Große Potenziale trotz angespannter Lage
Dr. Wladimir Augustinski ist seit 22 Jahren Leiter der Repräsentanz der Deutschen Wirtschaft in Belarus. Er leitet die Auslandshandelskammer auf einem Markt, der zuletzt vor allem aufgrund politischer Auseinandersetzungen Aufmerksamkeit erhalten hat. Warum es für Unternehmen dennoch langfristig sinnvoll sein kann sich näher mit dem Land zu beschäftigen, berichtete er zuletzt regionalen Unternehmen beim IHK-Netzwerktreffen Russland und Osteuropa.
Herr Dr. Augustinski, wenn man die aktuellen Meldungen verfolgt, bekommt man den Eindruck, dass für deutsche Unternehmen wirtschaftliche Aktivitäten - nicht zuletzt aufgrund der nochmals verschärften Sanktionen – immer schwieriger werden. Gleichzeitig scheint die Lage komplexer zu sein als man auf den ersten Blick meinen könnte - so ist die Wirtschaft 2021 in den ersten drei Quartalen real gewachsen und Exporte haben sich im selben Zeitraum um rund 36 % erhöht. Wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage im Land?
Gegenüber den beiden Vorjahren war 2021 ein vergleichsweise gutes Jahr für die belarussische Wirtschaft. Die Ursache dafür dürfte im Jahr 2020 liegen, als das Land nur in einen relativ sanften Lockdown ging und so Störungen in den Produktions-, Transport- und Logistikprozessen nahezu vermieden werden konnten. Dadurch konnte man im Folgejahr verstärkt von den Erholungsimpulsen der Weltwirtschaft und der aufgeschobenen Nachfrage profitieren.Ein näherer Blick auf die einzelnen Sektoren zeigt allerdings ein gemischtes Bild: Während insbesondere die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT), verarbeitende Industrie, Handel und Transport zulegen konnten, verzeichneten Landwirtschaft und Bau eine rückläufige Entwicklung. Die Jahresinflationsrate stieg 2021 um 10,3 Prozent – doppelt so hoch wie prognostiziert.Die deutliche Erholung des Außenhandels nach den Einbußen 2020 hängt unter anderem mit einer starken Preis- und Nachfrageentwicklung für belarussische Exportgüter wie Ölprodukte, Düngemittel und Holz sowie mit der Steigerung der Ausfuhren von IT-Dienstleistungen zusammen.
Wie schätzen Sie die zukünftigen Entwicklungen ein?
Der Ausblick auf mittel- bis langfristige Entwicklungsszenarien ist mit großen Unsicherheiten verbunden. Das liegt unter anderem an der politisch zugespitzten Lage im Land, den Auswirkungen der Sanktionen sowie an der ungewissen Entwicklung der Weltwirtschaft nach der COVID-19-Pandemie. Prognosen von internationalen Finanzinstitutionen zeigen eine große Spannbreite, die von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts über ein schwarzes Null-Wachstum bis hin zu einer bescheidenen Erholung reichen.
Aktuell exportieren 80 regionalen Unternehmen aus der Region nach Belarus, lediglich drei Unternehmen importieren aus dem Land. Rohstoffmangel ist jedoch ein großes Problem für viele Unternehmen. Lohnt sich daher ein Blick in das rohstoffreiche Belarus??
Ich würde Belarus im Vergleich zu anderen EAWU-Partnern wie Russland und Kasachstan nicht als ein rohstoffreiches Land bezeichnen. Wirklich bedeutende Vorräte gibt es an Kali- und Steinsalzen sowie Dolomit, Kreide, Rohstoffen für die Baustoffherstellung und Torf. Die Ölreserven sind bescheidener: Bei einer jährlichen Ölförderung von nicht mehr als zwei Millionen Tonnen pro Jahr, was weniger als zehn Prozent des Jahresbedarfs des Landes entspricht, sind die Reserven in 25 Jahren aufgebraucht.Das heißt: Die Schlüsselpositionen beim belarussischen Export nach Deutschland – Mineralprodukte, in erster Linie Erdöl und Erdölerzeugnisse – muss das Land größtenteils erst mal selbst aus Russland beziehen. Erst danach - zum Teil nach der Veredelung in zwei großen Raffinerien – werden diese weiter nach Deutschland exportiert. Weitere wichtige Exportwarengruppen sind Holzwaren und Nichtedelmetallerzeugnisse.
Für welche Branchen ist das Land Ihrer Einschätzung nach am interessantesten?
Deutschland gehört nach unserer Einschätzung zu den wichtigen Handels- und Investitionspartnern der Republik Belarus im Westen. Es ist der bedeutendste Lieferant von Investitions- und High-Tech-Gütern sowie einer der wichtigsten ausländischen Partner im Investitions- und Kreditbereich.Mit einem Anteil am gesamten Warenumsatz von 4,2 Prozent war Deutschland im Jahr 2020 laut Angaben des Zollkomitees von Belarus der viertwichtigste Handelspartner - nach Russland (48,3 Prozent), der Ukraine (7,5 Prozent) und China (7,2 Prozent). Wie aus den Daten des Statistischen Bundesamtes für Januar bis Oktober 2021 hervorgeht, legten die belarussischen Ausfuhren nach Deutschland um 51,1 Prozent auf 669 Millionen Euro zu, die deutschen Exporte nach Belarus wuchsen wiederum um 6,3 Prozent auf knapp 1,22 Milliarden Euro.Zur deutschen Exportwarenstruktur: Rund die Hälfte der gesamten deutschen Ausfuhren entfällt auf Geräte und Ausrüstungen sowie Transportmittel.Derzeit sind rund 370 deutsche Unternehmen und Niederlassungen in Belarus aktiv. Im Laufe der Zeit wurden unter Beteiligung von deutschen Anlagenbauern und Technologielieferanten Dutzende signifikante Investitions- und Modernisierungsprojekte in Schlüsselbranchen realisiert. Dazu zählen etwa Projekte im Maschinenbau, in der Energiewirtschaft, in der Chemie-, Holz- und Möbel-, Textilindustrie sowie in der Landwirtschaft.Unter Berücksichtigung der Vorreitererfahrung Deutschlands und der Bedürfnisse der belarussischen Wirtschaft bieten sich interessante, zukunftsorientierte Kooperationsmöglichkeiten: Allen voran bei Green Economy, den erneuerbaren Energien, der Elektromobilität, der Energiewirtschaft und der Energieeffizienz-Steigerung sowie bei Smart Grid. Darüber hinaus sehe ich im industriellen Nearshoring und anderen Formen der Industriekooperation, bei Industrie 4.0 und der Digitalisierung hohes Potenzial. Und schließlich möchte ich auch die Bereiche Transport und Logistik erwähnen, hier vor allem im Kontext der Belt and Road Initiative (BRI), IKT samt Robotik, künstliche Intelligenz, Big Data, Cloud Computing sowie unbemannte Fahrzeuge.
Belarus bietet gerade in Sonderwirtschaftszonen interessante Konditionen für ausländische Unternehmen. Wie sollten Unternehmen am besten vorgehen, wenn sie im Land aktiv werden möchten und wo erhalten sie Unterstützung.
Zur Ausschöpfung seines Standortpotentials sucht Belarus die Wege zur wirtschaftlichen Diversifizierung und setzt im Rahmen der Investitionspolitik einen verstärkten Fokus auf wettbewerbsfähige und innovative Produktion mit hohem Exportpotenzial.In- und ausländische Investoren erhalten am Standort Belarus eine spezielle Förderung durch die entsprechenden Rahmenbedingungen und Präferenzen vor Ort: Etwa in kleineren Städten und ländlichen Wohngebieten sowie einzelnen Regionen, für Residenten der sechs Freien Wirtschaftszonen, des Hi-Tech Parks und des Industrieparks Great Stone. Darüber hinaus kann man einen Investitionsvertrag mit der Regierung beziehungsweise den regionalen Verwaltungsorganen des Landes abschließen (dadurch kann man zusätzliche Rechtsgarantien erhalten).Die aktuellen Herausforderungen belasten das Konsum-, Geschäfts- und Investitionsklima. Das sind derzeit auch für die Wirtschaft schwierige Rahmenbedingungen. Wir verstehen uns daher hier als Repräsentanz der Deutschen Wirtschaft in dieser akuten Phase auch als Problemlöser für Unternehmen - gemeinsam mit unserer Service-Einheit, dem Informationszentrum der Deutschen Wirtschaft (DE-International). Aus unserer Erfahrung wissen wir: Wirtschaftliche Kontakte basieren auf langfristigem Vertrauen der direkten Geschäftspartner. Gerade wenn diese auch Erschütterungen in schwierigen Phasen aushalten, lässt sich darauf in besseren Zeiten aufbauen.
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