Erreichbarkeit – ein wichtiger Standortfaktor

von Gerhard Dallmöller, IHK / Dr. Stefan Schomaker, IHK
Lebendige und attraktive Innenstädte müssen erhalten und gestärkt werden. Dazu tragen eine hohe Aufenthaltsqualität sowie vielfältige Einkaufserlebnisse ebenso bei, wie ein leistungsfähiges Verkehrssystem, das für einen starken innerstädtischen Handelsstandort un­verzichtbar ist. Eine gute Erreichbarkeit ist daher ein wichtiger Standortfaktor für die Innenstadt.
Was motiviert Sie zum Einkauf im Ladengeschäft? Für 76 % der durch das Beratungsunternehmen PwC befragten 1 000 Konsumenten in Deutschland war dabei die gute Erreichbarkeit des Ladens der am häufigsten benannte Aspekt. Am liebsten würden die Kunden bis vor die Tür fahren und so ganz kurze Wege haben. Gut funktioniert das immer noch in den Dörfern und Kleinstädten. Anders ist aber die Situation der Geschäfte in den innerstädtischen Fußgängerzonen.
Leider hat ein Einzelhändler in der Innenstadt, aber auch grundsätzlich ein Unternehmer, nach einer einmal getroffenen Standortentscheidung keinen unmittelbaren Einfluss mehr auf die physische Erreichbarkeit seines Geschäftes, sondern ist von den Entscheidungen der kommunalen Räte und Verwaltungen abhängig. Je größer die Stadt, desto größer sind die Herausforderungen, eine gute Erreichbarkeit zu gewährleisten. Darauf sind der innerstädtische Einzelhandel und Unternehmen insgesamt angewiesen. Dies betrifft gleichermaßen Mitarbeiter, Kunden, Geschäftspartner und den Warenverkehr. Voraussetzung hierfür ist eine gut ausgebaute und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur. Einige Fakten:
Der Fahrzeugbestand ist immer weiter angewachsen. Der zur Verfügung stehende Verkehrsraum hat sich in den Städten hingegen kaum verändert. Und wenn doch häufig zu Lasten des motorisierten Individualverkehrs (MIV), der weiterhin mit 80,5 % im Personenverkehr und 72,2 % im Güterverkehr den mit Abstand wichtigsten Verkehrsträger darstellt.
Das Straßennetz ist dem Fahrzeugaufkommen in den Hauptverkehrszeiten nicht gewachsen. Dabei spielt der Pendlerverkehr eine erhebliche Rolle. Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, dass beispielsweise in der Stadt Osnabrück fast 60 % der Arbeitsplätze mit Personen besetzt sind, die nicht in Osnabrück wohnen.
Viel Geduld ist von den Fahrzeuginsassen gefordert, wenn wichtige Hauptverkehrsstraßen durch Baustellen nur eingeschränkt oder auch gar nicht zur Verfügung stehen.
Das Oberzentrum Osnabrück und die regionalen Mittelzentren haben ein weitläufiges, ländlich geprägtes Einzugsgebiet. Hier stößt das Angebot im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als Mobilitätsalternative an seine Grenzen. Ein flächendeckendes Busliniennetz mit einer attraktiven Taktung (mindestens alle 60 Minuten) ist wirtschaftlich nicht darstellbar.
Darum sind die Städte gut beraten, weiterhin auf eine gute Erreichbarkeit mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV) zu achten. Dazu ist auch ein ausreichendes und kostengünstiges Parkraumangebot in fußläufiger Zentrumsnähe notwendig. Auch wenn es verkehrspolitisch sinnvoll erscheinen mag, den Fahrzeugverkehr vom Pkw auf die Bahn, den Bus oder das Fahrrad zu verlagern, ist dies in vielen Fällen keine attraktive Alternative. Nicht vorhandene ÖPNV-Anschlüsse, deutlich längere Fahrtzeiten, zu lange Wege oder familiäre Verpflichtungen auf dem Arbeitsweg sorgen für viele Verbraucher dafür, dass weiterhin auf den Pkw gesetzt wird.
Pendlerzahlen berücksichtigen
Eine gute Erreichbarkeit gewinnt unter Beachtung der Entwicklung der Pendlerzahlen eine noch größere Bedeutung. Eine zunehmende Zahl von Arbeitnehmern pendelt für ihre Arbeit vom Wohnort zu mehr oder weniger weit entfernten Arbeitsorten außerhalb des Wohnortes. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt sorgt für weiter steigende Pendlerzahlen und ein weiter zunehmendes Verkehrsaufkommen. So ist die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Zeitraum von 2012 bis 2022 sowohl in der Stadt Osnabrück als auch in den Landkreisen Osnabrück, Emsland und der Grafschaft Bentheim zwischen 18 und 30 % gestiegen. In den Landkreisen ist die Zahl der Einpendler zudem stärker angestiegen als die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Für das Oberzentrum Osnabrück ist eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten.
Kunden weichen aus
Die Verkehrsplaner setzen auf die Mobilitätsalternativen. Sie vernachlässigen dabei aber andere mögliche Reaktionen der Innenstadtbesucher. Denn, wenn Besucher schlechte Erfahrungen mit der Erreichbarkeit gemacht haben, suchen sie nicht unbedingt nach anderen Möglichkeiten, um in diese Stadt zu fahren, sondern verlagern ihre Shoppingtouren in andere Städte, bei denen dies weiterhin ohne Staus und Wartezeiten möglich ist. Ein Effekt, den die IHK insbesondere für Osnabrück und die benachbarten Oberzentren Münster, Bielefeld und Oldenburg erkannt hat: Die Pro-Kopf-Ausgaben im stationären Einzelhandel gingen 2023 trotz einer steigenden Kaufkraft in allen vier Städten gegenüber 2019 zurück.
Verkehrliche Einschränkungen, etwa durch Baustellen, beeinträchtigen die Erreichbarkeit von Unternehmen in der Innenstadt erheblich. Die IHK wertet regelmäßig die Baustellensituation der Stadt Osnabrück aus. Mit insgesamt 17 Baustellen zum Ende des dritten Quartals 2023, davon 12 unter Vollsperrung, stellt die Situation eine Belastung für eine attraktive Erreichbarkeit der Innenstadt dar. Die durchschnittliche Dauer der Baustellen beträgt über ein Jahr. „Für viele Unternehmer, Pendler, Kunden und Besucher und alle anderen Verkehrsteilnehmer sind lange Staus, Umfahrungen und Verzögerungen teuer und frustrierend. Einem funktionsfähigen Baustellenmanagement kommt bei der Erreichbarkeit der Innenstadt und einem guten Verkehrsfluss daher eine Schlüsselrolle zu“, betont Anke Schweda, IHK-Geschäftsbereichsleiterin Standortentwicklung.
Kaufkraft wandert ab
Insbesondere mit Blick auf das kommende Weihnachtsgeschäft ist die aktuelle Baustellensituation für die Erreichbarkeit und Attraktivität der Innenstadt kritisch zu sehen. Ein gemütlicher Gang über den Weihnachtsmarkt in Osnabrück sowie der Weihnachtseinkauf sind mit der Fahrt in die Innenstadt leider frustrierend. Besucher werden unter diesen Umständen möglicherweise die Fahrt nach Osnabrück vermeiden und in andere Städte fahren, um dort ihre Weihnachtseinkäufe zu tätigen. Für den stationären Einzelhandel wandert damit viel Kaufkraft, speziell für das wichtige Weihnachtsgeschäft, ab.
Doch wie kann der Handel zu einer guten Erreichbarkeit beitragen? Wichtig ist vor allem eine klare Positionierung gegenüber Politik und Verwaltung. Hierzu sind die persönlichen Kontakte vor Ort hilfreich. Sofern es am Standort einen Gewerbeverein gibt, kann dieser nicht nur als gemeinsames Sprachrohr dienen, sondern bietet sich auch an, die Innenstädte und Ortskerne durch Veranstaltungen zu beleben. Die Online-Präsenz kann zwar das Einkaufserlebnis im Geschäft nicht ersetzen. Aber sie verbessert die Sichtbarkeit des Unternehmens und ist inzwischen für viele Unternehmen ein wichtiges Instrument für die Kundenansprache und -bindung.
Kampagne „Heimat shoppen“
Die IHK setzt sich intensiv für lebendige Innenstädte und Ortskerne ein. Neben der IHK-Kampagne „Heimat shoppen“ geschieht dies durch die Zusammenarbeit im IHK-Netzwerk Stadtmarketing und Werbegemeinschaften, hoheitliche Stellungnahmen im Rahmen der Verkehrs- und Bauleitplanung sowie eine intensive Interessenvertretung gegenüber Kommunalpolitik und -verwaltung. Auf Landesebene setzen wir uns zudem dafür ein, dass die Voraussetzungen zur Durchführung verkaufsoffener Sonntage erleichtert und erfolgreiche Förderprogramme wie „Digital aufgeLaden“ und ­„Perspektive Innenstadt“ fortgeführt werden.
Ein weiterer Beitrag zur Verbesserung der Erreichbarkeit und zur Erhöhung der Verkehrssicherheit ist die Vermeidung von Durchgangsverkehr in den Innenstädten und Ortskernen. Umgehungsstraßen haben hier vielerorts bereits für eine erhebliche Verkehrsentlastung und für mehr Aufenthaltsqualität gesorgt (z. B. Bad Essen, Badbergen oder Belm). Für die Stadt Osnabrück ist in diesem Zusammenhang vor allem der Lückenschluss der A 33 Nord von großer Bedeutung. Der so geschlossene Autobahnring entlastet das Stadtgebiet von Durchgangsverkehr.
Weitere Infos: IHK, Gerhard Dallmöller, Tel. 0541 353-225 und Dr. Stefan Schomaker, Tel. 0541 353-218
Gerhard Dallmöller
Standortentwicklung, Innovation und Energie
Projektleiter Handel und Stadtmarketing
Dr.Stefan Schomaker
Standortentwicklung, Innovation und Energie
Projektleiter Mobilität und Infrastruktur