seit dem 1. Februar 2022 eine Stiftungsprofessur für ­Maschinelles Lernen an der Universität Osnabrück. ­Gemeinsam mit seinem Team vom kietzmannlab.org forscht er unter anderem dazu, wie das menschliche ­Gehirn und wie Künstliche Intelligenz (KI) Informationen erkennt, verwertet und dynamisch trans­formiert.
Im Jahr 2019 ist es der Universität Osnabrück gelungen, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, kurz: DFKI, für den Standort Osnabrück zu gewinnen. Diese Ansiedlung hatte auch deshalb Erfolg, weil Stadt und Landkreis Osnabrück sowie die regionale Wirtschaft sich bereit erklärt haben, die zusätzliche Stiftungsprofessur Maschinelles Lernen zu finanzieren. Getragen wird diese von der Kampmann GmbH, der Felix Schoeller Holding GmbH & Co. KG, der Maschinenfabrik Bernard Krone GmbH & Co. KG, der Stiftung Stahlwerk Georgsmarienhütte und unserer IHK.

Das Interview von Dr. Beate Bößl mit Prof. Dr. Tim Christian Kietzmann

Einmal ganz vereinfacht: Wenn wir uns vorstellen, dass Sie als Wissenschaftler versuchen, menschliches Denken in Schaltkreise zu verwandeln, lägen wir damit richtig?
Grob ja, aber dann doch nein – denn so weit sind wir noch nicht. Als ersten Schritt versuchen wir mit Hilfe von z. B. bildgebenden oder elektrophysiologischen Verfahren der Hirnforschung die Berechnungen innerhalb des Gehirns zu verstehen. Hierfür brauchen wir Künstliche Intelligenz, denn die hochdimensionalen Daten sind zu komplex, um sie von Hand auszuwerten. Aus den Resultaten versuchen wir dann Regeln abzuleiten, und diese auf künstliche Systeme zu übertragen. Diese künstlichen Systeme können dann in die Anwendung gehen, aber auch genutzt werden um zu überprüfen, ob wir mit unseren Vermutungen zu den ­Berechnungen im Gehirn und ihren Funktionen richtig lagen. Kurz, wir betreiben universitäre Forschung zu Themen der biologischen und künst­lichen Intelligenz, mit einem besonderen Fokus auf sensorische Verarbeitung. Das ist natürlich auch für die Anwendung von großem Interesse.
_ Ihre Stiftungsprofessur ist durch die Stifter mit der regionalen Wirtschaft verbunden. Wie wirkt sich das auf die Forschungspraxis aus? Wie können die Unternehmen und unsere Region insgesamt, von Ihrer Professur profitieren?
Als universitäre Arbeitsgruppe betreiben wir Grundlagenforschung, also Forschung, die nicht direkt einer bestimmten Anwendung zugeordnet ist. Dennoch gibt es viele Anknüpfungspunkte, etwa durch beratende Tätigkeiten und Fachvorträge in den Unternehmen, gemeinsame Betreuung von Abschlussarbeiten, und der Ausbildung von Studierenden im Bereich des maschinellen Lernens ganz generell. Die Fähigkeiten, die die Studierenden bei uns erlernen sind in der derzeitigenKI-Hochphase sehr gefragt und relevant für die Entwicklung der Region.
Durch ChatGPT schaffte es die Künstliche Intelligenz seit Ende 2022 endgültig ins kollektive Bewusstsein. Wirklich neu war die KI damals aber nicht mehr, oder?
Die verwendete Technik des maschinellen Lernens war nicht neu für uns, sie findet schon lange in vielen Bereichen Anwendung. Deep Learning, also Lernen in tiefen neuronalen Netzwerken, ist fester Bestandteil vieler Anwendungen, mit denen wir im Alltag in ­Berührung kommen. Sei es Spracherkennung, eine Berechnung wie lange eine bestimmte Wegstrecke mit dem Auto brauchen wird, Suchalgorithmen, oder KI-Empfehlungen bei Netflix und Co. Dennoch war die Fachwelt über die Performanz von ChatGPT zum Teil überrascht, denn das System zeigte emergente Fähigkeiten, die aus Versuchen mit kleineren Systemen nicht antizipiert werden konnten.
Künstliche Intelligenz fasziniert, schafft aber auch Unsicherheit. Etwa darüber, welche Berufsausbildung langfristig noch Sinn macht. Oder, welches Geschäftsmodell. Was braucht es, damit aus Sorge Zuversicht wird?
Es besteht nach wie vor ein hoher Bedarf an Aufklärung darüber, was KI leisten kann, und was nicht. Das hat zum einen damit zu tun, dass viele Firmen und Nutzer nicht genügend über die zu Grunde liegenden Techniken informiert sind, um zu verstehen wie z. B. Large Language Models ­sicher und sinnvoll nutzbar sind. Zum anderen ist das Vorhersagen über Entwicklungen im Bereich der KI auch für Experten nicht immer einfach – viele Entwicklungen passieren gleichzeitig und in rasantem Tempo. Das schafft Unsicherheit, eröffnet aber stetig auch neue Geschäftsfelder und Möglichkeiten. Ich habe die Hoffnung, dass KI perspektivisch als Kopilot eingesetzt werden kann, also dass sie etwa lästige oder repetitive Aufgaben übernimmt, uns beratend zur Seite steht, Abläufe optimiert, und auch im Bereich der Forschung und Entwicklung an Prozessen beteiligt werden kann.
Das IHK-Jahresthema heißt #GemeinsamMenschenBilden. Wenn wir in einer Veranstaltung über KI informieren, was sollte auf jeden Fall angesprochen werden?
Ich werde öfter angefragt, in Firmen über KI zu sprechen. Hier lege ich großen Wert darauf, intuitiv zu vermitteln, was die zu Grunde liegende Logik von Sprachmodellen ist, und wie die Technik im Hintergrund funktioniert. Ohne dieses Grundverständnis ist eine Diskussion über mögliche Implikationen kaum möglich. Gleichzeitig müssen wir uns Gedanken machen, wie Lehre in Zukunft funktionieren kann. Ich habe bereits vor über zwei Jahren die klassische Hausarbeit für tot erklärt – zu gut waren Sprachmodelle schon damals und zu verlockend war die schnelle und einfache Lösung über KI. Leider bringen sich die Schüler, Auszubildenden und Studenten mit der Nutzung von KI zum Teil um den eigenen Lernerfolg. Wir müssen also nach neuen Formaten suchen, und natürlich auch dahingehend ausbilden, dass KI sinnvoll eingesetzt wird. So zu tun, als gäbe es diese Entwicklungen nicht, wäre naiv.
Eine Studie von PwC Global (Seite 7) zeigt, dass Unternehmen die KI-Einführung als extrem wichtig ansehen, ihnen aber gleichzeitig die ­hohen Risiken für Datensicherheit, Fehlinfos oder Diskriminierung bewusst sind. Wie lässt sich ­damit umgehen?
Es ist ein klassisches Abwägungsproblem ohne klaren Gewinner/Verlierer. Risiken in Punkto Datensicherheit, Fehlinformationen und Diskriminierung  sehe ich ebenfalls – zu schnell sind die Entwicklungen in diesem Bereich und zu neu der rechtliche Raum, in dem wir uns bewegen. Deshalb aber nicht in Richtung KI zu denken wäre töricht. KI wird einen essentiellen Teil zu Innovation und Arbeitswelt ganz generell beitragen, da dürfen wir uns nicht abhängen lassen. Wir brauchen viel Aufklärung und Forschung in den Firmen um Potentiale zu erkennen, aber ich würde derzeit davon absehen, KI Sprachmodelle ohne menschliche Kontrollinstanz in Produkte einzubinden.
Nicht nur der Wissensstoff, auch das Lernen selbst hat sich in den zehn, zwanzig Jahren massiv verändert. Gibt es noch Wissen, für das Sie zu einem echten Buch greifen?
Leider zu selten. Eine Ausnahme bilden Lehrbücher, die strukturell und didaktisch von Experten so gut aufgebaut sind, dass sie verteilter, oft falscher oder ungenauer Onlineinformation klar überlegen sind. Neue Entwicklungen brauchen aber immer Zeit, bis sie sich in den Lehrbüchern wiederfinden. Daher verbinde ich in meiner Lehre das Vermitteln aktueller Veröffentlichungen mit „Bücherwissen“, das den Test der Zeit überstanden hat.
und gab es eine Initialzündung, einen Punkt, ab dem für Sie klar war, sich der Forschung rund ums Maschinelle Lernen zu widmen?
Ich war schon immer davon fasziniert, Maschinen das Lernen beizubringen, etwa, damit sie ihre Umgebung wahrnehmen können. Diese Idee, verknüpft mit Hirnforschung als Schlüssel, hat in den vielen Jahren, die ich in dem Feld arbeite, nicht an Spannung verloren.
Wieviel KI steckt in den Antworten zu diesem Interview bzw., hat ChatGPT geholfen?
Nein, dieses Interview war klassische Hand- bzw. Kopfarbeit!
Dr.Beate Bößl
Öffentlichkeitsarbeit, Wirtschaftspolitik, International
Projektleiterin Öffentlichkeitsarbeit