Neue EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen das UK

Die Europäische Kommission hat am 22.07.2022 vier weitere Vertragsverletzungsverfahren gegen das UK gestartet, da das mit der EU vereinbarte Protokoll zu Irland und Nordirland von britischer Seite in wesentlichen Teilen weiterhin nicht umsetzt wird. Zuvor hatte die Kommission über ein Jahr lang auf die Einleitung bestimmter Verfahren verzichtet, um Raum für die Suche nach gemeinsamen Lösungen zu schaffen.
 
Im Einzelnen geht es bei den Verfahren um
  1. Die Nichteinhaltung der geltenden Zollvorschriften und Kontrollvorgaben für den Warenverkehr von Nordirland nach Großbritannien. Dies erhöht laut EU-Kommission das Risiko des Schmuggels über Nordirland erheblich. Es eröffne beispielsweise Händlern die Möglichkeit, EU-Vorschriften über Verbote und Beschränkungen der Ausfuhr von Waren in Drittländer zu umgehen, oder biete Möglichkeiten für den Karussellhandel mit Waren, die in der EU zur Ausfuhr angemeldet werden und das Zollgebiet tatsächlich nicht über Nordirland verlassen.
  2. Die fehlende Mitteilung, dass die EU-Rechtsvorschriften zu Verbrauchsteuern, die ab dem 13. Februar 2023 gelten werden, umgesetzt wurden. Die Mitgliedstaaten und das Vereinigte Königreich in Bezug auf Nordirland waren verpflichtet, diese Richtlinie umzusetzen und der Kommission ihre Umsetzungsmaßnahmen bis zum 31. Dezember 2021 mitzuteilen. Bislang hat das Vereinigte Königreich dies nicht getan.
  3. Die fehlende Mitteilung, dass die EU-Vorschriften über Steuern auf Alkohol und alkoholische Getränke umgesetzt wurden. Sie erleichtern unter anderem kleineren Herstellern den Zugang zu niedrigeren Verbrauchsteuersätzen. Die Mitgliedstaaten und das Vereinigte Königreich in Bezug auf Nordirland waren verpflichtet, diese Richtlinie bis zum 31. Dezember 2021 umzusetzen.
  4. Die Nichtumsetzung der EU-Vorschriften über die Mehrwertsteuer (MwSt.) für den elektronischen Handel, insbesondere des Import One-Stop Shop (IOSS). Der IOSS ist eine Sonderregelung, die Unternehmen seit dem 1. Juli 2021 nutzen können, um ihren mehrwertsteuerlichen Pflichten bei Fernverkäufen von Importwaren nachzukommen. Es ermöglicht Lieferanten und elektronischen Schnittstellen, die importierte Waren bis zu einem Wert von 150 Euro an Käufer in der EU verkaufen, die Mehrwertsteuer über die Steuerbehörden eines Mitgliedstaats zu erklären und abzuführen, anstatt sich in jedem Mitgliedstaat, in den sie verkaufen, registrieren lassen zu müssen.
Ziel dieser Vertragsverletzungsverfahren ist es laut EU-Kommission, die Einhaltung des Protokolls in einer Reihe von Schlüsselbereichen sicherzustellen. Dies sei unerlässlich, damit Nordirland weiterhin von seinem privilegierten Zugang zum europäischen Binnenmarkt profitieren könne, und um die Bürgerinnen und Bürger in der EU sowie die Integrität des Binnenmarktes zu schützen.
Die britische Regierung hat nun hat zwei Monate Zeit, auf die Aufforderungsschreiben der EU-Kommission zu antworten.
Hintergrund
Das Protokoll zu Irland und Nordirland wurde als integraler Bestandteil des Austrittsabkommens von der EU und dem Vereinigten Königreich gemeinsam beschlossen und ratifiziert. Es ist seit dem 1. Februar 2020 in Kraft und hat völkerrechtliche Rechtswirkung. Ziel des Protokolls ist es, sämtliche Dimensionen des Karfreitagsabkommens sowie Frieden und Stabilität zu wahren, eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden und die Integrität des EU-Binnenmarkts zu wahren.