Ist weniger China bald mehr?

Im siebten Jahr infolge war China 2022 Deutschlands größter Handelspartner. Der Warenaustausch erreichte nach Angaben von Destatis fast 300 Milliarden Euro. Doch die Aussichten für 2023 trüben sich ein. Zwar blieb China auch im 1. Quartal 2023 vorn, doch der bilaterale Warenhandel ging im Vergleich zum Vorjahresquartal um 10,5 Prozent zurück. Als Empfänger deutscher Direktinvestitionen liegt China gemäß der Bundesbank auf dem 3. Platz. Der Bestand überstieg 2021 erstmals 100 Milliarden Euro. Das entspricht etwa einem Viertel der deutschen Direktinvestitionen in den USA, die auf Rang eins liegen. Seinen Abstand zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA verringert China langsamer als zuvor prognostiziert. Seit April 2023 hat zudem Indien China als bevölkerungsstärkstes Land abgelöst, so Angaben der Vereinten Nationen.
Auch der Konjunkturaufschwung gelingt China 2023 nicht nach Plan. Mit Programmen wie „Made in China 2025“ oder protektionistischer „Buy-Local“-Politik entkoppelt sich das Land seit langem vom Rest der Welt. Es setzt auf Lokalisierung und Autarkie sowie auf mehr Staat, auch wenn es weiter um ausländische Investoren wirbt. Tatsächlich haben viele ausländische Fachkräfte das Land nach teilweise drakonischen Null-Covid-Maßnahmen sowie Lockdowns während der Coronajahre verlassen. Das Ende der Covid-Maßnahmen zum Jahreswechsel 2022/2023 hat bislang nicht den erhofften nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung gebracht. 
Denken in Risiko-Szenarien notwendig
Chinas Image ist 2023 auf einem Tiefpunkt. Die Geschäftserwartungen deutscher Unternehmen trüben sich ein, die regulativen Herausforderungen im Land wachsen - ob Datenschutzbestimmungen, erschwerter Datenverkehr über die Landesgrenze hinweg, Sozialkreditsystem oder Anti-Spionagegesetz. Hinzu kommen gestiegene politische Risiken, vor allem durch die Unterdrückung von ethnischen Minderheiten, die Annäherung an Russland im Ukrainekrieg und die militärische Bedrohung Taiwans. Sollte der Taiwan-Konflikt eskalieren, kann das Geschäft über Nacht wegbrechen. In den Firmenzentralen in Deutschland werden daher inzwischen unterschiedliche Szenarien durchgespielt.
Doch wer in China bereits investiert hat, kann nur schwer davon lassen. Fast 55 Prozent der im Rahmen einer Blitzumfrage der deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in China im Mai 2023 befragten Unternehmen investieren weiterhin. Ein Rückzug – abrupt oder schleichend durch nur noch geringe Investitionstätigkeit - muss gut überlegt sein. Denn selbst wenn die chinesische Wirtschaft in den nächsten Jahren nur um 2 bis 3 Prozent wachsen sollte, entspräche das etwa dem BIP von Belgien. Wird daher ein Investitionsstopp oder Rückzug erwogen, wie von knapp 38 Prozent der in der Blitzumfrage Befragten angegeben, stehen als Begründung an erster Stelle geringe Marktexpansionsaussichten; erst danach folgen geopolitische Spannungen.
Auch bei geringem Wachstum gewaltiger Absatzmarkt
Der Absatzmarkt ist nach wie vor riesig, auch wenn er derzeit in einigen Bereichen wie beim Autoabsatz schwächelt. Nach dem Ende nationaler Subventionen sowie dem Beginn des von Tesla begonnenen Preiskriegs verhält sich die potenzielle Elektroauto-Kundschaft zurückhaltend. Die nachlassende Konsumbereitschaft chinesischer Kunden bringt die Abhängigkeiten einiger internationaler Hersteller vom chinesischen Markt zum Vorschein. So erzielen deutsche Automobilbauer einen Großteil ihres Umsatzes (und Gewinns) in der Volksrepublik – allerdings nicht im Elektroautosegment.
Auch auf der Beschaffungsseite ist China alles andere als leicht zu ersetzen. Hier geht es um ausgewählte Rohstoffe wie seltene Erden, aber auch um essenzielle Vorprodukte für die Industrieproduktion wie Kabel, Wechselrichter, Schalter oder auch Solarzellen und -module für die Energiewende in Deutschland. Auch im Konsumgüterbereich ist China bei weitem der größte Produzent. Fiele die Volksrepublik als Lieferant aus, wären zahlreiche Waren über Jahre Mangelware. Gerade den Bezug strategisch wichtiger Güter will die Politik daher diversifizieren.
Zwischen Lokalisierung und Diversifizierung
China-Risiken zu verringern, führt aber auch zu mehr Lokalisierung und weiterer Vertiefung der Wertschöpfungsketten in der Volksrepublik. Die dafür notwendigen Investitionen finanzieren die Unternehmen verstärkt aus dem Land heraus, indem sie Gewinne reinvestieren. Gerade was Infrastruktur und Zulieferketten angeht, ist eine Alternative zu China zudem schwer zu finden. Dessen Lieferantennetzwerk wird im AHK World Business Outlook vom Herbst 2022 als der mit weitem Abstand größte Standortvorteil aufgeführt. Allerdings könnte das am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zur Herausforderung werden. Im Rahmen der jährlichen Geschäftsklimaumfrage der AHK vom Herbst 2022 sahen 86 Prozent bis dato noch keinen Handlungszwang.
Firmen wollen mehr in Indien und Südostasien investieren
Andererseits hat die Suche nach alternativen Absatz- und Beschaffungsmärkten begonnen. Sie ist kompliziert und langwierig, da kein Land allein eine Alternative zu China bilden kann. Erste Trends kristallisieren sich heraus. So wollen sich Firmen laut AHK World Business Outlook verstärkt in Indien, Malaysia, auf den Philippinen, in Singapur sowie Thailand engagieren. In manchen technologieintensiven Bereichen wie der Halbleiterindustrie bestimmt der Mix aus erhöhten geopolitischen Spannungen und neu aufgelegten nationalen Subventionsprogrammen die Richtung der Umorientierung.
Gleichzeitig stellen sich vor allem chinesische Branchenführer durch verstärkte Internationalisierung unabhängiger vom eigenen Heimatmarkt auf. Auch sie investieren vor allem in Südostasien, bauen aber auch in Europa oder Lateinamerika beispielsweise Batterie- und Elektroautowerke. Dort sind und werden sie zunehmend zu Konkurrenten deutscher Firmen, aber auch zu deren Kunden und Lieferanten.
Quelle: GTAI